Ein Ort umrahmt von vielen baulichen Zeitzeugen
07.01.14 (Kirchen & Klöster, Landschaft & Orte, Städte & Gemeinden)
Der St. Guido-Stifts-Platz in Speyer / Bereits im Mittelalter erwähnt
Der Platz gehört zu den ältesten der Stadt. Er wird bereits im 12. Jahrhundert urkundlich erwähnt als „platea sancti widonis“ des hier seit dem 11. Jahrhundert bestehenden Stiftes St. Guido, das auf dem nach ihm benannten Weidenberg steht. Namensgeber ist der Heilige Guido von Pomposa (ca. 970-1046), dessen Gebeine Kaiser Heinrich III. schon 1047 nach Speyer überführen ließ, in die „dem heiligen Apostel und Evangelisten Johann geweihte“ und nach ihm benannte Stiftskirche.
Der Name Guido oder Wido (frz. Guyon oder Guy) bedeutet „Waldmann“, was sich von dem germanischen Namen Witholt ableitet (Wit = Wald, Hold = Mann); daher erklärt sich auch die Verballhornung zu Weiden(-berg). Das Guido geweihte Stift, das um etwa die gleiche Zeit entstand wie der Dom, wurde später während der Französischen Revolution aufgehoben und zerstört.
Stadtmauer gibt Bebauung vor
Die Verlängerung der Wormser Straße, früher Kornmarkt genannt, führte zum nördlichen Ausgang der Stadt, dem Weidentor (früher auch als Wormser Tor oder Guidotor bekannt). Überreste der hier einst in Ost-West-Richtung verlaufenden Stadtmauer sind in der Petschengasse und am Hirschgraben noch heute erhalten. Der Verlauf dieser Straße sollte großen Einfluss auf die bauliche Entwicklung am St.-GuidoStifts-Platz haben, führte sie doch einst an dessen (heute) östlichem Rand entlang, begrenzt von den kleinen, heute noch bestehenden Anwesen aus dem 18. Jahrhundert, die sämtlich auf Vorgängerbauten fußen. An der Westseite des Platzes lag das so genannte Hammelroth. Dieser Name entwickelte sich vermutlich aus einem einst dem Zisterzienserkloster zu Himmerode/Eifel gehörenden Anwesen, das sich in Speyerer Archivalien schon im 15. Jahrhundert Erwähnung findet.
Durch Rechtsstreit ursprüngliche Ansicht des Platzes erhalten
Der älteste Vorgängerbau des heutigen Eckanwesens an der Mündung von Wormser und Armbruststraße (Wormser Str. 30) war Jahrhunderte lang Eigentum des St.-Guido-Stifts. Die Quartierliste für den Speyerer Reichstag 1541 bezeichnet ihn als „Dechanei am Guidoberg“; sie bot damals Platz für drei Betten, eine Stube sowie Stallraum für vier Pferde. Einem seit 1547 vor dem Reichskammergericht anhängigen Rechtsstreit zwischen Stadt und Stift sind die ältesten Darstellungen dieser Platzeinmündung zu verdanken: Der Speyerer Meiser Christoph Hesler fertigte 1555 vier aquarellierte Zeichnungen für einen Prozess. Es handelt sich hier offensichtlich um den auch in einer Urkunde des Stadtarchivs Speyer erhaltenen Vorgang: Ausgestellt am 21. Juli 1547 geht es dort um einen Streit zwischen St. Guido und dem Stadtrat wegen eines Neubaus auf dem Weidenberg.
Mitte des 18. Jahrhunderts umfasst der Besitz ein Wohnhaus, ein großes Gartenhaus bzw. einen Tanzsaal mit Wirtschaft, ein Nebengebäude sowie ein Badhaus, alles eingeschossig und nicht unterkellert. Im Dezember 1833 geht das Gesamtanwesen an den Mechanicus und Uhrmacher Johann Georg Porth (†1867), der hier um 1825 seine Turmuhrenfabrik gründet. Der Erbauer der neuen Domuhr (1833) wohnt zunächst als Mieter in seinem späteren Anwesen. Nachfolger seines gleichnamigen ältesten Sohnes und Nachfolgers (†1892) wird Karl Friedrich Porth (†1912). Das Anwesen umfasst damals das „dreistöckige Wohnhaus am St.-Guido-Stifts-Platz und Ecke der Wormser Straße, Seitengebäude, Werkstätte, Remise und Hofraum, Ziergarten sowie Gemüsegarten“, mit zusammen 1.200 m². Der zuletzt unter dem Namen „Turmuhrenbau L. Porth, Nachfolger Fritz Hofmann“ firmierende, bekannte Betrieb besteht bis Anfang der 1970er Jahre.
