Kurpfalz Regional Archiv

Geschichte(n) und Brauchtum aus der (Kur-)Pfalz

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Der Disibodenberg – Zentrum geistigen Lebens

10.10.13 (Glaube & Religion, Kirchen & Klöster, Landschaft & Orte)

Alle edlen Geschlechter und berühmte Namen jedoch überstrahlt die große Heilige Deutschlands, Hildegard von Bingen, die zu Bermersheim bei Alzey um das Jahr 1098 geboren und auf dem Disibodenberg aufwuchs. Ihr Glanz erfüllte Deutschland – sie ist die einzige Heilige in dem Heiligenkalender der römischen Kirche, die den Ehrennamen „prophetissa – die Prophetin“ trägt.
Ich verbrachte einen Morgen voll Trauer und stummer Klage auf dem Disibodenberg. Sechs Heilige haben seinen Boden berührt oder längere Zeit hier geweilt. Großartige Erinnerungen knüpfen sich an seinen Namen. Aber längst sind Kirche und Kreuzgang verfallen, Baumwuchs und Unkraut überwucherten die geheiligte Stätte. Der Himmel hatte sich bedeckt, als ich den Berg erstieg – er hatte Recht zu trauern. Der Disibodenberg, in eine großartige, heitere Landschaft hineingebettet, mit vorzüglichen Weinlagen an seinen Hängen und einem bezaubernden Blick in die Täler von Nahe und Glan ist eine einzige steingewordene Klage.
Hier also war es, wo der irische Wandermönch Disibod seinen Stab in die Erde senkte, eine Zelle baute und die Menschen in den Tälern ringsum durch Wort und Beispiel zu Christus führte. Wieviele rauhe Gesellen im Mönchsgewand kamen damals über die See, um auch das letzte Opfer eines Mönches zu brin gen, den Verzicht auf die geliebte Heimat und auf die Geborgenheit im angestammten Kloster. Man nannte diese Auswanderung die Peregrinatio, „die Pilgerschaft um Christi willen“. Ihre Habe bestand in einem derben Knotenstock, einem wetterfesten Gewand, einem Mantelsack mit Reliquienkästlein und Büchern. Auf gebrechlichen Booten segelten sie nach England und von dort an die Küste von Holland und Belgien. Der Rhein trug sie stromaufwärts: Fridolin bis Säckingen am Oberrhein, Trudpert bis zum Schwarzwald, Kilian bis zum Mainstrand bei Würzburg und das Trio Ingbert, Wendalin und Disibod an die Nahe und an die Blies. Allzuviel wissen wir nicht von diesen drei Letztgenannten. Aber sie leben fort in den Städten St. Ingbert und St. Wendel; Disibod in dem nach ihm genannten Kloster.
Als die kleine Hildegard auf Burg Waldböckelheim, wo ihr Vater seines Amtes waltete, aufwuchs, zogen die Benediktiner von Hirsau auf den heiligen Berg und bauten Kirche und Kloster völlig neu. Die fromme Gräfin Jutta von Sponheim, Tochter eines erlauchten Geschlechtes, entschloß sich, in einer Frauenklause auf dem Berge ein klösterliches Leben als Reklusin zu führen. An Allerheiligen 1106 bezog sie mit einer Dienerin das kleine Haus, dessen Türen und Fenster zur Außenwelt bis auf eins ver mauert wurden. Ein zweites Fenster öffnete sich zum Chore der Abteikirche; hier wohnte Jutta dem Gottesdienste der Mönche bei und empfing die Kommunion. Sie blieb nicht allein: die Mütter der benachbarten Burgen brachten bald ihre Töchter zur Erziehung zu ihr, auch der Burggraf Hildebert seine achtjährige Hildegard.
Hier lernte Hildegard von der gebildeten Verwandten die Anfangsgründe des geistlichen wie geistigen Lebens; hier schaute sie auch das geheimnisvolle „Licht“, in dem sie ihre Visionen und Offenbarungen empfing. „In ihrem unschuldigen Gemüte glühte das Feuer der Liebe“, schrieb der Mönch Gottfried aus persönlicher Kenntnis, „Herzensreinheit paarte sich mit Demut und Wachsamkeit. Sie war enthaltsam in Speise und Trank, einfach in Kleidung und Haltung. Eine jungfräuliche Anmut und Zurückhaltung verklärte ihr Antlitz.“
Zu dem Wanderheiligen Disibod waren so zwei heilige Frauen hinzugekommen, Jutta von Sponheim und Hildegard. Der heilige Bischof Otto von Bamberg war es, der Hildegard hier den Schleier reichte. Aus der Frauenklause war damals schon ein Frauenkloster geworden. 1136 starb die edle Jutta, nachdem sie 22 Jahre als junge Gräfin in der Welt und 30 Jahre als Ordensfrau und Meisterin einer aufblühenden Gemeinschaft ihre Umgebung erbaut und zum Guten angeleitet hatte. Hildegard wurde ihre Nachfolgerin, aber sie blieb nicht auf dem Disibodenberg. Für ein Männer- und Frauenkloster zugleich bot der Berg keinen Platz, obwohl damals noch Doppelklöster keine Seltenheit waren. Elf Jahre nach dem Tod der Meisterin verließ Hildegard mit 20 edlen Jungfrauen den Disibodenberg, folgte dem Lauf der Nahe bis zur Mündung und gründete bei Bingerbrück auf dem Rupertsberg ihr neues Kloster. Eine baufällige Kirche und ein Winzerhaus war alles, was sie vorfanden: doch welcher Geist belebte bald die neue Gottespflanzung.
