Der Tabak als Grundlage für die Stadtentwicklung
28.12.10 (Hockenheim)
Vor 150 Jahren wurde die erste Zigarrenfabrik gegründet / Seit 280 Jahren Tabakverarbeitung in Hockenheim / Erinnerungen an Philipp Schwab
Das Jahr neigt sich seinem Ende entgegen und so bleibt nur noch wenig Zeit, an ein bedeutendes stadthistorisches Ereignis zu erinnern, das sich 2010 zum 150. Mal jährte: Die Begründung der Zigarrenindustrie in Hockenheim. Mit der Eröffnung einer „Manufactur für Cigarren“ durch Ludwig Piazolo und dessen Schwager Karl Ikrath wurde in dem kleinen Dorf an der unteren Kraich nicht nur der Grundstein zu einer bis dahin für undenkbar gehaltenen wirtschaftlichen Entwicklung gelegt, sondern auch ein kommunaler Aufschwung angestoßen, der mit Hockenheims Stadterhebung bereits 35 Jahre später einen ersten Höhepunkt erreichte. Ohne den Tabakanbau und die sich dadurch entwickelnde Zigarrenindustrie hätte sich das kleine Städtchen wohl nie so schnell zu einem für die damalige Zeit recht bedeutsamen Wirtschaftszentrum entwickelt.
Wirft man einen Blick in die Hockenheimer Stadtgeschichte ist festzustellen, dass bereits 1731 die Voraussetzungen für die spätere Zigarrenindustrie geschaffen wurde. Der erste, der sich als Handwerker mit dem Tabak beschäftigte, war der „Tubackspinner“ Johannes Jakobi. Für die damalige Zeit noch ungewöhnlich, drehte er aus Pfälzer Tabak, dessen Anbau französische Glaubensflüchtlinge Ende des 16. Jahrhunderts eingeführt hatten, wurstartige Gebilde von bräunlich-gelblicher Farbe. Der Verbraucher zerschnitt sie dann in kleine Stücke, um den Tabak entweder zu kauen oder in die Pfeife zu stopfen.
Für einen starken Aufschwung des Tabakanbaus auch im Raum Hockenheim sorgte zu Beginn des 19. Jahrhunderts der weltmännisch auftretende Kannenwirt, Posthalter und zeitweilige Bürgermeister Philipp David Schwab (1806 bis 1864). Der Sohn des Steinfurter Ochsenwirts hatte in Paris und London das Hotelfach erlernt, später dann die Tochter des Hockenheimer Ochsenwirts Johann Georg Fuchs geheiratet. Philipp Schwab war ein Erfolgsmensch, denn ihm gelang nahezu alles, was er in die Hand nahm. Und er muss auch einen „grünen Daumen“ gehabt haben: Obwohl er erst in Hockenheim den Tabakanbau kennenlernte, verstand er ihn bald besser als die einheimischen Pflanzer. Schwab, stets darauf bedacht, sein Wissen auch auf diesem Gebiet zu erweitern, bereiste andere Tabakanbaugebiete. Die vor allem in Holland gewonnenen Erkenntnisse setzte er dann erfolgreich zu Hause um. Um seine Erfahrungen auch an andere weiterzugeben, veröffentlichte er 1852 die Schrift „Der Tabakanbau in der Pfalz und in Holland“. In den folgenden Jahren entwickelte sich der inzwischen in Hockenheim heimisch gewordene Gastronom zu einem anerkannten Experten für Tabakanbau und dessen Verarbeitung. Aus allen deutschen Regionen wurde er um Auskunft und Beratung gebeten, vor allem aber um den von ihm gezogenen Tabaksamen angegangen. Sogar aus dem einst bedeutendsten Tabakanbaugebiet im heutigen Baden-Württemberg, dem Hanauer Land, wurde er um Hilfe gebeten: „Die Leute haben auch nicht die Spur von der richtigen Behandlung des Tabaks, den sie auf die schändlichste Weise maltraitieren!“ Und die königlich-bayerische Regierung beauftragte den Hockenheimer, in Pfalzbaiern die von ihm entworfenen Tabaktrockenschuppen zu bauen. Philipp Schwab besuchte viele Güter, um deren Besitzer im fachgerechten Tabakanbau zu beraten. Höhepunkt aber war für den bodenständigen Gastwirt ein Vortrag im Wiener Palais des Erzherzogs Albrecht, an dem auch der spätere Kaiser Franz-Josef teilnahm.
Schwabs erfolgreiches Wirken für den einheimischen Tabakanbau machen einige Zahlen deutlich: 1810 wurden auf Hockenheimer Gemarkung rund 4500 Zentner Tabak geerntet, 1811 etwas weniger. In den folgenden Hunger- und Dürrejahren ging der Tabakanbau stark zurück, aber 1854 stieg er dank dem Engagement von Philipp Schwab wieder auf 4000 Zentner an. Nur zwei Jahre später waren es über 5200 Zentner, die 119000 Gulden in die Kassen brachten.
Mit dem verbesserten Tabakanbau schuf der Gastronom und Ökonom die Grundlage für die Hockenheimer Zigarrenindustrie, die 1860 in der ehemaligen Zehntscheune am Dorfrand jenseits des Kraichbachs ihren Anfang nahm. Dem Unternehmen Piazolo & Ikrath folgte wenige Jahre später die Zigarrenmanufakturen von Isak Hockenheimer & Söhne, Halle & Bensinger, Lußheimer oder Krämer. Überall entstanden für die damalige Zeit gewaltige Fabrikbauten, die nicht nur das Straßenbild, sondern auch das soziale Leben in der immer größer werdenden Ortschaft prägten.
Heute, 150 Jahre später, ist die Hockenheimer Zigarrenindustrie bereits ein Stück Stadtgeschichte, an die nur noch das Tabakmuseum in der Zehntscheune erinnert. Auch die zahlreichen Zigarrenfabriken sind längst aus dem Stadtbild verschwunden. Nur noch das wuchtige Gebäude der 1910 gegründeten GEG-Zigarrenfabrik (Großeinkaufsgesellschaft Deutscher Konsumgenossenschaften) hinter der evangelischen Stadtkirche erinnert daran, dass allein hier einmal rund 700 Frauen und Männer Zigarren, Zigarillos und Stumpen fertigten.