Der Klapperstorch von St. Elisabeth
30.08.06 (Hockenheim)
Ein Blick zurück in die Geschichte des Hockenheimer Entbindungsheim in der Hirschstraße / Fast 20 000 kleine Hockenheimer wurden vom „Klapperstorch gebracht“
„Die Kinner bringt de Klapperstorch, und der landet immer in de Hirschstrooß!“ Keine Zweifel für die Menschen in und um Hockenheim, denn tatsächlich wurden dort über Jahrzehnte hinweg die kleinen Kinder geboren. Ob und wie oft der Klapperstorch tatsächlich die „Bobbele“ in dieser scheinbar sehr fruchtbaren Straße „verlor“, konnte nie genau ermittelt werden. Wohl aber, dass im Entbindungsheim St. Elisabeth viele Tausend kleine Hockenheimer geboren wurden. Hockenheimer auch dann, wenn die Mütter aus Reilingen, Neulußheim oder Altlußheim stammten. Und selbst aus dem südlich gelegenen Bruhrain kamen die Frauen in die Rennstadt, um diese weithin bekannte sozial-caritative Einrichtung zu nutzen. Eigentlich kein Wunder, bot doch St. Elisabeth in der Region bereits seit den 1920-er Jahren eine saubere, hygienische und vor allem menschenwürdige Umgebung, um Kinder zur Welt zu bringen.
Bis zur Gründung des Entbindungsheims am 11. März 1928 fanden die Geburten – vor allem im ländlichen Raum – meist in der heimischen Umgebung statt. Dort, in den kleinen Arbeiterwohnungen oder beengten bäuerlichen Anwesen, gab es meist nicht nur wenig Platz, sondern es mangelte auch an Hygiene oder medizinisch geschulten Hilfskräften. Bei der Geburt halfen meist die weiblichen Familienangehörigen, Nachbarinnen oder, wenn man es sich leisten konnte, auch die örtliche Hebamme. Totgeburten, Notfälle oder schwierige Geburtssituationen waren an der Tagesordnung, die Sterblichkeit von Kinder oder Mütter noch im Wochenbett war gerade kurz nach der Geburt sehr hoch.
Die gesellschaftlichen und industriellen Veränderungen in Hockenheim führten zu höheren Ansprüche bei den meist wohlhabenden Bevölkerungskreise. Diese Frauen nutzten für ihre Geburten gerne die Krankenhäuser in Speyer, Mannheim oder Heidelberg – für den größten Teil der Bevölkerung ob der damit verbundenen hohen Kosten reiner Luxus. Hockenheims damaliger katholischer Stadtpfarrer Josef Englert erkannte den dringenden Handlungsbedarf und kam nach intensiver Beratung im Stiftungsrat, dem Verwaltungsorgan der katholischen Pfarrgemeinde St. Georg zum Ergebnis, im Schwesternhaus St. Elisabeth ein Entbindungsheim einzurichten. Die Idee stieß in der Stadt auf großes Interesse, zumal man für damals überaus modern bereits den ökumenischen Charakter dieser Einrichtung propagierte. „Das Haus steht allen Müttern ohne Unterschied der Konfession und der Parteizugehörigkeit zur Verfügung.“ Dieser Grundsatz in der Gründungsurkunde sollte das weitere Wirken dieser Einrichtung prägen, so dass sich bald die Zahl der katholischen und evangelischen Mütter die Waage hielt. Für die damalige Zeit ein fürwahr unglaubliches Ereignis, dass auch den örtlichen Zeitungen entsprechend gewürdigt wurde. „Der Kinnerschul in der Hirschstraße wurde ein inzwischen weithin bekanntes und geschätztes Entbindungsheim angebaut. Ein sozial-caritatives Werk, das mehr noch von Auswärtigen als Einheimischen gerne genutzt wird“, war im Hockenheimer Tageblatt zu lesen.
Der Anfang war dennoch nicht einfach, galt es doch, bestehende Vorurteile zu überwinden. Dabei war die Konzeption recht einfach, konnte doch jede werdende Mutter ihre eigene Hebamme und sogar auch ihren Arzt in das Wöchnerinnenheim mit seinen 17 Belegbetten mitbringen. Dass im ersten Jahr nur 22 Kinder in St. Elisabeth geboren wurden, ließ zunächst am Erfolg der Einrichtung zweifeln. Im Jahr 1929 wurden bereits 49 Kinder „vum Klapperstorch“ gebracht. Je mehr Kinder in Hockenheim gesund und munter zur Welt kamen, um so schneller sprach sich der gute Ruf von St. Elisabeth herum. Im Jahr 1966 wurden dann tatsächlich auch 532 Geburten registriert. So viele wie niemals zuvor oder jemals später.
Obwohl sich die Erwartungen an die langsam beginnende Apparatemedizin und die hochmodernen Kreissäle immer weiter durchsetzen, erblickten doch fast 20 000 Hockenheimer in St. Elisabeth das Licht der Welt – und in der Hockenheimer Tageszeitung sowie ihren Vorgängerblätter waren zumeist diese freudigen Ereignisse in den Familiennotizen und -anzeigen zu lesen.