Der Erdbebenanzeiger von Mannheim
20.01.95 (Geschichte allg.)
Erdbeben und Erderschütterungen sind in der Rheinebene nicht
unbekannt, entstand die Oberrheinische Tiefebene doch vor
Jahrmillionen durch ein Erdbeben. Der sogenannte „Grabenbruch“
verdankt sein Entstehen somit eine gewaltige Erdschollenbewegung.
Kleine Erdbeben sind auch aus der kurpfälzischen Vergangenheit
bekannt geworden. Bereits die 1763 gegründete Kurpfälzische
Akademie der Wissenschaften befaßte sich in der meteorologischen
Klasse mit solch seltenen und daher um so merkwürdigeren
Phänomenen wie dem Vulkanismus und seinen Begleiterscheinungen.
Doch von den inneren Zusammenhängen von Vulkanausbrüchen und
Erdbeben wußte man damals noch nichts. Man ahnte es allenfalls.
Die weltweit betriebenen, durch den Mannheimer Hofkaplan Johann
Jakob Hemmer in Gang gesetzten Wetterbeobachtungen und
fortlaufenden Aufzeichnungen der Meßwerte sind für die
Witterungsgeschichte des Jahres 1783 „überaus wertvoll“, denn die
Sommermonate boten „allenthalben außerordentlich seltsame
Erscheinungen“. Über der Kurpfalz lag vom 16. Juni bis zum 6.
Oktober 1783 „ein ungewöhnlich starker Nebel von auffälliger
Trockenheit“, wie heute noch in alten Dokumenten zu lesen ist.
Was war geschehen?
Die Sonne habe damals wie rotglühendes Eisen ausgesehen und
konnte an vielen Tagen selbst während der Mittagsstunden mit
ungeschützten Augen betrachtet werden. Seltsame, ungewöhnlich
kräftige Dämmerungserscheinungen am Himmel ängstigten die
Menschen. Schreckensbotschaften über äußerst zahlreiche und
heftige Erdbeben in Tripolis, Kalabrien und Sizilien wurden
verbreitet. Am 18. Mai verspürte man noch in Regensburg die
Ausläufer eines Bebens, ist in einer wissenschaftlichen
Auswertung der „Mannheimer Ephemeriden“, den Aufzeichnungen aller
Wetterfaktoren in weiten Teilen Europas.
Bald erfuhr man mehr: Am 1. Juni setzten auf Island „viele
furchtbare Vulkanausbrüche ein, seit dem 11. Juni warf der Hekla
eine Lavamasse aus, die 9.000 Menschen das Leben kostete. Der
ungewöhnliche „Sommernebel“ des Jahres 1783 war von Norden
gekommen und demnach nichts anderes als Vulkanasche gewesen, die
das Sonnenlicht teilweise ablenkte. Entsprechend streng waren die
Winter 1784 bis 1789. Es gab mehrfach Mißernten und Hungersnot.
In dieser Situation beschäftigte man sich auch in Mannheim mit
der Konstruktion eines ersten brauchbaren Seismometers
(Erdbebenmelders). Ein kurfürstlicher Hofastronom namens König
soll es gewesen sein, der 1784 tatsächlich einen damals
„Sismometer“ genannten Apparat entworfen hatte, den er „aus zwei
verschiedenen Erfindungen zusammenzusetzen gedenket“. Wäre Königs
Erdbewegungsmesser damals „schon verfertiget gewesen, so würde
die am Gestirne gemachte Beobachtung auch durch dieses Instrument
bestätiget seyn“, hieß es in einer Notiz der „Mannheimer Zeitung“
vom 27. November 1784. Die Beobachtung bezog sich auf ein
Erdbeben, das am 17. Oktober des genannten Jahres bei Neapel
verspürt wurde. Da weitere Zeitungsmeldungen oder
wissenschaftliche Abhandlungen fehlen, ist nicht bekannt, ob
Königs Apparat später voll funktionsfähig gewesen ist.
Aus: Mannheimer Morgen, Hans Weckesser, 20.1.1995