Das schon früher veräußerte platzprägende Anwesen Wormser Straße 30 wurde Ende Dezember 1955 abgerissen. Anfang des 19. Jahrhunderts wird der Platz umgestaltet Die alleeähnliche Baumbepflanzung, die auf dem Platz bis zur einseitigen Fällung im Rahmen der aktuellen Platzneugestaltung 2012/13 mehrfach erneuert wurde, stammt ursprünglich aus der Zeit 1821/22. Der älteste genau vermessene Speyerer Stadtplan (1821) zeigt die Bäume in Straßen- bzw. Alleebreite, fortgeführt in gleicher Breite in der nördlich weiterführenden Wormser Landstraße. Im Januar 1821 hatte die Stadt um die Erlaubnis gebeten, dass „eine dritte Reihe Bäume auf der entgegengesetzten Seite der Straße in der Richtung der durch dieselbe angegebenen Linie gepflanzt werden darf, neben welcher auf dem freyen Platze, innerhalb des ehemaligen Wormser Thores, durch die hiesige Stadt eine Promenade angelegt wird“.
Im Stadtplan von 1821 ist sowohl die alleeartige Bepflanzung des St. Guido-Stifts-Platzes als auch der folgenden Wormser Landstraße zu sehen, ebenso der Botanische Garten. In jener Zeit ist auch die Anlage eines Weges durch den ehemaligen Hirschgraben in Vorbereitung sowie eine Verbindung zwischen Klipfelstor und Wormser Tor. Dieser Weg wird auch über das dem Hospital gehörende, außerhalb des Botanischen Gartens liegende, öde Terrain führen, um später mit der Chaussee vereinigt zu werden.
Durch die Begradigung der Wormser Straße kommt es zu einer bedeutsamen Lageveränderung. Der frühere Mehlhändler Balthasar Grosius erwirbt 1810 das 1796 enteignete Stift St. Guido samt dem dazu gehörenden großen Grundstück. Am heutigen Sankt-Guido-StiftsPlatz 4 richtet er den Gasthof „Zum Weidenberg“ ein. Führte die Straße ursprünglich weiter östlich am Garten des Gebäudes vorbei, lag es nun direkt an der Straße – eine einmalig günstige Lage, an der damals einzigen Eingangsstraße zur Stadt von Norden her. Die an ihrem nördlichen Ende auf den Platz mündende Armbruststraße, selbst Fortführung der Großen Himmelsgasse bzw. der Johannesgasse, war einst auch unter den Bezeichnungen Breite Straße, An der Erdbrust oder An der Armbrust bekannt. Die Kleinbebauung auf der Ostseite des Platzes läuft von Süden aufsteigend in den ungeraden Nummern, beginnend mit Nr. 1 nördlich neben dem einstigen Marthaheim: 1 – 5 – 7 – 9 – 11. Bis auf das Haus Nr. 5 (einstmals Mülbergersches Anwesen) stammen die unter Denkmalschutz stehenden Gebäude sämtlich aus dem 18. Jahrhundert. Nr. 1: trägt an seiner Rundbogeneinfahrt einen Scheitelstein mit Wappen samt Initialen GSM und der Jahreszahl 1705. Die tonnengewölbten Keller sind noch heute erhalten.
Der Gesamtkomplex umfasste 1927 beim Verkauf durch den Kaufmann Konrad Claus an den Diözesan-Caritasverband ein „zweistöckiges Wohnhaus mit Einfahrt und Treppenhaus, dann zweistöckigen Seitenbau, Waschküche, Remise, Stall und Magazin, dann Hofraum und Winkel, ein großer Gras- und Baumgarten mit Weiher“. Das Haus war fast 40 Jahre lang im Besitz von Konrad Claus gewesen, er selber hatte es 1888 von dem Ziegeleibesitzer Georg Grund erworben. Der Caritasverband baute das Haus um in ein Altenheim (St. Martha). Das Heim wird bis 1973 von den „Schwestern vom heiligen Paulus“ geführt. 1931 erfolgt ein Erweiterungsbau mit neuer Kirche, Versammlungsraum und Schwesternwohnheim.
Das 2.500 Quadratmeter große Gartengrundstück samt Schweine- und Hühnerstall diente der weitgehenden Selbstversorgung der auf Sparsamkeit bedachten Einrichtung. Von 1974 bis 1984 wurden die rund 60 Bewohner von weltlichem Personal betreut. Von 1984 bis 1988 stand das Haus leer. Ab 1988 stellte der Diözesan-Caritasverband nach erheblichen Investitionen das Haus bis ins Jahr 2001 dem damals dringenden Bedarf als Aussiedler-Wohnheim zur Verfügung, ehe es samt Grundstück an die Speyerer Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft (GEWO) verkauft wurde. Heute ist das Gebäude in Privathand, im Garten entstanden in den vergangen Jahren Reihenhäuser.
Nr. 5: Allgemein bekannt als das Mülbergersche Anwesen. Der großzügige, ursprünglich zweigeschossige Bau wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts errichtet; sein heutiges Aussehen erhielt er im Jahre 1909, Auftraggeber und Besitzer damals war Kommerzienrat Heinrich Mülberger. Das neue dritte Geschoss erhielt ein Walmdach, unverkennbar und prägend direkt darunter der riesige liegende Putto, neu damals auch die von Säulen getragene Loggia über dem Erdgeschoss. Dank eines Inventars aus dem Jahre 1861 wissen wir um die Wohnverhältnisse: Es besteht aus einer „Schlaf- und Wohnstube, Küche, Stall, Gang, Keller und Speicher“. Das Anwesen bleibt bis mindestens Mitte der 1980er Jahre im Besitz der Familie Mülberger.
