Am "Faulen Pelz" gab's keine Faulpelze
02.11.91 (Arbeit & Soziales, Handel & Handwerk, Landschaft & Orte)
Wie ein altes Heidelberger Stadtviertel zu seinem Namen kam / Erinnerung an die Lohgerber in der einstigen Bergstadt
In der folgenden stadttopographischen Betrachtung wird von einem Straßennamen berichtet, der wohl einmalig sein dürfte. Es ist die Bezeichnung „Fauler Pelz“ für zwei Straßen in Heidelberg. Oder kennt jemand einen solchen Straßennamen in einer anderen Stadt? Um niemanden zu nahe zu treten, soll gleich zu Beginn festgestellt werden, daß der Name „Fauler Pelz“ nichts mit der dort liegenden Haftanstalt zu tun hat. Die letztere wird zwar im Volksmund so genannt, weil es nicht so eindeutig klingt wie „Haftanstalt“ oder gar „Gefängnis“. An dem besagten „Faulen Pelz“ lebten keine Faulpelze. Im Gegenteil, hier wohnten und wirkten fleißige Handwerker, nämlich Gerber.
Der Name „Fauler Pelz“ wird erstmals um 1600 erwähnt, die auch so genannte Haftanstalt entstand aber erst um die Mitte des letzten Jahrhunderts. Wie kommt aber ein solches Stadtviertel zu diesem Namen? Das kam so: Die Gerber brauchten zunächst einen Wassergraben, in dem sie die Felle mit Gerberloh bearbeiten konnten. In das Wasser wurde die Lohe geschüttet. Sie bestand aus feingeschnittener Rinde von jungen Eichen. Diese Zusammensetzung wurde zur Herstellung von
kräftigem und wetterfestem Leder verwendet. Die Brühe hatte eine tiefe Bräune, weshalb die damit beschäftigten Gerber „Schwarzgerber“ hießen. Zur Herstellung von feinerem Leder wurde mit einer Alaun bzw. Salzbrühe gegerbt, weshalb die Gerber dieser Arbeitsweise „Weißgerber“ hießen.
Aus diesen verschiedenen Arten des Gerbens leiten sich auch entsprechende Familiennamen ab, z.B. „Gerber“, „Weißgerber“. Aus der Bezeichnung „Lohgerber“ wurde durch Verkürzung des Namens „Lohrer“, „Lauer“, und weiter „Laier“, „Leier“, „Layer“.
Will man das alte Heidelberg kennenlernen, betrachtet man am besten den Kupferstich von Merian von 1620: Wir gehen durch die Kettengasse und das Kettentor hinauf zur Bergstadt, einer damals selbständigen Stadt innerhalb der alten Stadt. Das Kettentor war der Grenzübergang an der „Mark“, weshalb es auch „Markbronner Tor“ genannt wurde (dies ersieht man auch aus einer Inschrift am „Amtsstübel“). Diese Bergstadt hatte von den Kurfürsten ihre Vorrechte erhalten, weil darin am Schloßberg Beschäftigte des Schlosses wohnten. Die Bergstadt hatte einen eigenen Bürgermeister, ein Rathaus und durfte die „Kleine Gerichtbarkeit“ ausüben. Diese bestrafte jeden, der den Burgfrieden in irgend einer Form brach.
In der Bergstadt liegen gleich nach dem Tor der Untere Faule Pelz und der Obere Faule Pelz. Beide sind getrennt durch einen querlaufenden langen Graben, über den eine Brücke in Form einer Treppe führt. Das ist der Graben für die Lohe der Gerber. In seinem westlichen Teil ist er mit Bohlen abgedeckt, während der östlich von dem Brückchen liegende Teil offen liegt. Weil wir gerade von Treppchen sprechen: Vor dem Ausbau der Autoausfahrt für die Altstadt führte eine breite
Treppe vom Unteren Faulen Pelz zum Oberen Faulen Pelz. Auch heute kann man auf einer Treppe an der hohen Stützmauer von unten nach oben gelangen.
Nun wieder zurück zu den Lohgerbern: Ihrem Wirken hier vor dem Kettentor oberhalb der Kettengasse wurde aus folgendem Grund ein Ende bereitet: In dieser Gasse, auch „Alte Lauergasse“ genannt, lag der Hof des Bischofs von Speyer. Es ist der Platz, an dem nach der Zerstörung der Stadt 1689/93 auf dem Ruinengelände das Jesuitenkolleg entstand. Danach wurde es Höhere Bürgerschule, Oberrealschule und heute ist es das Anglistische Seminar.
Im Jahre 1588 verkaufte der Bischof von Speyer den Hof an den Administrator Johann Casimir und erwarb einen anderen Hof in der Stadtmitte. Der Hof in der Kettengasse wurde somit „Unserer Kurfürstlichen Gnaden Behausung“. In diesem kurfürstlichen Stadthof waren auch die Wohnung des Marschalls und die Ställe für die Pferde, daher der Name „Heugasse“. Der Hof liegt auf dem bereits erwähnten Merian-Stich rechts vom Kettentor. Die auffallend breite Kettengasse wurde somit Regierungsviertel. Getreu der Weisheit „An der Quelle saß der Knabe“, erwarben bald einige Adelige Höfe. Sogar die Namen „Kettenbrunnengaß“ bzw. „Alt Lawergaß“ verschwanden. Unsere fleißigen Lohgerber waren nicht mehr erwünscht und mußten sich in der entfernten Layergasse niederlassen, die eigentlich „Lohgerbergasse“ heißen müßte. Zu dem Musikinstrument Leier hat der Name also keinen Bezug.
Nach dem Wegzug der Lohgerber wurde dem ehemaligen Gerbergraben kein frisches Wasser mehr zugeführt und das vorhandene blieb stehen. Die Folge war, daß es zu faulen begann und sich auf der Oberfläche eine dicke Schimmelschicht bildete wie ein „Pelz“. Das Gelände unterhalb des Gerbergrabens hieß von da an „Unterer Fauler Pelz“ und das nach dem Treppenbrückchen „Oberer Fauler Pelz“. Die Gerberlohe ist längst versiegt und der Graben zugeschüttet, der Name aber blieb bis heute.
Zum Schluß sei erwähnt, daß am Stadtende des Klingenteichs westlich vom Klingentor eine Gerberei bis um die Mitte des letzten Jahrhunderts betrieben wurde. Der luftdurchlässige Lattenrost hinter einem kurzen Stück Wehrgang war bis in unsere Zeit noch zu sehen. Er diente einmal zum Lüften der Häute und zum Trocknen der „Lohkäse“. Diese bestanden aus abgängiger entgerbter Rindenlohe, die, in flachrunde Form gepreßt, zum Heizen verwendet wurde. Die Trockenwand
wurde erst entfernt, als der Erbe des Gerbereigrundstücks sein Haus baute.
In diesem Zusammenhang soll erwähnt werden, daß Bauherr und Architekt sich bemüht haben, an der dem Klingenteich zugewandten Hausfront das kurze Stück des ehemaligen Wehrganges noch erkennen zu lassen. In der Gartenmauer des Hauses steckt auch ein Rest der ehemaligen „Äußeren Zingel“ der Stadtbefestigung westlich des Klingentores. Dieses
entstand erst nach der Merianschen Stadtansicht von 1620. Als sich in dem großen Breitwieserschen Doppelhaus am Anfang des Schloßberges das Jesuitenkolleg befand, wurde in dem ehemaligen Wachlokal über der Toreinfahrt eine Kapelle eingerichtet.
Autor: Ludwig Merz, Heidelberg / erschienen: Rhein-Neckar-Zeitung vom 2.11.1991