"Auch die Burg Wersau wurde nicht an einem Tag erbaut"
20.08.10 (Reilingen)
Im südlichen Rhein-Neckar-Raum erlebt die Heimatforschung eine Renaissance / Forschungen rund um die Burg Wersau begeistern viele engagierte Heimatfreunde / In zwei Jahren wichtige Erkenntnisse gewonnen / Auf der Suche nach Sponsoren
Dank den verschiedenen Aktivitäten des Arbeitskreises Burg Wersau der „Freunde Reilinger Geschichte“ ist die Heimatforschung im südlichen Rhein-Neckar-Raum wieder zu einem aktuellen Thema geworden. An vielen Tagen im Monat sind die ehrenamtlich tätigen Heimatfreunde auf Spurensuche, um Licht ins Dunkel der Geschichte zu bringen. Auch wenn der Laie meint, dass im 21. Jahrhundert längst alles erforscht und im Zeitalter des Internets auch dokumentiert sein müsste, gibt die Vergangenheit nicht nur immer wieder Geheimnisse preis, sondern stellt für die Heimatforscher noch immer eine besondere Herausforderung dar.
Dem engagierten Team in der Spargelgemeinde geht es ebenso: Hatte man vor knapp zwei Jahren mit der genaueren Erforschung der ehemaligen Burg Wersau bei Reilingen begonnen, musste bis heute der Radius der Aktivitäten bereits weit über das Burggelände hinaus vergrößert werden. „Wer sich mit der Geschichte der Burg Wersau beschäftigt, stellt schnell fest, dass sie nicht nur von lokaler, sondern von herausragender regionaler Bedeutung ist“, betont der Heimatkundler Otmar Geiger als Sprecher des Arbeitskreises immer wieder gern. Ging man noch vor einigen Jahren davon aus, dass es sich bei der Burg um eine unbedeutende Einrichtung des Mittelalters handeln müsste, weiß man inzwischen, dass ganz das Gegenteil der Fall ist. Dank aufwändigen geophysikalischen Bodenuntersuchungen und geobiologischen Begehungen kann heute davon ausgegangen werden, dass es sich bei der Burg Wersau einst um eine der wichtigsten Einrichtungen dieser Art im Rhein-Neckar-Raum gehandelt haben muss. Bodenfunde und die Erkenntnisse aus intensiver Archivarbeit machen die Bedeutung der Anlage deutlich: Hier waren nicht nur die Pfalzgrafen bei Rhein und späteren Kurfürsten zu Hause, sondern auch zahlreiche deutsche Kaiser und Könige waren im Mittelalter hier zu Gast. Und auch die päpstliche Genehmigung zur Gründung einer Universität in Heidelberg wurde hier dem pfälzischen Landesherr überreicht, und zwar am 24. Juni 1386.
Ging man früher noch davon aus, dass es von der Burg Wersau nur wenige schriftlichen Quellen geben dürfte, hat sich heute die Situation total geändert. Dank der intensiven Forschungsarbeiten von Ulrich Mehlhaus und Dr. Ludwig Hildebrandt gibt es für die Zeit zwischen 1045 und 1504 bereits knapp 100 belegte archivarische Hinweise – und nahezu täglich kommen weitere hinzu. Diese Einträge beziehen sich inzwischen aber schon lange nicht mehr nur auf Reilingen oder Hockenheim, die dereinst zur Herrschaft Wersau gehörten. Die Quellenhinweise beziehen sich auf Oftersheim und Walldorf, St. Leon-Rot und Waghäusel, Lußheim und anderen Gemeinden in der näheren Umgebung. Fündig wurde man aber auch in Heidelberg, Speyer oder in München, wo in den Archiven immer wieder neue Hinweise auf die Wersau auftauchen. Und erst jüngst stieß man darauf, dass selbst Wilhelm Hauff in seinem historischen Roman „Lichtenstein“ aus dem Jahre 1826 die kurpfälzische Burg literarisch verewigt hat.
Weitere Spuren und auch erste Funde lassen zudem eine bereits früher geäußerte Theorie immer wahrscheinlicher werden, dass es sich bei der Burg Wersau sogar um eine römische Gründung, einen Burgus, handeln könnte. So gibt es inzwischen Hinweise darauf, dass Teile der 4. Legion im frühen zweiten Jahrhundert nach Christus von Speyer aus auf die rechtsrheinische Seite in den heutige Raum Hockenheim/Reilingen/Lußheim verlegt wurde. Diese Hinweise hat der Arbeitskreis inzwischen aufgegriffen und sich in den letzten Wochen intensiv mit den Römern beschäftigt. Und man wurde immer wieder fündig: Neben dem seit Ende der 1950-er Jahre bekannten römischen Friedhof im Wald zwischen Reilingen und Neulußheim galt das Interesse vor allem den beiden Römerstraßen, die sich irgendwo zwischen der Spargelgemeinde und Hockenheim gekreuzt haben müssen. „Noch sind wir nicht fündig geworden, aber wir werden sicher auch dieses Geheimnis der Geschichte knacken“, gibt sich Otmar Geiger zuversichtlich. Während die Nord-Süd-Verbindung seit langer Zeit bekannt ist, sei man derzeit dabei verschiedene Wegtrassen der Ost-West-Route genauer zu untersuchen und durch Vor-Ort-Aktionen zu begutachten. „Und dies aber immer im Rahmen der in Baden-Württemberg eng gesteckten gesetzlichen Möglichkeiten.“ So werde nicht mit Metalldetektoren gearbeitet, noch irgendwelche Grabungen vorgenommen. Hier vertrauen die „Freunde Reilinger Geschichte“ ganz auf die Erfahrungen von Manfred Gegner aus Ketsch, der als langjähriger ehrenamtlicher Mitarbeiter des Landesdenkmalamtes diese Region ganz besonders gut kennt. „Bereits nach kurzer Zeit wissen wir nun, wo einst römische Gutshöfe standen, aber auch, wo es keltische oder steinzeitliche Siedlungsbereiche gibt“, freut sich Geiger zusammen mit den Arbeitskreismitgliedern auf eine noch spannende Zeit – und hofft darauf, dass die Arbeit der Heimatforscher auch irgendwann einmal „belohnt“ wird. Zum Beispiel mit neuen Erkenntnissen bei den anstehenden archäologischen Grabungsarbeiten im Bereich der Burg Wersau. „Das wäre für uns alle mehr wert als Geld und gute Worte.“ Aber auch darauf könne und wolle man nicht verzichten: „Grabungsarbeiten sind teuer und wir würden uns über einen oder mehr Sponsoren freuen.“ Solange aber übt man sich in Reilingen in Geduld, denn auch die Burg Wersau sei schließlich nicht an einem Tag erbaut worden. (ara)