Kurpfalz Regional Archiv

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Georg von Reichenbach und sein Wirken

11.04.16 (Arbeit & Soziales, Geschichte allg., Handel & Handwerk, Personalia)

Technischer Fortschritt zur Zeit von Kurfürst Carl Theodor
Die Pfälzer haben Kur­fürst Karl Theodor noch heute in guter Erin­nerung. Er förderte nicht nur Kunst, Kultur und Wissenschaft, sondern bemühte sich auch um die Verbesserung der Lebensver­hältnisse der „kleinen Leute“. Nirgends manifestierte sich die­ses Engagement deutlicher als in Mannheim: 1689 total zerstört, entstand diese Stadt ab 1700 unter seinen Vorgängern neu. 1720 wurde die planmäßig ange­legte Musterstadt Haupt- und Residenzstadt, und unter Karl Theodor, der 1742 die Regierung antrat, entwickelte sie sich zu einem florierenden Zentrum von Handel und Gewerbe.
Nach wie vor war Mannheim aber auch eine Festung. Die Lage inmitten einer weiten Ebene erlaubte die Anlage von Festungswerken modernster Art und die gute Verkehrsanbin­dung eine problemlose Versorgung. Da im militärischen Bereich Wissenschaft und Technik immer wichtiger wurden, gründete Karl Theodor 1753 in Mannheim eine Mili­tärakademie und bemühte sich um die Moder­nisierung der Armee. Besonders wichtig war die Modernisierung der Artillerie, die im 18. Jahrhundert einen Entwicklungsschub erfuhr.
Die militärischen Aktivitäten Karl Theodors dokumentiert ein umfangreiches Manuskript aus dem Jahr 1772, in dem alle Garnisonen und militärischen Einrichtungen der Pfalz beschrie­ben sind (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Abteilung IV, Handschrift 1617). In den Mannheim gewidmeten Passagen heißt es hier: „Anno 1762 ließen seine Churfürstliche Durchlaucht nächst dem Heidelberger Thor eine Stuck Gießerei und Bohrhaus in Gestalt eines Triangels erbauen, in dessen Mitte ein sehr schöner Hof ist. Zwey Flügel davon sind für Wohnungen, kleine Werkstätten und Ställe bestimmt, der dritte aber enthält das Gieß- und Bohrhaus. In dem Gießhaus ist der Schmeltz­ofen merkwürdig, in solchem mit sehr wenig Holz in kurtzer Zeit eine beträchtliche Menge von Metall in den Fluß gebracht werden kann, in dem Bohrhaus ist die Bohrmaschine von dem sehr geschickten Schlossermeister Hooff zu sehen, welche horizontal liegt und von Pferden betrieben wird.“ Dieser Beschreibung ist ein Plan beigegeben, der den Grundriss der gesam­ten Anlage und die Ansicht der straßenseitigen Fassade zeigt.
In diesem Gebäude, im Grundriss mit D als „des Bohrers Wohnung“ bezeichnet und im Fassadenaufriss hinter den drei Fenstern rechts des Eingangs liegend, wuchs ein Junge heran, der einst Bayerns bester Ingenieur werden sollte: Georg (von) Reichenbach (1771-1826; geadelt 1811). Und das war kein Zufall. Denn Reichenbach kam dort schon früh mit neuester Technologie in Berührung: die Geschützbohr­maschine des oben beschriebenen Typs war erst um 1714/15 entwickelt worden. Mit ihr war es möglich, vollgegossene Geschützrohre zu boh­ren, die von weitaus besserer Qualität waren als die bisherigen. Die neue Bohrtechnologie wurde streng geheim gehalten und bis Mitte des Jahr­hunderts fast ausschließlich in Frankreich prak­tiziert, dessen König sie teuer erworben hatte. Vermutlich hatte sich der oben genannte Hooff auch in Frankreich die Kenntnisse angeeignet, die es ihm ermöglichten, eine solche Maschine nachzubauen und zu betreiben.
