Die Freimaurer in der Kurpfalz
10.03.06 (Geschichte allg., Glaube & Religion)
Historische und biografische Einblicke zum regionalen Logenwesen des 18. Jahrhunderts
In- und ausländische Kunst- und Kulturhistoriker für Landschaftsparks zur Zeit der Aufklärung sowie für freimaurerische Symbolik waren in den letzten Wochen in Schwetzingen, um dem Schlossgarten einen Besuch abzustatten. Freilich nicht zu einem der üblichen Spaziergänge, sondern um im Zusammenhang mit dem Unesco-Weltkulturerbeantrag ganz gezielt nach garten- und gebäudearchitektonischen Elementen zu fahnden, die den Wert der Anlage als kurfürstliche Sommerresidenz des 18. Jahrhunderts besonders einzigartig geraten lassen. Kurz: Um Gutachten zu erstellen, die neben der schon lange bekannten und hinreichend erwähnten Kuriosität der hiesigen Anlage in ihrer Komposition von Barock- und englischem Landschaftsgarten, architektonische Besonderheiten aufzeigt, aus denen freimaurerische Symbolelemente herauszudeuten sind. Und anscheinend waren sie recht erfolgreich. Grund für uns, die Historie der Freimaurer in der Kurpfalz etwas näher zu beleuchten:
Zu den seit Jahrhunderten immer wieder genährten falschen Einschätzungen über bestimmte Verbindungen und Gesellschaften gehört das Vorurteil, Freimaurerlogen arbeiteten so verdeckt, dass nicht mal ihr bloßes Dasein, geschweige deren Tun und Lassen enthüllt werden dürfe. Dabei ist hier zu Lande jede der rund 450 Logen nebst Vorstand und Jahresberichten – im Rhein-Neckar-Raum anderthalb Dutzend – vereinsregisterlich erfasst, lässt sich im Telefonverzeichnis nachschlagen, und enthält zum Beispiel die Heidelberger Stadtbibliothek einen freimaurerischen Druckschriftenbestand von einem drei Viertel Regalmeter. Das für jedermann zugängliche „Deutsche Freimaurer-Museum, Bibliothek und Archiv“ im Bayreuther Hofgarten weist einen Präsenzbestand von rund 20 000 „Masonica“-Bänden, zirka 35 000 Mitgliederverzeichnissen und wertvollen Nachlässen auf.
Von ebensolcher Unkenntnis selbst unter Akademikern zeugt ferner die Tatsache, dass das Wort „Loge“ gefühlsmäßig, gleichsam automatisch, mit Freimaurerei assoziiert wird, wogegen es doch etliche Bruderschaften gibt, wie beispielsweise die des Odd-Fellow-, des Druiden- oder des B’nai-B’rith-Ordens, die sich ebenfalls als Logen vereinigen, obwohl sie mit der Freimaurerei ganz und gar nicht liiert sind. Drittens hält sich hartnäckig das Vorurteil eines ausschließlich Männern vorbehaltenen Bundes, obwohl neben „maskulinen“ weltweit auch „gemischte“ und „feminine“ Freimaurerlogen existieren.
Richtig an der Beurteilung „geheim“ (ein treffenderes Wort wäre „vertraulich“) ist jedoch dies: „Aufgeklärte“ Katholiken, darunter Priester, die sich in den vergangenen 269 Jahren in Freimaurerlogen aufnehmen ließen, wurden auf Wunsch und zu deren Schutz in den Mitgliederlisten anonymisiert oder nicht verzeichnet. Darüber hinaus hielt man Treffpunkte und -zeiten bedeckt, um Nachstellungen der Kirche, die bis zur Exkommunikation der Ungehorsamen reichten, unterbunden zu wissen. Dafür gibt es prominente Beispiele. In der Begrüßung des Logenmeisters nach erfolgter Aufnahme in den freimaurerischen Lehrlingsgrad am 14. Dezember 1784 anonymisiert wurden etwa ein Wiener Kaplan Wenzel Summer sowie Wolfgang Amadeus Mozart. Das auf dieser Seite veröffentlichte Dokument beweist dies. Man konnte also damals sehr wohl ,aufgeklärter‘ Katholik und zugleich Freimaurer sein. Die Logen haben damals wie heute Katholiken die Aufnahme allein wegen ihres Glaubens bestimmt nicht verwehrt, der Klerus hingegen hielt und hält individuell abgestufte Sanktionen gegen seine „Ketzer“ bereit.
