Friedrich Hölderlins Ode auf Heidelberg
03.11.16 (Burgen & Schlösser, Musik, Kunst & Kultur)
Heidelberg als legendärer Sehnsuchtsort der Dichter
Dieses Bild nimmt vor 215 Jahren gültige Formen an – in einem Gedicht von Friedrich Hölderlin. 1801 veröffentlicht er seine berühmte Ode auf Heidelberg. In zwei Strophen setzt der geniale Lyriker der „schicksalskundigen Burg“ ein ewiges Denkmal. Zwei der prominentesten Namen der deutschen Literatur sind mit dem Heidelberger Schloss verbunden: 1775 besuchte Johann Wolfgang von Goethe Heidelberg und einige Jahre später, 1788, Friedrich Hölderlin. Beide hielten sich mehrfach in der Stadt auf, bewunderten das Schloss. Und beide Dichter haben mit ihren Werken den Ruhm Heidelbergs mit begründet.
Das Schloss mit den eindrucksvoll aufragenden Mauern der Ruine spielt dabei eine zentrale Rolle. Mehrere Besuche in Heidelberg inspirierten Friedrich Hölderlin zu seinem Gedicht über die „ländlichschönste“ der „Vaterlandsstädte“: Über den ersten Besuch 1788, bei seiner ersten Reise über die engere Heimat hinaus, berichtete der Achtzehnjährige nach der Rückkehr ins evangelische Seminar in Kloster Maulbronn in einem Brief an die Mutter: „Die Stadt gefiel mir außerordentlich wohl. Die Lage ist so schön, als man sich je eine denken kan. Auf beiden Seiten und am Rüken der Stadt steigen steile waldichte Berge empor, und auf diesen steht das alte, ehrwürdige Schloß.“ Zum zweiten Mal kam Hölderlin sieben Jahre später durch Heidelberg, im Juni 1795, nachdem er die Universität Jena verlassen hatte. Drei Jahre später entstand der erste Entwurf des Gedichtes über Heidelberg.
Zusammen mit den weiteren Gedichten erschien „Heidelberg“ in einem Jahrbuch für gebildete Damen im Jahr 1801 – vor 215 Jahren. Berühmt ist der Anfang der Ode an Heidelberg: „Lange lieb‘ ich dich schon, möchte dich, mir zur Lust, / Mutter nennen und dir schenken ein kunstlos Lied…“ Hölderlins Lobpreis auf Heidelberg, im Versmaß der antiken Dichtung folgend, kannte man in früheren Generationen in gebildeten Kreisen auswendig – auch wegen der geheimnisvoll fremden Schönheit der Sprache. Der Dichter erfindet sogar ein ganz eigenes poetisches Wort: Er tauft Heidelberg als „Ländlichschönste“ der „Vaterlandsstädte“. In der sechsten und siebten Strophe schildert er das Schloss. „Aber schwer in das Thal hing die gigantische, / Schicksalskundige Burg nieder bis auf den Grund, / Von den Wettern zerrissen“. Die geborstenen Mauern des Schlosses beeindruckten den jungen Dichter spürbar – und die Macht seiner Sprache lässt seine Heidelberg-Ode zum Inbegriff der lyrischen Schlossbetrachtung werden.
Beim Spaziergang auf dem Philosophenweg, auf der Talseite dem Schloss gegenüber und mit dem Blick auf die berühmten Mauern und Türme, erinnert ein Gedenkstein an das Gedicht, das Friedrich Hölderlin vor genau 215 Jahren veröffentlichte. Jetzt geben die herbstlich kahlen Bäume wieder die Sicht übers Neckartal zum Schloss frei. Wer vom Klang der Hölderlinschen Worte inspiriert ist und sich mit dem Bild des Schlosses in der Literatur befassen will, kann das in unterhaltender Weise auch im Schloss tun: Die Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg bieten immer wieder Führungen an, deren Thema die berühmte Ruine als Motiv der Literatur ist.
Das Gedicht Friedrich Hölderlins
Heidelberg
Lange lieb‘ ich dich schon, möchte dich, mir zur Lust,
Mutter nennen und dir schenken ein kunstlos Lied,
Du, der Vaterlandsstädte
Ländlichschönste, so viel ich sah.
Wie der Vogel des Walds über die Gipfel fliegt,
Schwingt sich über den Strom, wo er vorbei dir glänzt,
Leicht und kräftig die Brücke,
Die von Wagen und Menschen tönt.
Wie von Göttern gesandt, fesselt‘ ein Zauber einst
Auf die Brücke mich an, da ich vorüber ging
Und herein in die Berge
Mir die reizende Ferne schien,
Und der Jüngling, der Strom, fort in die Ebne zog,
Traurigfroh, wie das Herz, wenn es, sich selbst zu schön,
Liebend unterzugehen,
In die Fluthen der Zeit sich wirft.
Quellen hattest du ihm, hattest dem Flüchtigen
Kühle Schatten geschenkt, und die Gestade sahn
All’ ihm nach, und es bebte
Aus den Wellen ihr lieblich Bild.
Aber schwer in das Tal hing die gigantische,
Schicksalskundige Burg nieder bis auf den Grund,
Von den Wettern zerrissen;
Doch die ewige Sonne goß
Ihr verjüngendes Licht über das alternde
Riesenbild, und umher grünte lebendiger
Epheu; freundliche Wälder
Rauschten über die Burg herab.
Sträuche blühten herab, bis wo im heitern Tal,
An den Hügel gelehnt oder dem Ufer hold,
Deine fröhlichen Gassen
Unter duftenden Gärten ruhn.