Der "Ölberg" am Speyerer Dom
27.07.88 (Glaube & Religion, Kirchen & Klöster)
Scheinbar klein und verlassen liegt für Besucher der alten Reichsstadt Speyer neben dem Dom ein Baudenkmal, das einst zu den beeindruckendsten Schöpfungen gotischer Baukunst auf deutschem Boden gezählt wurde – der „Speyerer Ölberg“. Die Geschichte des Denkmals reicht zurück bis in das Jahr 1509. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts war es Mode geworden, die Gefangennahme von Jesus in Bildgruppen darzustellen. Das ausklingende Mittelalter liebte diese bildliche Darstellung, die im neuen, gotischen Baustil eine plastische Darstellung fand. Auch im fürstbischöflichen Speyer wollte man einen eigenen „Ölberg“ haben. Der Baumeister Lorenz von Mainz und Heinrich, der Steinmetz des Speyerer Domkapitels, wurden beauftragt, inmitten des 1437 errichteten, spätgotischen Domkreuzganges, ein solches Werk zu schaffen. Nach intensiver Beratung mit dem Mainzer Dombaumeister Nikolaus Elser wurde 1509 mit den Bauarbeiten begonnen. Die Arbeiten waren bereits 1511 beendet, was auch das eingemeiselte Vollendungsjahr im nördlichen
Pfeiler bestätigt.
Die Baumeister hatten eine Darstellung gefunden, die der Bevölkerung besonders gut gefiel. Mit seinen lebensgroßen Gestalten,
seiner Vielfalt und seinen ausdrucksstarken Formen und Figuren erlangte der „Ölberg“ bald einen hohen Bekanntheitsgrad. Aus allen Teilen der Diözese Speyer strömten die Gläubigen in die Domstadt, um zur bildlichen Darstellung der Gefangennahme Jesu im Garten Gethsemani zu pilgern.
Der Frankfurter Jesuit Armbruster beschrieb schon sehr früh das Werk und Künstler der damaligen Zeit versuchten, den „Ölberg“ darzustellen. Noch heute liegt in der Universitätsbibliothek in Göttingen eine Federzeichnung, die den Komplex vor seiner Zerstörung während des Pfälzischen Erbfolgekrieges zeigt.
Am 31. Mai 1689 zogen die Soldaten des französischen Feldherrn Monclar plündernd und brandschatzend durch die alte Domstadt. Bereits Tage zuvor war Speyer gefallen und in Brand gesteckt worden. Was dadurch noch nicht zerstört war, wurde jetzt von den Mordbrennern endgültig dem Boden gleich gemacht. Auch der „Ölberg“ wurde innerhalb weniger Stunden zur
Ruine verstümmelt. Und was die Soldaten des französischen Sonnenkönigs Ludwig XIV. nicht geschafft hatten, holten 1794 die Jakobiner im Revolutionskrieg nach. Der „Ölberg“ lag jetzt total zertrümmert da.
Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts stellten das Domkapitel und private Förderer Mittel zur Verfügung, um den bildnerischen Teil vergleichsweise bescheiden wieder herzustellen.
Die historische Federzeichnung zeigt einen Überbau aus gelblich weißem Vogesen-Sandstein. Getragen von sechs schlanken Pfeilern, nach innen als Gewölbestützen reich gegliedert, nach außen prächtig verziert, waren bereits die Umbauung und das Dach des „Ölberges“ eine architektonische Meisterleistung.
Innerhalb des Überbaues befand sich der eigentliche Ölberg, der aus unregelmäßigen Steinblöcken errichtet worden war. Diese wurden so geschickt angeordnet, daß die Baumeister darunter sogar noch eine Kapelle einrichten konnten. Das fromme Bauwerk sollte möglichst lebendig wirken, weshalb Efeu, Bäume und Buschwerk in die Felslandschaft gepflanzt wurden. Bunt blühende Wildkräuter wie Mohn, Haselwurz und Ehrenpreis wechselten sich mit üppigem Farnkraut ab. Die Figurengruppe
wurde beherrscht von dem auf der obersten Fläche des Hügels knieenden Jesus. Die Federzeichnung zeigt die Figurengruppe übrigens in Rüstung und Kleidung des Kriegsvolkes aus dem 15. und 16. Jahrhundert.
Von dem geschlossenen Gesamtbild bekommen die Besucher der Domstadt heute nur noch wenig mit, wenn sie den „Ölberg“ auf dem vom Laub mächtiger Bäume überdachten südlichen Domplatz anschauen. Aber trotz der vergleichsweise bescheidenen Dimension hat sich an der Bedeutung der Botschaft wenig geändert.