Als dem David übel mitgespielt wurde
12.09.16 (Geschichten & Erzählungen)
Ein Pritschenschuss und seine Folgen / Schützenfest 1529 in Speyer
Bei dem Nachschießen während des großen Schützesfestes zum Ende des Reichstags von 1529 soll sich folgendes Ereignis zugetragen haben: So oft die Scheibe gefehlt ward, so oft kam der Pritschenmeister hervor und bestrafte den Fehlschuß, genannt Pritschenschuß, durch einen sanften Schlag mit seiner Pritsche (Pletsche). Als Buße erhielt der Pritschenmeister zwei Brezeln oder zwei Kreuzer.
Ob gute Schüsse oder schlechte, die Anwesenden erlebten ein unterhaltendes Schauspiel und konnten dazu die lustigen Späße, Verse und Reime des Pritschenmeisters und seiner Gesellen belachen, die aus Heidelberg zum Schützenfest vom Pfalzgrafen eigens geladen waren. Diese Pritschenmeister waren so eine Art Ordner, Ausrufer, ja Zeremonienmeister des Festes. In prachtvollen, samtenen und seidenen Narrengewändern gekleidet, das Schlagholz – die Pritsche reich verziert, geschnitzt und oft mit vergoldeten Wappen und Ornamenten besetzt. Er saß im Rabenstein – später Pritschenmeisters Predigtstuhl – und hier wurden die ungeschickten und schlechten Schützen von den Gesellen herbeigeschleppt, öffentlich gezüchtigt und mit derbwitzigen Reden vor dem Volk verspottet.
Getreu dem Schützenspruch „Nüchtern schießen ist kein nütz“ sprach oftmals der Pritschenmeister nach den Fehlschüssen:
„es gebühret sich wohl daß ein Büchsenschütz soll sein halb voll; solches bringt ihm einen freudig Mut, und schießt hinein, daß es krachen tut: Der acht‘ nit viel Sonnen und Wind er schießt hinein, als wär‘ er blind.“
Kommen wir aber nun zu dem anfangs erwähnten Vorfall: Ein wohlhabender, aber als geizig bekannter Bewohner der Judengasse namens David, stand in vorderster Reihe der Zuschauer. Ihm näherte sich der Pritschenmeister. Der betuchte David war unter allen in der Menge dazu ausersehen, dem Pritschenmeister einen Tribut zu zahlen. Daß er dazu nicht gutwillig bereit sein würde, wußten die Schützen im voraus, aber der Pritschenmeister war darauf vorbereitet! Das Verfahren, das nun folgte, mochte dieser schon öfters angewendet haben; er kannte die Wirkung. Der Pritschenmeister bot dem Auserwählten zunächst sein selbstverfaßtes Pritschenlied an, sauber auf einem Bogen Papier gedruckt und begehrte dafür einen Gulden. Doch dem profitlichen Handelsmann war sein Gulden lieber, er lehnte ab.
Nun begann der Pritschenmeister das Gedicht laut vorzutragen:
„Ich muß euch verkünden neue Mär:
Von Nah und Fern kamen Schützen her
Nach Speyer, Herr Locum tenens (der Stadthalter) sie lud
Friedrich, ein Pfalzgraf, erdachte es gut.
Ein Stahlschießen frei an den Rheines Hang.
Des loben die Schützen ihn lebenslang.
Ein Ochse von Ungarn ist da das Best‘
Auch der Ritterpreise vier setzte man fest.
Wer abkommen wäre mit Pritschenschuß,
Hat baß mit zwo Brezeln zu zahlen die Buß.“
Weiter kam der Pritschenmeister mit dem Vortrag nicht. Wie der Handelsmann von Brezeln hörte, hoffte er auf gute Art davonzukommen. Er unterbrach den Pritschenmeister und rief nach dem Brezeljörg, um sich mit ein paar Brezeln loszukaufen. Doch die Brezelbuße galt nur für die schlechten Schützen, nicht für das Opfer des derben Scherzes, den man mit dem Manne vorhatte. Die Schätzung ging jetzt sogar höher, weit höher als ein ganzer Korb voll Brezeln wert war. Von zwei Gehilfen des Pritschenmeisters wurde der Mann urplötzlich ergriffen und zum Schießberg geführt. Dort sprach man ihm das Urteil, das lautete, daß er als Ziel dienen oder sich mit zehn Gulden loskaufen müsse.
Der Geizhals jammerte und beteuerte, daß er nicht imstande sei, das Geld beizubringen. Darauf hängte man dem Geängstigten eine Scheibe vor die Brust und band ihn mit einem Strick lose an einen Pfosten. Einige Schützen stellten sich nun im Schießabstand vor der lebenden Scheibe auf, taten, als wenn sie die Armbrust spannten, indem sie den Spannhebel zurückschlugen, aber dabei die Sehne nicht faßten, so daß diese schlaff blieb. Das konnte jedoch der Gefangene wegen der Entfernung nicht erkennen, er mußte die Vorbereitung für blutigen Ernst halten. Dann legte einer der Schützen den Bolzen auf die Stechel der Armbrust und schlug an. Im nächsten Augenblick war das Opfer des derben Scherzes nachgiebig geworden.
Der Mann versprach zu zahlen, jedoch nur soviel, als der Pfalzgraf bestimmen werde. Da bestimmte Herzog Friedrich einen Gulden, das ward dem Pritschenschläger recht. Dieser überreichte ihm dafür das Papier mit dem Gedicht. Eilig verschwand aber David vom Schießberg, wo man ihm so übel mitgespielt hatte.
aus: „Palatina“, Jahrgang 1929 – von E. Heuser