Kurpfalz Regional Archiv

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Fast 100 Pferde auf dem Weg zum Wendelinssegen

15.10.06 (Reilingen)

Großes Interesse am 9. Wendelinsritt der Neuzeit / Reiter, Kutschen und Zügeltiere / Festgottesdienst in der Wendelinskirche / Wendelinsbruderschaft von 1451 vor Neugründung
Viele Berichte über die Wallfahrt zum heiligen Wendelin in Reilingen liegen zwar nicht mehr vor, aber getreu den noch bekannten Überlieferungen lud die katholische Pfarrgemeinde in Zusammenarbeit mit dem örtlichen Reiterverein am gestrigen Sonntag zum historisch überlieferten Wendelinsritt ein. Die Idee des früheren Ortspfarrers Stefan Kälble, dieses alte Brauchtum in der Spargelgemeinde mit ihrem aktiven Reit- und Fahrsport wieder zu beleben, stieß auch in diesem Jahr bei vielen Reiterinnen und Reitern in der ganzen Region auf großes Echo. In einer langen Prozession zogen gestern Vormittag fast 100 Pferde an der Wendelinskirche vorbei, wo Kooperator Peter Lauber vor vielen hundert Zuschauern Menschen wie Tiere segnete.
Begonnen hatte die Pferde- und Tiersegnung zunächst mit einem Festgottesdienst in der Pfarrkirche, der gemeinsam von Peter Lauber mit dem in Reilingen beheimateten Geistlichen Rat Ernst Kneis zelebriert wurde. Nach dem Einzug der Priester und Ministranten in die trotz des höchstens Pfarrfestes unerwartet schwach besuchten Wendelinskirche überraschte der mit Gastsängern aus Hockenheim verstärkte Kirchenchor unter der Leitung von Vera Pfannenstiel, begleitet von Eberhard Winge an der Orgel, mit Liedern, die so richtig zur Stimmung des Tages passten.
In seiner Festpredigt beschäftigte sich Pfarrer Lauber intensiv mit dem Wahrnehmen der Botschaft Gottes in der heutigen Zeit. Dabei stellte er fest, dass der Mensch zahlreiche Möglichkeiten zum „Weghören“ hätte, wenn er nicht erreichbar sein wolle. Wer aber seine Ohren auf „Durchzug“ stelle oder diese verschließe, blockiere sich zugleich aber den Weg zu Gott – „denn dessen Botschaft ist wahr und gut“. Lauber machte deutlich, dass die Menschen „frei“ sein müssten, um Jesus und dem Wort Gottes zu folgen. Dies bedeute, dass Besitz und Sicherheiten nicht das Leben bestimmen dürften. „Selbst mit dem größten Vermögen wird es nicht möglich sein, sich den Himmel und das ewige Leben zu kaufen.“
Der Pfarrer machte zugleich aber deutlich, dass Besitz nicht unbedingt zu verteufeln sei. Wohl aber die teuflische Fessel, nicht mehr von Geld und Besitz loszukommen. Wer Gott wirklich suche, müsse mit sich selbst zunächst ins Reine kommen, um ihn zu finden – oder von Gott gefunden zu werden.
Nach dem volkstümlichen Wendelinslied und dem Schlusschor „Jauchzet dem Herrn alle Welt“ strömten die Gottesdienstbesucher zum festlichen Geläut aller Glocken hinaus auf den mit Fahnen geschmückten Kirchenvorplatz, wo sie aber zur neunten Auflage des Wendelinritts der Neuzeit zum Leidwesen vieler Anwesenden aber von keiner Musikkapelle wie sonst üblich begrüßt wurden.
Bei leicht verhangenem Himmel und herbstlich frischen Temperaturen zogen die ersten Pferde Richtung Wendelinskirche, wo inzwischen Kooperator Peter Lauber im Kreis der Ministranten auf die Reiter und Kutschen wartete. Einzeln und in Gruppen wurden die Ponys und Pferde mit ihren Reiterinnen, Reiter und Kutschenfahrer, unter ihnen auch der Reilinger Bürgermeister Walter Klein als Präsident des Reiterrings Badische Pfalz, mit Weihwasser gesegnet, um dann die Prozession auf der von der Feuerwehr kurzzeitig gesperrten Hauptstraße fortzusetzen. Während der Wendelinsritt für die aktiven Teilnehmer mit einem deftigen Eintopfessen ausklang, zogen es viele Zuschauer vor, sich bei einem Mittagessen im Josefshaus beim Wendelinsfest aufzuwärmen.
Am Rande des Wendelinritts war zu erfahren, dass diese Traditionsveranstaltung zukünftig einen noch breiteren Rahmen erhalten soll. So ist geplant, mit den verschiedenen Reit- und Fahrvereinen im kurpfälzischen Raum Kontakt aufnehmen, damit der Reilinger Wendlinsritt wieder die Bedeutung erhält, den er in der regionalen Wallfahrtsgeschichte einst hatte. Und in diesem Zusammenhang wird derzeit in Reilingen auch darüber nachgedacht, die historische Wendelinsbruderschaft von 1451 wieder zu begründen.

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