Alt-Speier glänzt auch ohne Mondenschein
15.04.06 (Speyer)
Riesenandrang zu erstem Vollmond-Rundgang mit dem Nachtwächter durch die einstige Freie Reichsstadt Speyer / Geschichten und Geschichtchen, Anekdoten und Sagen / Mai-Rundgang bereits ausgebucht
Für seinen ersten Vollmond-Rundgang als Nachtwächter durch das nächtliche Speyer hatte der Heimatkundler Otmar A. Geiger viel versprochen: „Alt-Speier glänzt im Mondenschein“. Dass daraus dann doch (fast) nichts wurde, lag letztendlich ganz allein beim regnerischen Wetter mit seinen dicken Wolken, die dem Frühlingsvollmond einfach keine Chance ließen, die einstige Freie Reichsstadt in das sonst so romantische Licht zu tauchen. Für die vielen Heimatfreunde, die in warme Kleidung gehüllt und mit einem Regenschirm bewaffnet zur Alten Münze gekommen waren, letztendlich auch kein Grund, auf einen fast zweistündigen, vor allem aber vergnüglichen Spaziergang durch die Geschichte Speyers zu verzichten. Über 200 Personen aus Speyer und den umliegenden Gemeinden bis hinüber ins Badische hatten sich nach Ankündigung des ersten Vollmond-Rundgangs mit dem Nachtwächter gemeldet, um mit dabei sein zu können. Die ersten 30 unter ihnen hatten dann das Glück und vor allem das Vergnügen, das alte Speyer einmal von einer ganz anderen Seite zu erleben.
Nach intensiven Recherchen im Stadtarchiv und anderen Archiven war es Otmar A. Geiger gelungen, das Nachtwächterwesen in der ehemals Freien Reichsstadt für das 18. Jahrhundert zu rekonstruieren. Sich stets an die wieder entdeckten Ordnungen und ratsherrlichen Anweisungen aus den Jahren 1709 bis 1747 orientierend, entführte der Nachtwächter die zunächst 30 Zeitreisende in eine längst vergangene Welt. Dabei erlebte der „Nachtrat“, so der offizielle Titel des Hüters der nächtlichen Ordnung, aber auch eine kaum zu glaubende Zuhörervermehrung. Immer mehr Nachtschwärmer schlossen sich dem Rundgang an, so dass der studierte Wirtschaftshistoriker schließlich mit über 50 Personen durch die nächtlichen Gassen und über Plätze zog. Um der großen Schar von „edlen Mannsleut“ und „schamlosem Weibervolk“ auch Herr zu werden, wurde aus der großen Schar noch schnell ein „Brandknecht“ ausgewählt, eingekleidet und mit Eisenhut, Lampe und Feuerhaken ausgerüstet.
Wie vor Jahrhunderten zogen sie dann vorbei am Dom hinunter zur Sonnenbrücke, die einstmals auch Nikolausbrücke hieß. Durch den Hasenpfuhl ging es über den Mittelsteg zurück zum Holzmarkt und Fischmarkt. Immer wieder legte dabei der Nachtwächter einen kurzen Halt ein, um aus seinem Schatz des Erlebten, den Geschichten und schier unglaublichen Geschichtchen, den Anekdoten und teils phantastischen Sagen, zu erzählen. Da fanden sich Bischöfe und Bürger einträchtig vereint mit Bauern und Bettlern, das beschwerliche Leben in einer noch immer zu großen Teilen zerstörten Stadt wurde lebendig.
Und passend zum Frühlingsvollmond erfuhren die Rundgang-Teilnehmer noch viel über Brauchtum und Traditionen in der Fastenzeit und zu Ostern.
Trotz der vielen Menschen gelang es dem Nachtwächter und seinem Helfer Benjamin, die großen Gruppe beisammen zu halten – und auf entsprechenden Bemerkungen schnell und schlagfertig zu reagieren. Und wenn gar nichts mehr half, wurde auch schon mal ein gar zu zänkisches Weibsbild kurzerhand in Eisen gelegt und zur Bestrafung in die Hauptwache abgeführt.
Wie es sich nun mal für den Nachtwächter von Speyer gehört, wurden an den vorgeschriebenen Orten die Hinweissignale gegeben und mit dem Horn die Stunden gemäß der Uhr vom Altpörtel angezeigt. Feierlich schließlich der Zapfenstreich um 22 Uhr, der mit dem gesungenen „Nun danket alle Gott“, einem „zur Zeit sich schickenden Liedt“ abgeschlossen wurde. Damit endete auch der erste Teil des vorgeschriebenen Rundgangs durch das nächtliche Speyer, das auch ohne Mondenschein an diesem Abend dank der nachtwächterlichen Erzählungen glänzte. Der Rundgang wird beim kommenden Mai-Vollmond fortgesetzt und führt am Samstag, 13. Mai (dieser Rundgang ist bereits ausgebucht), vom Fischmarkt über den Kornmarkt durch die Hundsgass bis zum Wiedentor. Im Juni und Juli geht’s dann „uff die anner Seit“ zu den Gassen und Wohnflächen der Patrizier und Domherren.