Schon zum Bau eines solchen Bohrwerkes benö­tigte man neuartige Maschinen und Werkzeuge. Da auch diese selbst hergestellt werden mussten, handelte es sich bei den Geschützwerkstätten um veritable Maschinenbaubetriebe. Hier wurden auch die ersten Drehbänke und Fräsma­schinen zur Bearbeitung von großen metallenen Werkstücken hergestellt und eingesetzt. Diese wurden dann vom „zivilen“ Werkzeugmaschi­nenbau übernommen und ermöglichten so u. a. die Herstellung der Dampfmaschine, die zum Symbol der Industrialisierung wurde.
1772 übernahm Reichenbachs Vater, der Schlossermeister Christoph Reichenbach, die Leitung des Mannheimer Geschützbohrwerkes. Er stammte aus Mannheim, übte sein Hand­werk aber in Durlach aus, wo 1771 sein Sohn Georg zur Welt kam. Dessen Heimat wurde nun das Mannheimer Geschützbohrwerk, und hier wurde er schon früh zu Arbeiten hinzuge­zogen, so dass er den Umgang mit Maschinen und Werkzeugen von der Pike auf lernte.
Mit der Förderung Georg Reichenbachs erwies Kurfürst Karl Theodor Bayern einen kaum hoch genug zu veranschlagenden Dienst. Reichenbach war zu seinen Lebzeiten nicht nur der mit Abstand bedeutendste Ingenieur Bayerns, sondern auch einer der besten Euro­pas.
1777 fiel auf dem Erbweg das Kurfürstentum Bayern an Karl Theodor. Die dringliche Aufgabe, die pfalz-bayerische Armee zu reformie­ren, übertrug er Benjamin Thompson, besser bekannt als Graf von Rumford, seit 1784 in Diensten des Kurfürsten. Rumford ließ umgehend in Mannheim neue Geschütze fertigen, wobei er den Bohrmeis­ter Reichenbach und seinen Sohn kennen und schätzen lernte. Auf Rumfords Antrag hin ernannte der Kurfürst 1788 Christoph Reichenbach zum Offizier und 1793 dann zum „Obermechanicus“ der gesamten Armee. Deren „Chefingenieur“ blieb er, bis er 1820 im Range eines Oberstleutnants in den Ruhe­stand trat. Als 1793/94 auch in München eine moderne Geschützproduktion eingerichtet wurde, fertigte Christoph Reichenbach hier­für eine Bohrmaschine eigener Konstruktion an.
1806 wurde die Geschützproduktion nach Augsburg verlagert; auch das dortige Geschützbohrwerk stammte von Reichbach, betrieben wurde es von seinem zweiten Sohn Carl.
Von noch größerer Bedeutung für Bayern war jedoch die Förderung, die Kurfürst Karl Theodor Georg Reichenbach angedeihen ließ. Rum­ford sorgte 1786 dafür, dass der Kurfürst ihn zur Militärakademie zuließ. Georg Reichenbach konnte zudem auf Antrag Rumfords 1791 für zwei Jahre England besuchen, das Mutterland der Industrie, um sein Wissen und seine Kennt­nisse zu kompletieren. Im März 1793 ernannte ihn Karl Theodor zum Unterleutnant und „Untermechanicus“ der bayerischen Armee. So war Georg Reichenbach materiell abgesichert und konnte sich, da ihm sein oberster Dienst­herr einen großen Freiraum ließ, als Ingenieur und sogar als Unternehmer frei entfalten. 1811 wechselte er vom Militärdienst in den zivilen optischen Industrie wie auch des Maschinen­baus und somit gerade solcher Industriezweige, die für Bayern von größter Bedeutung waren und sind.
Zum Zeitpunkt seines Todes, der ihn 1826 im Alter von 54 Jahren ereilte, genoss er so große Berühmtheit, dass man darauf verzichtete, auf seinem Grab seine Verdienste zu erwähnen: „Sein Name genügt, sein Denkmal sind seine Werke“ stand dort zu lesen. König Ludwig I. ließ seine Büste in der Bayerischen Ruhmeshalle aufstel­len. Und dort thront der Kurpfälzer an pro­minentem Platz in der Nähe seines Förderers Rumford noch heute. Eine Brücke, ein Platz und eine Straße tragen zudem in München seinen Namen.
 
Der Text stammt von Prof. Dr. Dirk Götsch­mann, von 2000 bis 2013 Professor für Neuere und Neueste Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der bayerischen Geschich­te an der Universität Würzburg. Er lebt heute in Regensburg.
 

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