* Sensation: Das blinde Huhn und ich …
07.10.10 (* Wersau-Forschung, * Wersauer Tagebuch)
„Otmar, Du bist der Größte, ich nenne Dich ab sofort den Schliemann von Reilingen!“ Immer wenn ich an einem Spiegel vorbeikomme, strahlt mein Antlitz – und ich grüße mich freundlich! Jetzt ist es völlig abgedreht, mag jetzt wohl so mancher denken …! Mag sein, aber ich bin von mir soooooo begeistert, denn mir ist heute ein kleiner Sensationsfund auf der Burg gelungen. Von mir, der seit Wochen nur Eternit, Dachziegel und Fliesen aus den 1950-er Jahren findet! Jetzt weiß ich, dass das Sprichwort vom „Blinden Huhn“ stimmt und dass der liebe Gott an manchen Tagen doch auch ein „Wersauer“ ist! Doch von Anfang an …
Habe meinen Vortrag im Historischen Seminar der Universität beendet, über 100 Studentinnen und Studenten der Mittleren und Neueren Geschichte waren da – und haben mir zugehört. Ist eigentlich nichts ungewöhnliches, kenne es ja von der Uni Mainz. Aber bei diesem Thema: „Burg Wersau – Phantom oder Burg unter der Grasnarbe“. Und die junge Leute sind richtig begeistert von unserer Burg – obwohl bis zu meiner Vortragsankündigung noch KEINER davon gehört hatte …!
Auf der Heimfahrt höre ich was von einem „Verkehrschaos in der Hockenheimer Straße“ und einer „Vollsperrung von Reilingen“ wegen eines Rohrbruches. Fahre also bereits in Reilingen-Ost rein, komme also an der Wersau vorbei. Habe zwar gleich einen anderen Termin – aber soviel Zeit muss sein. Das Tor ist zwar zu, aber ich sehe Herrn Benner und auch sein schwarzer Hund kommt böse knurrend auf mich zu. Was ist nur los mit ihm? Sonst hat er mich doch immer schwanzwedelnd begrüßt? Also Vorsicht, vielleicht liegt es ja an der Sonnenbrille.
Ungläubig stehe ich da, kann meinen Augen nicht trauen: Was ist da denn passiert? Ich erkenne unsere Info-Tafel fast nicht wieder – Ihr sicher auch nicht …
Ist ja großartig – kann nur unsere Hella gewesen sein …! HERZLICHEN DANK! Wenig später stehen ein paar Radfahrer am Zaun, finden es toll – reden irgendwas von „Begrünung von dem Eisen“ …!
Am Graben steht ein Pantograph (bedeutet – wörtlich aus dem Griechischen übersetzt – Allesschreiber. Das Gerät ist ein Instrument zum Übertragen von Zeichnungen in einen gleichen, größeren oder kleineren Maßstab), drunten kniet Herr Benner und überträgt die einzelnen Schichte, jeden Stein, was auch immer.
Dabei fällt mir die Erdverfärbung auf: „Könnte vielleicht ein Stück vom äußeren Burggraben sein!“ Würde eigentlich zum bekannten Geländeplan von 1690 passen – oder auch nicht. „Der Graben müsste halt zwei, drei Meter breiter sein …!“
Ich mache meine Fotos, will schon gehen, als mein Blick nach unten fällt. Dorthin, wo ich die letzten Minuten schon nervös mit dem Füßen gescharrt habe, da ich ja eigentlich schon 10 Minuten fort sein müsse. Mit dem rechten Fuß stehe ich auf einem Stein, der irgendwie eine komische Form hat. Da ich von unserem Manfred inzwischen gelernt habe, dass sich hinter dem Dreck oder auf der anderen Seite immer was von Interesse sein könnte, bücke ich mich – und weiß bereits in diesem Augenblick, etwas besonderes in der Hand zu halten.
Ich zeige meinen Fund dem Grabungstechniker, der wird ganz still, sein Gesicht strahlt – sein Daumen geht nach oben! „Was besonderes“, frage ich – er nickt nur! „Echt was Besonderes?“ Die Antwort kommt kurz und klar aus dem Graben: „Das Beste und das Älteste, was wir bisher hier gefunden haben – eine Bodenfliese mit Eichenlaubmuster aus dem 13. Jahrhundert. Richtig hochwertig!“ Jetzt strahlen wir beide, ich bin begeistert und fasziniert, gerührt und innerlich jubelnd! „JA!!!!“
Meine Gedanken, meine Phantasie lassen mich erzittern. 13. Jahrhundert – die Zeit, aus der Besuche von Kaiser, Könige, Bischöfe und Pfalzgrafen nachgewiesen sind. Welcher deutscher Kaiser wird wohl über genau MEINE Fliese gelaufen, gehinkt oder gar müde geschlurft sein? Irgendwo weit entfernt höre ich die Stimme des LDA-Mitarbeiters: „Diesen Fund kann ich Euch nicht lassen, den muss ich unter Verschluss nehmen!“ Soll er, kein Problem damit, denn niemand kann mir in diesem Moment das Glücksgefühl eines Historikers, Heimatforschers oder Zufallarchäologen nehmen. So muss sich Schliemann in Troya bei seinem ersten wichtigen Fund gefühlt haben. In diesem Moment interessieren mit die Probleme anderer Art nicht mehr! Jetzt zählt für mich nur noch, unserer Burg Wersau Millimeter für Zentimeter näher zu kommen! Endlich haben wir eine erste heiße Spur – und ich bin mir in diesem Moment sicher, dass wir noch weitere solche Momente haben werden