Auf dem Disibodenberg hatte Hildegard schon ihr bedeutendstes Buch „Scivias – Erkenne die Wege!“ geschaut und vorbereitet. Sie war schon berühmt, als sie den Berg verließ. Und welche Gefährtinnen hatten sich ihr zugesellt! Da war die Markgräfin Richardis von Stade, die als Äbtissin in Hildesheim starb. Hiltrudis von Sponheim, eine ihrer Getreuesten, und Jutta die Jüngere, ihre Mitnovizin in der Frauenklause. Da lesen wir den Namen der sächsischen Pfalzgräfin Adelheid, die später die Frauenstifte von Gandersheim und Quedlinburg leitete sowie der Nonne Sigewize aus Köln, die von den Bedrängnissen des Dämons befreit werden mußte.
Eine hervorragende Zierde war Margarete von Hohenfels, einer Burg am Donnersberg, die als Priorin der Heiligen zur Seite stand, 1152 starb und durch Wunder und Heiligkeit wie ihre Schwester Ida von Hohenfels glänzte. Hier lebte auch Hedwig von Alzey, die später eidlich bezeugte, daß ein Lichtschein Hildegard umglänzte, wenn sie durch die Klostergänge schritt und dabei ihre Lieblingsdichtung „O Virga ac Diadema“ („0 Reis und Krone“) sang. Fünfzig geistliche Töchter gaben Hildegard wehklagend das Geleit, als sie am 17. September 1179 zur Gruft getragen wurde, nachdem sie noch zuvor den Mönchen des Disibodenberges das ebenso erbaulich wie ergötzlich zu lesende Büchlein über den hl. Disibod geschenkt hatte – keine geschichtstreue Biographie, sondern ein poetisch angehauchtes Legendenbild, ein verklärtes Denkmal des unbekannten Glaubensboten des Nahetales, geschrieben von der großen Seherin des Nahegaues, die mit Päpsten und Kaisern Briefe wechselte und vor Bischöfen, Äbten und Bürgern in Schwaben, Franken und am Rhein gepredigt hatte.
Unrühmliches Ende
Im Jahr 1259 wurde das verschuldete Kloster Disibodenberg den Zisterziensern in Otterberg übergeben und in Stand gebracht. Zehn Altäre schmückten das Langhaus und 6 Glocken läuteten über das Land. Die Kriegswirren von 1471 und 1504 (als sich die Heidelberger und Zweibrücker Wittelsbacher heftig befehdeten), brachten die Abtei an den Rand des Verderbens.
Der letzte Abt war Peter von Limbach, zuerst Mönch in Wörschweiler. Unter dem Druck der Verhältnisse verzichtete er am 29. Dezember 1559 auf sein Amt und übergab Disibodenberg an den Herzog Wolfgang von Zweibrücken. Wiederholt konnte jedoch, so an Ostern 1736, in der noch erhaltenen Klosterkirche wieder katholischer Gottesdienst gehalten werden. Nach der Französischen Revolution diente der noch bedeutende Rest an Klostergebäuden als Steinbruch.
So verging und verfiel, was selbst die Herzöge von Zweibrücken nach der Aufhebung des Klosters sorgsam gehütet hatten. Das 19. Jahrhundert ruinierte den Klosterbezirk wie kein Jahrhundert zuvor. Erst vor wenigen Monaten begann, man dankenswerterweise, die letzten Reste zu sichern und die Grundmauern wieder freizulegen.
Wie ganz anders würde der Bergkegel zwischen Nahe und Glan die Landschaft schmücken, wenn statt des Gehölzes noch Kloster und Kirche im Licht stünden, eine Gralsburg über den Tälern und Flüssen!
Vorbei – es bleibt nur die Klage. Denn welches der 70 Klöster unserer Heimat konnte sich an landschaftlichen Reizen, an Fülle des Weines und der Früchte mit dem Disibodenberg messen? Welche Stätte in unserer Heimat kann sich rühmen, daß sechs anerkannte Heilige und Selige hier gelebt und die Geheimnisse Gottes geschaut hatten? Wie konntest du so tief fallen, edle Braut und so ganz und gar deiner köstlichen Zier verlustig gehen! Warum bist du wieder Wildnis geworden, wo einst die Wildnis von Gottesmännern gerodet wurde? Ich trauere um dich und selbst die paradiesische Schönheit der Täler zu deinen Füßen kann mir diese Trauer nicht nehmen, weil keiner mehr zum Feste kommt und keine Stimme mehr das Lob des Höchsten auf deiner Höhe singt.
Aus: Pilgerkalender Speyer 1956

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