„Bierkutscher“ mit Pferden und Pferdestärken
12.10.89 (Handel & Handwerk, Speisen & Getränke)
Ganz gleich, ob Bier den Durst oder der Durst das Bier erst schön
macht, es mußte erst einmal zum Durstigen transportiert werden.
Zur Geschichte des Biers, die in der Kurpfalz auffallend selten
festgehalten worden ist, gehört deshalb auch der Leidensweg des
Bierführers von der Frühzeit auf dem Kutschbock bis in unsere
Tage mit dem modernen Spezialfahrzeug, das an vielen Plätzen nur
zu bestimmten Zeiten be und entladen werden darf.
In den Gemeinden der Kurpfalz und darüber hinaus zählte der
Bierführer bis in die 30er Jahre hinein mit seinen schweren
„Bierbrauergäul“ zum Ortsbild. Jahrzehnte zuvor brauten in den
meisten größeren Gemeinden und in den Städten viele Wirte ihr
Bier noch selbst. Zwischen Rhein und Neckar vegetierten oder
prosperierten nicht selten bis zu einem Dutzend kleinere
Hausbrauereien, deren Zahl dann rapide zusammengeschmolzen ist.
Spezialisierte Brauereien haben die kleineren, die überwiegend
den eigenen Bedarf deckten, so nach und nach übernommen. Bier
mußte jetzt über die Ortsgrenzen befördert werden. Bierführer
wurden unentbehrlich.
Die schweren belgischen Kaltblüter, die den Kastenwagen durch die
Lande ziehen mußten und jede Abladestation so sicher kannten wie
der Bierführer selbst, hatten außer dem Eis in Säcken an die
zwölf Hektoliter Bier zu befördern. Nichtalkoholische Getränke
erreichten noch lange nicht die Bedeutung der heutigen Tage.
Bier war damals gleichbedeutend mit Faßbier. Flaschenbier machte
nach alten Aufzeichnungen so um die fünf Prozent aus. Wer aber
Flaschenbier wollte, der bekam in handgefertigten, geschlossenen
Holzkästen 25 Bügelflaschen à 0,7 Liter geliefert. Der
Faßbieranteil hat sich nach dem Siegeszug der Flasche inzwischen
wieder auf rund 40 Prozent erholt weil eben Faßbier einen
eigenen Charakter hat. Auch wenn es keine Holzfässer mehr sind.
Ein Liter Bier im Holzfaß, ob 25 oder 60 LiterFässer, wog
dreieinhalb Pfund. Damit war mit dem Auf und Abladen, mit dem
Rollen des Fasses bis zum Kellereingang und auf engen Stiegen in
den feuchtkühlen Keller hinunter eine Schinderei verbunden. Und
dies nicht nur für den Bierführer, der das Faß auf derbe
Fallsäcke plumpsen ließ, sondern auch für den Wirt, der beim
Zapfen noch nicht Kohlensäure oder Pumpen einsetzen konnte, weil
diese ihm eben noch nicht zur Verfügung standen. Entweder mußte
das Faß in die Gaststube wieder hochgeholt werden oder, und dies
war meistens der Fall, wurde das Bier in großen Krügen direkt im
Keller aus dem Faß gezapft.
Das Eis, im Eisweiher gewonnen und im Eiskeller bei der Brauerei
gelagert, war zunächst vorne auf dem Kastenwagen plaziert. Mit
Äxten oder anderen Spezialwerkzeugen mußte das Eis, als es noch
keine andere Kühlmöglichkeiten gab, aus großen Klumpen zurecht
geschlagen werden. Die Kinder in den Dörfern waren dankbar, wenn
sie in jenen Jahren kleine Brocken von diesem Eis „zum Schlotzen“
ergattern konnten.
Das Fahren eines Bierautos setzte den Besitz des Führerscheins
voraus. Das höchste Hindernis war damals die ärztliche Prüfung,
die zu bestehen war. Der Herr im weißen Frack examinierte nämlich
durch den Hieb mit dem Hämmerchen: Er wollte hauptsächlich die
Reflexe überprüfen.
Mit dem Zweiten Weltkrieg hieß es auch in der Kurpfalz von den
Brauereipferden Abschied zu nehmen. Die ersten motorgetriebenen
Laster schnauften bald nach dem Ersten Weltkrieg auf die
Brauereihöfe und knatterten kräftig rußend zu den Wirtschaften.
Teilweise handelte es sich dabei um umgebaute Militärfahrzeuge.
Auf Vollgummireifen wurde mit Tempo 15 durch die Gegend „gerast“,
aber dabei waren sie doppelt so schnell wie die Pferde und
konnten auch größere Lasten transportieren. Auf den durchweg
schlechtausgebauten Straßen der damaligen Zeit waren nur wenige
Fahrzeuge unterwegs, weshalb die Brauereifahrzeuge immer wieder
Menschenscharen anlockten, wenn sie in die Dörfer kamen.
Teilweise mußte das Bier an 34 Stellen am Tag abgeliefert werden.
Das hieß also, daß die Strecke zweimal gefahren werden mußte. Der
Arbeitstag begann für die meisten „Bierkutscher“ um fünf Uhr und
endete nicht selten spät am Abend. Und dies sechs Tage in der
Woche. Lediglich am Sonntag hatte der Bierführer Zeit, sich von
seiner schweren Arbeit zu erholen.
Touren mit den Brauereipferden, die mehrere Stunden vor dem
Aufbruch gefüttert und getränkt werden mußten, waren nicht minder
anstrengend. Bei jedem größeren Halt wurde die Futterkrippe mit
Häcksel und Hafer vorgesetzt. Nicht selten standen die Gespanne
damals schon stundenlang am Futtertrog im Stall der Brauerei, bis
der Kutscher auf dem Bock im Brauereihof aufgewacht ist. Von
Promille sprach zu jener Zeit noch niemand. Viele Bierführer
bekämpften den Schweiß der harten Arbeit mit Bier. Nicht selten
lag die Tagesration bei einem Kasten. Zu verkraften war aber auch
zusätzlich das von Wirten eingeschenkte Bier mit dem
obligatorischen „Kurzen“. Die Folgen würden die Arbeitsmediziner
und Wissenschaftler noch heute verblüffen: Die meisten
„Bierkutscher“ blieben ihr ganzes Leben lang gesund und wurden
dabei uralt.
Quelle: unbekannt