Georgskirche ein Kleinod an sakraler Kunst
01.07.05 (Hockenheim)
Wirbel um Bau der katholische Pfarrkirche / Ein besonderes Beispiel an Jugendstil / Ein historischer Rückblick
Hockenheim. Bereits um 1890 wurden in Hockenheim die ersten Stimmen laut, dass die aufstrebende Gemeinde dringend einer größeren katholischen Kirche bedürfe. Die blühende Tabakindustrie hatte den zuvor ländlich geprägten Ort sprunghaft anwachsen lassen. Überall wurden die Häuser modernisiert, weitere Baugebiete erschlossen. Am 9. Januar 1892 wurde das neu erbaute Rathaus eingeweiht. Als Hockenheim am 22. Juli 1895 von Großherzog Friedrich I. zur Stadt erhoben wurde, galt diese als größte Arbeiterwohngemeinde in ganz Baden.Die Menschen arbeiteten nicht nur in den noch immer handwerklich geprägten Tabakfabriken, viele von ihnen hatten inzwischen einen Arbeitsplatz in den rasch wachsenden Mannheimer Industrieunternehmen gefunden.
Für das seelische Heil der inzwischen mehr als 4000 Katholiken in der Stadt war um diese Zeit Pfarrer Keller zuständig, dem zeitweise zwei Kapläne zur Seite standen. Die Gottesdienste in der alten Georgskirche, dem heutigen Gemeindezentrum St. Christopherus, waren überaus gut besucht, die Plätze reichten meist nicht aus. Obwohl sich die Katholiken einig darüber waren, eine größere Kirche zu bauen, kam es im Vorfeld der Planungen zu mancherlei Händel und Geplänkel. So war den einen die geplante Lage gegenüber der evangelischen Kirche (am Standort der heutigen Pestalozzischule) nicht recht, andere wiederum wollten „die Kerch ausm Dorf“ haben und befürworteten einen Neubau in der Karlsruher Straße jenseits des Kraichbachs. Und die, die für den Bau einer Kirche am bisherigen Standort waren und den Abriss des alten Kirchturms von 1498 befürworteten, wurden von denen überstimmt, die den Platz gegenüber als besten Standort auserkoren hatten und dafür das erst 1894 erbaute Pfarrhaus abreißen wollten. So zog sich die Entscheidungsfindung nahezu zehn Jahre dahin. Nach dem Kauf des Wirtshauses zum Schwarzen Lamm (gegenüber der alten Kirchee) im Jahre 1900 sollte es bis zum ersten Spatenstich noch bis zum 5. August 1909 dauern. Der Vorsteher des Erzbischöflichen Bauamtes Karlsruhe, Oberbaurat Johannes Schroth, der bereits mehrere Kirchen im Großherzogtum entworfen hatte, wurde auch mit den Plänen für die Hockenheimer Kirche beauftragt. Da er die italienische Renaissancebauweise des Pfarrhauses beim Kirchenbau wegen der immensen Kosten nicht übernehmen wollte, schlug der Oberbaurat vor, sich an einem „einfacheren Barockstil, den wir aber dem heutigen Geschmack entsprechend noch wesentlicher vereinfachen“ zu orientieren. Damit war nichts anderes als in Richtung Jugendstil gemeint, durfte zur damaligen Zeit aber nicht so offen genannt werden. Noch herrschte in der Kirchenkunst jener Jahre ein Traditionsverständnis, das für Kirchen den romanischen Rundbogen, vielleicht aber auch noch den gotischen Stil bevorzugte. Johannes Schroth übernahm den Entwurf der Bernhardskirche in Baden-Baden, der ersten echten Jugendstilkirche im Erzbistum – nur alles in einer Dimension größer. Der Plan sah zwei Türme zu beiden Seiten der Hauptfassade zur Hauptstraße hin vor. Der damalige Weihbischof Dr. Justus Knecht lehnte den Plan jedoch ab. Seine Begründung: „Ich kann es nicht verantworten, dass eine unterstützungsbedürftige Pfarrgemeinde zwei Türme baut, während die meisten Kirchen des Landes doch nur einen Turm haben.“ Der abgeänderte Entwurf sah schließlich vor, einen quadratischen Turm an der Nordostecke des Chores zu bauen – und diesen „natürlich um einiges höher als den in Nachbarschaft stehenden Turm der neuen evangelischen Kirche“.
Dann ging alles recht schnell: Nach dem ersten Spatenstich am 5. August 1909 erfolgte die Grundsteinlegung am Himmelfahrtstag 1910. Bereits im Spätherbst desselben Jahres fand das Richtfest statt, zum Winter 1910 war das Dach über dem gewaltigen Längstonnengewölbe geschlossen.
Bis zum 15. Oktober 1911 wurde dann am Altaraufbau, der Bemalung der Decken und Wände gearbeitet, so dass an diesem traditionellen Kirchweihtag Erzbischof Dr. Thomas Nörber den neuen Kirchenbau einweihen konnte.
Damit waren die Bauarbeiten aber noch längst nicht alle abgeschlossen. An vielen Stellen in der neuen Georgskirche musste am plastischen Schmuck noch gearbeitet werden (so wurden die Arbeiten an den Vollplastiken der zehn Apostel erst 1938 beendet). Und auch das riesige Gemälde am Triumphbogen, auf dem der Rastatter Kunstmaler Wagenbrenner das Jüngste Gericht darstellte, wurde erst 1922 abgeshlossen.
Heute gilt die Hockenheimer Georgskirche als eine der wenigen wirklich stilechten Jugendstilkirchen auf der ganzen Welt. In vielen Nachschlagewerke der Kunstgeschichte ist gar vom „Jugendstildom von Hockenheim“ die Rede. Eine Auffassung, die auch der Kunsthistoriker Professor Dr. Richard Bellm in einem Aufsatz von 1986 bestätigte: „Hier aber, am Bau der St. Georgskirche, können wir von einem beglückenden und wichtigen Beispiel des Kirchenbaus am Anfang unseres Jahrhunderts sprechen. Ein Glück ist es deshalb, weil dieser Bau in seiner gesamten Bausubstanz erhalten ist, nicht umgebaut und dadurch zerstört wurde.“ Also ein Kleinod an sakraler Kunst, über dessen Wert man sich in Hockenheim erst mit der derzeitigen Renovierung wieder so richtig bewusst zu werden scheint.