Überhaupt ist es mit freimaurerischen Prinzipien unvereinbar, einen „Suchenden“ nach dessen Konfessions- oder gar Religionszugehörigkeit zu befragen. Nicht zuletzt die zu Toleranz gemahnende „Ringparabel“ des Freimaurers Gotthold Ephraim Lessing in seinem „Nathan“ ist dafür das glänzendste Zeugnis abendländisch-aufgeklärt-toleranter Kulturgeschichte. Kurz, im Laufe der Zeit kam es zu der absurden Situation, dass freimaurerische Großkörperschaften Geheimhaltungsvorwürfe gerade vor jenen in Rom und gegenüber der politischen Öffentlichkeit entkräften mussten, die das Selbstschutz- und Verschwiegenheitsgebot der Bruderschaft erst verursacht hatten. So dürfte auch der Umstand zu erklären sein, dass der Beichtvater Karl Theodors, der Jesuitenpater Franz Seedorf, Mitglied der Mannheimer Loge „St. Charles de l’Union“ gewesen war, genauere Daten zu seiner „Vita Masonica“ bei „Carl zur Eintracht“ aber anscheinend nicht verzeichnet worden sind. Und wer weiß, vielleicht auch beiseite geschafft, nachdem Karl Theodor von einer vergleichsweise liberalen Mannheimer Duldungspolitik nach 1778 in München zu einer weit stringenteren überging und im Zuge des Illuminatenverbots die Freimaurer einschloss und deren Logentätigkeit erneut untersagte. Seedorf, 1758 verstorben, lebte zeitweise in Schwetzingen.
Erneut? In der Tat, denn 47 Jahre vor seinem Münchener Verbot vom 22. Juni 1784, das neben bayerischen auch die pfalzbayerischen Gebiete tangierte, während unter Kaiser Josef II. in Wien die Freimaurer munter weiterarbeiten durften, hatte Karl Theodors Vorgänger, der bis 1742 regierende Karl Philipp, die Aktivitäten der „so genannte(n) Bruder- oder Gesellschaft des Francs-Maçons“ schon einmal scharf unterbunden. Und zwar durch sein Dekret vom 21. Oktober 1737, in dessen handschriftlicher Primärfassung seine umgehende Verbreitung in den Hauptstädten Mannheim, Heidelberg und Frankenthal sowie in weiteren Oberämtern gefordert wird, und der Kurfürst darin – erstmals auf deutschem Boden – unter Androhung der Amtsenthebung jedem im eigenen Zivil- oder Militärdienst stehenden Manne die Zugehörigkeit zur Freimaurerei verbietet. Zudem sollten Fremde aus der Kurpfalz gewiesen werden, die sich in Gasthäusern als Logenbrüder bekannt hatten.
Zweifellos folgte Karl Philipp damit einem vorläufigen Konferenzergebnis des vatikanischen Inquisitionsgremiums vom 25. Juni 1737, welches die Erörterung über die Bruderschaft und damit den Kampfbeginn der Kirche gegen die Freimaurer eingeleitet hatte. Immerhin war – dies ist zu bedenken – zwei Jahre zuvor in Rom die erste Loge gegründet worden.
Fünf Monate nach Philipps Dekret in Mannheim, am 28. April 1733, erließ mit der Bulle „In eminenti . . .“ Klemens XII. sein Verbot gegen die Bruderschaft. Darin wirft ihr der Papst vor, dass in ihren Zusammenkünften „Menschen aller Religionen und Sekten, mit dem angemaßten Schein einer gewissen Art von natürlicher Rechtschaffenheit zufrieden, durch ein enges und geheimnisvolles Bedürfnis nach festgestellten Gesetzen und Gebräuchen sich miteinander verbünden und zugleich im Geheimen wirken, indem sie durch einen auf die Heilige Schrift abgelegten Eid zu einem unverbrüchlichen Stillschweigen verpflichtet werden“. Nicht mehr und nicht weniger und nach heutigem Verständnis von Gewissensfreiheit geradezu böswillig, zumal manch europäischer Staat ein Verbrüderungsverhalten freimaurerischer Art mit dem Tode bestrafen ließ.
