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* Opulentes Buch zu den Fresken im Dom zu Speyer

23.11.12 (Speyer)

Eindrucksvolle Dokumentation zu den viel diskutierten Kunstwerken Schraudolphs / 123 Fresken mit 470 überlebensgroßen Figuren
Geachtet als hohe Kunst, doch bald schon verworfen als naiv, kitschig: die Bilder der Nazarener. Diese Gruppe von Malern hatte sich Anfang des 19. Jahrhunderts zum Ziel gesetzt, die religiöse Kunst zu erneuern aus dem Geist eines Dürer und Raffael. Johann Baptist Schraudolph (1808 bis 1879) war einer von ihnen; ihm vertraute König Ludwig I. von Bayern das große Werk an, den Dom zu Speyer im Geist der Nazarener „zu malen“, um – unter anderem – durch die Bilder die Menschen wieder tiefer in den Glauben zu führen. Der Speyerer Bischof Nikolaus von Weis erstellte das theologische Bildprogramm, als Katechese und Verkündigung. Mit Gehilfen schuf Schraudolph von 1846 bis 1853 ein monumentales Werk, 123 Fresken mit 470 überlebensgroßen Figuren, eingefasst von reicher Dekorationsmalerei.Nicht lange nach der Vollendung der Fresken setzte bereits Kritik an der Malerei ein, die Mitte des 20. Jahrhunderts dazu führte, dass sie aus dem Dom entfernt wurde; der Innenraum des Domes sollte wieder seine ursprüngliche romanische Gestalt erhalten. Da die Kunst der Nazarener damals in Bausch und Bogen verachtet war, wurde die Malerei einfach abgeschlagen – heute sprechen nicht wenige von „Bildersturm“, nur der Marien-Zyklus verblieb im Mittelschiff, weitere, einige wenige Fresken wurden abgenommen und aufbewahrt: die Bilder zu Stephanus, zu Bernhard und die Marienkrönung aus der Apsis. Aufwändig restauriert sind sie seit Ende Oktober im eigens dafür hergerichteten Kaisersaal des Domes zu sehen. Doch diese Fresken nur auszustellen, würde den Bildern und dem Werk insgesamt nicht gerecht, dringend geboten war und ist die kunstgeschichtliche, vor allem aber die inhaltlich-theologische Erschließung.
Dies leistet in hervorragender Weise eine reich bebilderte Dokumentation, die von Hans-Jürgen Kotzur, dem früheren Direktor des Mainzer Dom- und Diözesanmuseums, und der Kunsthistorikerin Bettina Schüpke in aufwändiger, höchst sachkundiger Arbeit erstellt wurde. Kotzur selbst, der auch Kurator der Ausstellung war, leitet in einem erfrischenden, spannenden Frage-Antwort-Gespräch in das Buch ein. Alles Wesentliche wird angeschnitten und Neugier geweckt auf die weiteren Beiträge. Karl-Markus Ritter, Geschäftsführer der Europäischen Stiftung Kaiserdom zu Speyer, berichtet detailreich „vom Werden, Vergehen und der Rettung eines bedeutenden Kunstwerks des 19. Jahrhunderts“. Dabei begreift er die Ausmalung des Speyerer Domes als Gesamtkunstwerk, was ihr am ehesten gerecht wird. Ungemein viele, akribisch nachgeforschte Einzelheiten finden sich hier, die zu einem großen Ganzen zusammenfügt werden. Norbert Suhr, stellvertretender Direktor des Landesmuseums in Mainz und ausgewiesener Nazarener-Fachmann, beschreibt den „kunsthistorischen Kontext“ der Werke Schraudolphs in der Pfalz, also nicht nur im Speyerer Dom, sondern auch in anderen Kirchen. Damit weitet er den Blick über den Dom hinaus und leistet einen wichtigen Beitrag zur Würdigung des gesamten Schraudolphschen Wirkens sowie zur Einordnung in die Kunstgeschichte. Über einen scheinbar randständigen, aber nicht minder interessanten Gesichtspunkt handelt Clemens Jöckle, Leiter der Städtischen Galerie Speyer, nämlich über die „Szenarien und Bildkulissen“. Dabei geht es um die Spannung „zwischen ikonographischer Tradition und Zeitgenossenschaft“: wie Schraudolph das Umfeld des Geschehens, das er darstellt, aus seiner Gegenwart nimmt und damit das Geschehen selbst „verheutigt“.
In drei Beiträgen befasst sich Klaus Haarlammert, früherer Chefredakteur der Speyerer Bistumszeitung „der pilger“, zunächst mit „Programm und Botschaft“ der Ausmalung des Speyerer Domes, also mit deren Ikonographie und theologischen Aussage. Dabei schreibt er mehr als Theologe denn als Kunsthistoriker. Nach seiner Auffassung sind die Bilder in erster Linie Verkündigung, dann erst kunstgeschichtlich bedeutsame Zeugnisse, aber ihm gelingt, beides miteinander zu verknüpfen. Dies gilt besonders auch für den eigentlichen Katalogteil. Hier beschreibt Haarlammert akribisch genau, theologisch detailliert und fundiert jedes einzelne Fresko – nicht nur die, die jetzt im Kaisersaal hängen, sondern auch alle vierundzwanzig Bilder des Marien-Zyklus, die im Mittelschiff des Domes erhalten geblieben sind. Neben der hohen Kenntnis des Schraudolphschen Werks beeindruckt die tiefgehende theologische Deutung, die die Bilder durchaus auch als Verkündigung für heute begreifen lässt – das ist ja der eigentliche Auftrag, der aus der Präsentation der Bilder erwächst: nicht nur Vergangenes zu bewahren, es vielmehr für heute „fruchtbar“ werden zu lassen. Eine interessante Textsammlung beschließt das Buch. In ihr werden unter dem programmatischen Titel „Schraudolph kontrovers“ zeitkritische Texte zur Ausmalung des Speyerer Domes von 1846, dem Beginn der Arbeiten, bis heute dokumentiert. Grundlage dafür ist die wissenschaftliche Arbeit über die Ausmalung, mit der Marianne Schönenberg 1989 den Doktorgrad erwarb.
Insgesamt liegt mit diesem Buch nicht nur ein wertvoller Begleiter zu den Fresken von Johann Baptist Schraudolph im Dom zu Speyer vor. Das Buch ist auch ein Standardwerk zur Kunst der Nazarener und zur Kunstauffassung des 19. Jahrhunderts. Einmal mehr gewinnt dieses Buch durch die aufschlussreichen Skizzen zur Lokalisierung der Bilder im Dom und im Kaisersaal, vor allem aber auch durch die hervorragende Wiedergabe aller Fresken.  (is)
Buchtipp: Fromme Einfalt, hehre Kunst? Die Speyerer Domfresken von Johann Baptist Schraudolph. Gebunden, 336 Seiten, durchgehend farbig bebildert, 19.80 Euro. ISBN 978-3-942133-55-5. Pilgerverlag, Annweiler

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