Abschiedsstimmung oder Abgesang im Motodrom?
31.07.06 (Hockenheim)
Vorläufiges Ende der Formel 1 nach dem 30. Grand Prix / Nur noch 118 000 Zuschauer an drei Tagen / Promis, Stars und Spitzenpolitiker bleiben aus / Wie geht’s weiter mit dem Hockenheimring?
Das war er also, der 30. Grand Prix auf dem Hockenheimring seit der Premiere im Jahre 1970 und ansonsten ab 1977 (mit Ausnahme von 1985, als einmal auf der gerade neu erbauten Grand Prix-Strecke des Nürburgrings gefahren wurde). Und vielleicht auch der letzte in der fast 75-jährigen Geschichte. Ob das Jubiläum im kommenden Jahr Anlass zur großen Freude sein wird, dürfte derzeit bezweifelt werden. Die Stimmung während des Formel 1-Rennens rund um das Motodrom war am vergangenen Wochenende bei weitem nicht so ausgelassen wie in den Jahren zuvor. Und die vielen Lücken auf den Tribünen machten einem weltweiten Publikum deutlich, wie es derzeit um den Hockenheimring zu stehen scheint. Abgesang der Fans? Gerade mal 77 000 Zuschauer waren am Sonntag zum von der Hockenheimring GmbH als „Megaevent“ angekündigten Rennen gekommen. Vor einigen Jahren waren es allein während des Freitagstrainings bereits genau so viele Besucher. Dieses Mal aber fuhren Schumi & Co vor nahezu leeren Reihen. Die für die drei Veranstaltungstage angegebenen Zuschauerzahlen beliefen sich gerade mal auf 118 000 Besucher (wenn die Tribünen ausgebucht sind, haben rund 120 000 Platz – und das pro Tag). Jeder Hockenheimer dürfte inzwischen wissen, dass solche Besucherzahlen bei weitem nicht ausreichen, den Um- und Erweiterungsbau von 2002 zu finanzieren. Mit 62 Millionen Euro lagen die Baukosten deutlich höher als zunächst geplant, der Zuschuss des Landes Baden-Württemberg belief sich auf 15,3 Millionen Euro, die regionale Wirtschaft verhielt sich äußerst reserviert.
Noch bei der Einweihung der Anlage war vom damaligen Oberbürgermeister Gustav Schrank aber zu hören, dass die Finanzierung „überhaupt kein Problem“ sei. Kritische Stimmen hatte man bereits während der Planungs- und Bauphase „mundtot“ gemacht, auch die warnenden Hinweise in der HOCKENHEIMER WOCHE wurden immer wieder an den rennstädtischen Pranger gestellt. Dass es inzwischen noch viel schlimmer gekommen ist, als jemals befürchtet, wollte zunächst auch niemand wahr haben. Hockenheimring GmbH und der frühere Oberbürgermeister taten die Berichte in unserer Zeitung als „Panikmache“ ab, eine kritische Berichterstattung war nicht erwünscht.
Und als die Situation so langsam aber sicher eskalierte, trat Gustav Schrank zurück und überließ seinem Nachfolger Dieter Gummer einen Scherbenhaufen – und war dieses Jahr auch zum („Abschieds“-)Rennen – im Gegensatz zu den Vorjahren – nicht mehr erschienen. Die Finanzsituation der Rennstadt ist inzwischen katastrophal, die Mittel für wichtige Projekte fehlen. Allein für dieses Jahr hat die Stadt rund vier Millionen Euro zurückgelegt, um die Verluste aus dem Formel 1-Rennen aufzufangen. Aber es kommt noch schlimmer: die Stadt Hockenheim hat Bürgschaften von mehr als 35 Millionen Euro übernommen, um als Mehrheitseigner eine Insolvenz der Hockenheimring GmbH abzuwenden.
Draußen im Motodrom herrscht auch nach dem vorerst letzten Großen Preis von Deutschland Zweckoptimismus. Die Verantwortlichen sind sich sicher, ab 2008 wieder alle zwei Jahre den Grand Prix-Zirkus in der Stadt begrüßen zu können. Aber sind wir mal ehrlich: bis sich die Hockenheimer Geschäftsführung der Rennstrecke überlegt, ob man sich Gedanken machen müsse, hat man am Nürburgring (zu 90 Prozent im Besitz des Landes Rheinland-Pfalz) bereits Nägel mit Köpfen gemacht. Dort beginnen bereits in diesem Jahr die Bauarbeiten für die „Erlebniswelt Nürburgring“, ein Projekt, für das rund 200 Millionen Euro ausgegeben werden.
Und in Hockenheim? Das Motor Sport Museum ist in die Jahre gekommen, die Familie Herz hat alle Exponate aus dem Besitz von Wilhelm Herz aus dem Museum geholt. Wer unter der Woche die Rennsportanlage besucht, muss erst mal eine offene Tür suchen, die Kartbahn ist, wenn überhaupt, nur an den Wochenenden in Betrieb. Und auf der überdimensionierten neuen Südtribüne pfeift der Wind durch zugige Ecken. Von einer „Erlebniswelt“ am Hockenheimring keine Spur.
Der Stern der Traditionsrennstrecke ist mit dem überzogenen Umbau Stück für Stück am Untergehen. Selbst die für ein Formel 1-Rennen sonst obligatorischen VIPs, Stars und Prominente kommen nicht mehr ins Motodrom. Während am Nürburgring die bunten TV-Magazine genug zu berichten hatten, fiel diese Art der Berichterstattung vom Hockenheimring in diesem Jahr komplett aus. Und die weltweit imageträchtige Siegerehrung wurde in diesem Jahr gerade noch vom Finanzminister des Landes Baden-Württemberg vorgenommen. Nicht einmal mehr ein Ministerpräsident oder gar ein bekannter Bundesminister geben sich dafür in Hockenheim die Ehre.
Was bleibt also nach 30 Jahren Formel 1 auf dem Hockenheimring? Irgendwie ein ganz schaler Geschmack, als Bürger von Hockenheim nicht ernst genommen, vielleicht sogar über den Tisch gezogen worden zu sein. Kein Wunder also über die wehmütige Katerstimmung zwischen Ring und Wasserturm nach dem Großen Preis von Deutschland 2006.