Die Reaktion aus dem protestantischen Lager blieb nicht aus: Friedrich II., damals noch Kronprinz in Preußen und aus einem Hause, das sich in Europa durch die Aufnahme asylsuchender hugenottischer Glaubensflüchtlinge hervorgetan hatte, dem die repressive Praxis der süddeutschen Katholiken sowie der römische Bann gewiss nicht entgangen waren, ließ sich noch im gleichen Jahre zum Freimaurer initiieren. Nämlich in der Nacht zum 14. August 1738 in einem Braunschweiger Zunfthaus vom ersten Lehrlings- über den zweiten Gesellen- bis zum dritten, dem freimaurerischen Meistergrad. Und spätestens 1740, nach seiner Thronbesteigung, war sein Entschluss mit der Charlottenburger Logengründung zum demonstrativen Akt gereift. Wenig bekannt ist bis heute, dass eine seiner weit über die Grenzen Preußens bekannt gewordenen Aussagen der Regierungszeit Friedrichs des Großen, wonach jeder „nach der eigenen Façon selig werden“ solle, ein durchweg freimaurerisches Credo darstellt. Als solches wird es in Geschichts- und Schulbüchern freilich nie beschrieben.
Nun führte die Frage darüber, ob sich am Pfälzer Hof überhaupt Freimaurer aufgehalten haben könnten, sowohl in dessen innen- als auch außenpolitischen Status Quo des beginnenden 18. Jahrhunderts. Bezüglich des Ersteren sei hier nur angemerkt, dass sich regionale Konfessionsstreitigkeiten zwischen Reformierten und Lutheranern einerseits und Katholiken andererseits bis in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges zurückverfolgen lassen, wobei schließlich die um die Raumteilung der Heidelberger Heiliggeistkirche schwelenden Auseinandersetzungen von 1719/20 anscheinend deren sichtbaren, ultimativen Ausdruck darstellten. Was in diesem Zusammenhang jedoch bedeutungsvoll scheint, ist der Umstand, dass sich benachteiligte Reformierte und Lutheraner der Stadt Hilfe suchend an protestantische Mächte in Europa als Garanten des Westfälischen Friedens gewandt haben mussten, und Georg Ludwig von Hannover, seit 1714 als Georg I. König von England, tatsächlich auch vermittelnd eingriff. Und zwar im Verlaufe der sich hier verschärfenden kirchenpolitischen Auseinandersetzungen – Karl Philipp hatte seine Residenz via Schwetzingen nach Mannheim verlegt – indem er den jungen, zuvor aus Glaubensgründen aus Bückeburg über Herrenhausen und das damals katholische Wolfenbüttel sowie über Wien, Utrecht und Paris an den englischen Hof geflüchteten Grafen Albrecht Wolfgang von Schaumburg-Lippe zwei Mal nach Mannheim entsandte. Das erste Mal 1724 mit einigem Vermittlungserfolg für die bedrängten Pfälzer, das zweite Mal 1926 mit nur mäßigem.
Das historiografisch noch weitgehend unbeachtet Gebliebene an der Mission des jungen Diplomaten: Albrecht Wolfgang war um 1724/25 zusammen mit anderen Glaubensflüchtlingen in London Freimaurer geworden. So mag er aus dieser Sicht den diplomatischen Auftrag des Protestanten Georg I. gar als eigene moralische Pflicht empfunden haben, konfessionell Bedrängten zu Hilfe zu kommen. Dass aber aus seinen mehrmaligen längeren Aufenthalten in der Quadratestadt (wo am 8. April 1726 seine Gattin verstarb und in der Trinitatiskirche bestattet wurde) eine freimaurerische Gründungszelle entstanden sein könnte, die sich im Laufe der folgenden elf Jahre zum Bruderkreis mit einhergehenden Wirtshausbekenntnissen fortentwickelt haben mochte, ist ein einladender Gedanke, doch lässt er sich mangels dokumentarischer Belege noch längst nicht zu einer Arbeitshypothese erhärten. Gelänge ein Nachweis doch, so wäre nicht Hamburg mit seiner Gründung im Dezember 1737 der erste Logensitz in Deutschland, sondern Mannheim. Um diesen Gedanken noch weiterzuflechten, wären nicht die Alsterarkaden die ersten künstlichen Anlagen gewesen, wo Freimaurer an Sonntagen spazieren gingen, sondern es wäre Schwetzingen geworden, wo Logenbrüder hätten „lustwandeln und frohlocken“ können.
Unabweislich gesichert ist aber: Schwetzingen war zu verschiedenen Zeiten im 18. Jahrhundert der feste Wohnsitz mindestens zweier einflussreicher Aristokraten, die Freimaurer waren oder noch werden sollten: Friedrich Michael von Zweibrücken und sein Sohn Maximilian Joseph. Fortsetzung folgt
© Schwetzinger Zeitung – 10.03.2006
von Dr. Hans-Detlef Mebes