* Das Wunder vom heiligen Otmar …
02.11.10 (* Wersau-Forschung, * Wersauer Tagebuch)
Hallihallo, melde mich jetzt doch aus dem Urlaub (der wo eigentlich eine Exkursion ist), denn der Virus „Wersau“ hält mich gefangen. So waren wir heute unterwegs auf den Spuren des heiligen Otmars (also nicht ich, sondern mein Namenspatron ist gemeint), der Abt in St. Gallen war, auf der Insel Werd im Bodensee verstarb und dort auch begraben wurde. Nur, als ich heute hinkam, war das Grab leer …
Nein, keine zweite Auferstehung – obwohl es mir persönlich schon so gefallen hätte! Eine einfache Umbettung in das Kloster von St. Gallen (und dies schon vor mehr als 1.200 Jahren). Wenn ich den „Knallkopf“ erwische, der in Wikipedia geschrieben hatte, auf der Insel Werd in einer kleinen romanischen Kapelle sei der heilige Otmar begraben!
Die Lage der Insel ist wirklich toll, könnte auch mir gefallen. Liegt im Untersee genau dort, wo der Rhein den Bodensee wieder verlässt – gleich gegenüber von Stein am Rhein. Ich bin also in der Schweiz und beschließe ob des nahen Heiligen, dies mittels einer Wallfahrt zu tun. Also lassen wir in diesem wunderhübschen, aber unglaublich teueren Mittelalterstädtchen das Auto stehen, werfe für eine Stunde vier Euro in die Parkuhr, und dann noch mal zwei, da ich nicht weiß, wie lange der Pilgerweg am anderen Ufer sein wird.
Auf die früher obligatorischen Kiesel und Steine in meinen Schuhen verzichte ich, da ich aber noch immer barfuß meine Sandalen wie sonst das ganze Jahr über trage, kommen diese auf dem Kiesweg geradezu von selbst hinein. So, als ob die Steine wüssten, wer da gerade über sie hinweglascht. Heute ist ein typischer Herbsttag, die Berge sind in Wolken verhüllt, die Luft ist frisch, der Hauch ist beim Ausatmen deutlich zu sehen. Unter mir knirscht der Kies, über mir kreisen krächzend einige Krähen. Irgendwie liegt eine Endzeit-Stimmung in der Luft.
Mit kräftigen Schritten tippele ich voran, weil mir erstens Laufen noch nie Spass gemacht hat, außerdem nerven mich die Steinchen in den Schuhen. Meine Kinder drehen sich immer wieder um, um nach dem „Lahmarsch“ zu schauen, der bereits in den Seilen hängt. Meine Frau habe ich längst zurückgeschickt, um das Auto zu holen …! Und der Weg zieeeeht sich, sind bereits schon 20 Minuten unterwegs. Aber zum Glück ist er eben, der heilige Otmar meint es gut mit mir.
Ja, er meint es sogar SEHR GUT mit mir! In der Ferne, also so etwa 100 Meter links von mir, erkenne ich im Nebel bereits den Steg, der die Insel mit dem Festland verbindet. Wir müssen nur noch den Hof eines Gasthauses durchqueren, das ausgerechnet heute geschlossen ist. Und dann dieser Anblick: Links von mir führt ein Holzsteg durch das Schilf hinaus zur kleinen Insel mit der noch kleineren Kapelle. Hunderte von Möwen sitzen rechts und links auf dem Geländer, einige ziehen bedrohlich nahe ihre Kreise. Wie bei den „Vögeln“ denke ich mir, suche aber vergebens nach der Silhouette von Alfred H., noch nicht einmal einer der zwei Franziskaner vom kleinen Kloster Werd ist zu sehen.
Dafür aber tut sich für mich eine andere Welt auf: Rechts, als gegenüber vom Steg, aber auf festem Land, steht ein riesiges Zelt. Davor Schubkarren, Diele, Spaten, dahinter zwei Bauwagen und ein Generator. Ich bin mir sofort im Klaren, dass mein Weg mich zunächst nach rechts führen muss, denn hier wird AUSGEGRABEN! Auf einem VW-Bus steht „Kanton Thurgau – Amt für Archäologie“, am Zelt „Zutritt verboten“! Doch nicht für mich? Schließlich komme ich ja von der Wersau! Das interessiert zunächst keinen der Grabungshelfer, man droht im schweizerischte Schwytzerdütsch (zum Glück bin ich multilingual erzogen, beherrsche neben Englisch, Französisch auch eine paar deutsche Dialekte, Volks- und Urlaute), mich entfernen zu lassen!
Erst mein Gestammel, ich sei Otmar, lässt die Eidgenossen schlagartig ihre Arbeit unterbrechen. Ein Wunder? Eine Erscheinung? Oder gleich beides zusammen? Nö, schlicht und einfach Mittagspause, der Lieferwagen mit „Essen auf Rädern“ ist vorgefahren, die Leute scheinen hunger zu haben, lassen alles stehen und liegen – und sind urplötzlich verschwunden. Kein Mensch interessiert sich mehr für mich, mich dem Otmar, dem Mann von der Wersau. Also, liebe Leser, jetzt ist Schluß, meine Frau ruft zum Abendbrot – und da werde ich zum Schweizer …