* Das "Dings" war ein Stiefelknecht
02.03.09 (Reilingen)
Erster „Dings“-Museumssonntag gleich ein Erfolg / Großes Interesse an Sonderausstellung mit Raritäten im Reilinger Heimatmuseum
Wem ist das nicht auch schon mal passiert, dass man beim Aufräumen auf dem Speicher oder im Keller auf Gegenstände stieß, die einfach nicht zuzuordnen waren – weder nach ihrer Funktionalität noch dem Namen nach. Nicht selten führt dann der erste Weg zu älteren Verwandten oder Mitbürgern, immer öfters aber auch ins Heimatmuseum: „Ich hab da so ein Dings …!“ Und genau um so ein „Dings“ ging es am Sonntagnachmittag im Reilinger Heimatmuseum – um den Stiefelknecht. Lange Zeit konnte niemand mehr mit diesem einst bekannten Gebrauchsgegenstand etwas anfangen. Während die einen das „Dings“ zweckentfremdet als alles mögliche nutzten, wurde vor allem in städtischen Haushalten der Stiefelknecht einfach entsorgt.
Dass dieses Hilfsmittel zum leichteren und zugleich schonenden Ausziehen von Stiefeln in der Spargelgemeinde noch bekannt ist, ist nicht nur der Sammlung dörflich-ländlicher Gegenstände im Heimatmuseum zu verdanken, sondern auch der Tatsache, dass Reilingen inzwischen auch zu einem bekannten Reiterdorf geworden ist. Und wer schon mal Reitstiefel auch nur ein paar Stunden an hatte, der weiß, wie schwierig es ist, diese wegen eines nicht vorhandenen Schuhverschlusses auszuziehen.
Tagelang hatten Philipp Bickle, der Vorsitzende der Freunde Reilinger Geschichte, und seine Frau Hildegard den Museumsbestand aber auch das Magazin durchstöbert und dabei 18 verschiedene Arten von Stiefelzieher zu Tage gefördert. Die in der kleinen Sonderausstellung gezeigten Modelle machten deutlich, dass der Stiefelknecht eigentlich nichts anderes ist als ein mit einem U-förmigen Einschnitt versehenes, leicht schräg aufgestelltes Holzbrett, in das der am Fuß befindliche Stiefel mit der Ferse zum Ausziehen eingeführt wird. Mit dem anderen Fuß wird dann auf das Brett ein Gegendruck ausgeübt, während gleichzeitig der im Brett fixierte Stiefel durch Zug des Beins vom Fuß gestreift wird. Soweit die Theorie, so Philipp Bickle anschaulich. Wer nämlich nicht darauf achtete, das der Zug nicht zu stark ausgeübt wurde, der riss dabei seinen Absatz ab – und hatte den Stiefel noch immer am Bein.
Gezeigt wurde den vielen Besuchern im Reilinger Heimatmuseum aber auch Modelle aus dem angelsächsischen Raum, die zugleich den Vorderschuh abstützen und der Stiefel in Knöchelhöhe seitlich in die Aussparung eines solchen Holzbretts eingeführt wurde. Dass diese Hilfsmittel zum Stiefelausziehen auch gerne künstlerisch verfremdet wurden, bewies beschnitzte Modelle ebenso wie ein Stiefelzieher aus Gusseisen in der Form eines Hirschkäfers. Dieser nach dann beim Ausziehen das Fersenstück des Stiefels zwischen die „Hörner“.
Die großen und kleinen Besucher waren aber nicht nur von den Stiefelziehern fasziniert, sondern lauschten auch gerne den von Otmar Geiger erzählten Geschichten rund um die Lederstiefel. Schmunzelnd wurde dabei an die ehemaligen Stiefel- und Wichsknechte der Kavallerieoffiziere in den Armeen der kaiserlich und königliche Doppelmonarchie Österreich-Ungarn ebenso erinnert, wie Museumsleiterin Hildegard Bickle vom bäuerlichen Schuhwerk mit den Gamaschen für den Misthaufe berichtete.
Und da das Interesse zum Thema „Stiefel und Schuhe“ so groß war, wird beim kommenden „Dings“-Museumssonntag am 5. April ab 14 Uhr ein Schuhmacher zeigen, wie einst das Leder über den Leisten gespannt wurde. (og)