Der Roßsprung bei Speyer
06.07.12 (Geschichten & Erzählungen)
Einmal ritten zwei Ritter zum Tor der Stadt Speyer hinaus, die Köpfe warm von einem Gelage, dem sie beigewohnt hatten. Da sagte der eine, Fritz von Rinkenberg, in plötzlicher Aufwallung jugendlicher Ungeduld: »Ist es doch, als wären unsere Rosse schon tagelang auf den Beinen! Das mag ich nicht leiden! Wohlan, wir wollen, um die trägen Tiere fühlen zu lassen, daß sie Ritter tragen, um nicht selbst einzuschlafen, ein Wettrennen beginnen. Was gilt’s, mein Rappe ist schneller als dein Schimmel? Sieh, diese Kette, der Preis meines Sieges beim letzten Wormser Turnier, ist dem, wenn du mir vorkommst.«
Hans von Otterstadt, sein Begleiter, ließ sich den Vorschlag gefallen. Nachdem er auch seinen Teil in die Wette gegeben hatte, nahm das Rennen seinen Anfang. Dumpf grollte die Erde unter den mächtigen Hufschlägen der flüchtigen Renner; Staub wirbelte empor, einer Wetterwolke vergleichbar, aus welcher der Schlag der Hufe Blitze entsendete. Immer schneller flogen die Ritter dahin, doch keinem gelang es, dem anderen vorauszukommen. Endlich geriet der ehrgeizige Rinkenberg, der seines Sieges gewiß war, in Wut und suchte durch die Schärfe des Sporns den Rappen zum schnellsten Laufe anzutreiben, so daß Schaum und Blut sich am Bauch des Tieres mischten, das, vom Schmerz zur Verzweiflung gebracht, seine letzten Kräfte zu einem Satz zusammenraffte.
Aber dann stürzte es mit so großer Wucht auf den Boden, daß es wie dürres Holz zusammenknackte, um nie mehr aufzustehen. Der Ritter hauchte neben dem toten Roß mit zerschmettertem Gehirn ebenfalls den Geist aus. Seitdem hört man zuweilen auf der Stelle, wo der Ritter und sein Rappe fielen, das Röcheln eines verscheidenden Menschen und das Schnauben eines sterbenden Rosses. Die Stelle aber, wo dies geschah, heißt heute noch der Roßsprung.