Nr. 7: Als die frühesten Bewohner des giebelständigen Häuschens werden Johann Jacob Hehl und 1714 Jacob Bachmann genannt. 1796 ist die Gärtnerwitwe Eva Maria Zahnecker Besitzerin, nach ihr Tochter Maria Magdalena, die mit dem Kanzleiboten Johann Georg Betsch verheiratet ist. 1851 und 1858 wird das Haus weiterverkauft. Neun Jahre später verkaufen die Vormünder der minderjährigen verwaisten Kinder der letzten Besitzer das Haus wegen Unrentabilität an Ludwig Wilhelm Mülberger, Eigentümer des benachbarten großen Anwesens Nr. 5.
Nr. 9: Ein großzügigerer Bau als Nr. 7. Für 1714 ist der Krämer Martin Seipp als Besitzer nachgewiesen, für 1773 laut Beckerscher Stadtvermessung Leinenweber Bartholomäus Schmidt. Seit spätestens 1831 sind die Besitzer des giebelständigen Putzbaus Ackersleute: Beginnend mit Johannes Kay und Johann Georg Oppinger, sind die Oppingers dann seit 1845 die alleinigen Besitzer des Anwesens, das damals auch Scheune, Kuh-, Schweine- und Pferdestall umfasst, sowie Heulager, Hof und Garten auf seinen insgesamt 520 m2 Fläche – nicht zu vergessen die uralten tonnengewölbten Keller. Auch heute noch ist es in Familienbesitz; der zum Anwesen gehörende Hahn und seine Hennen sind gewiss jedem Kunden der „Curry-Sau“ schon einmal über den Weg gelaufen.
Der Kultimbiss „CurrySau“ – 1970 gegründet als „Imbiss am Guido-Stifts-Platz“ – firmiert heute als Hausnr. 13. Unter dieser Nummer war bis damals die bekannte „Bretzelbäckerei“ der Witwe Kling zu finden. Sie gab 1910 anlässlich des ersten „Bretzeltags“ am 29. Mai eine Ansichtskarte mit Geschäftsansicht heraus; das gesamte Personal posierte vor dem festlich beflaggten und bekränzten Gebäude. Nr. 11: Eineinhalbgeschossiges Häuschen mit steilem Satteldach. 1714 städtisches Wachthaus neben dem Weidentor und demzufolge auch Wohnung des Torknechts. Haus, kleiner Hof und Schopf umfassen lediglich etwa 66 m2. Als um 1818 der größte Teil der Speyerer Stadtmauern abgerissen wird, erwirbt der Ackersmann Heinrich Engelhardt den Besitz. Das Haus bleibt im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts nie lange in einer Hand, bis es schließlich 1927 in den Besitz der Familie Jakob Detzner (Expressgutzusteller) gelangt. Seiner Familie gehört das kleine Anwesen noch 1983.
Eine Besonderheit ist der spätmittelalterliche Konsolstein in Form eines Hundekopfes. Er befindet sich an der Grundstücksnordgrenze in der Stadtmauer. Nr. 15: Einst letztes Haus in der Abfolge. Von Besitz und Funktion ist das 1805 erbaute Anwesen untrennbar mit der Neumühle (später letzte städtische Mühle, noch später Capitol-Kino, heute Getränkemarkt) verbunden. Als ihr Eigentümer ist 1786 der Neumüller Johann Daniel Minck bekannt. Bis 1849 ist das zweigeschossige Anwesen in dessen Familienbesitz, danach wiederum fast fünfzig Jahre im Besitz der Familie Gauweiler. Auf den Pferdemetzger Andreas Gauweiler (1897) folgt um 1910 der Metzger Heinrich Freytag. Ein bekannter Name taucht 1917 auf – der Speyerer Architekt Reinhold Bräuer. 1979 wurde das Haus geräumt, danach abgerissen.
Nicht minder interessant ist die Bebauung auf der Westseite des St.-GuidoStifts-Platzes, wenngleich aus verschiedenen Gründen nicht so einheitlich wie die Ostseite, die denn auch mit den Häusern 7 – 9 – 11 eines der seltenen erhaltenen barocken Bauensembles unserer Stadt darstellt. Nr. 4: Die einst bekannte Gaststätte „Zum Weidenberg“ könnte heute auf eine fast 300-jährige Bau- bzw. 200-jährige Gasthofsgeschichte zurückblicken, wenn sie nicht im Februar 1972 abgerissen worden wäre, um einem Neubau der LIGA Platz zu machen. Seinen Namen erhielt der Gasthof 1830/31. Ab 1863 im Besitz der Familie bzw. der Witwe Hoffmann, folgt auf sie für einige Jahre ihr Schwiegersohn Jakob Bregenzer, zuvor Wirt im bekannten Pfälzer Hof (Maximilianstr. 13). Seit Mitte 1900 besitzt und führt den „Weidenberg“ das Ehepaar Heinrich und Maria Detzner fast fünfzig Jahre, danach ihre Töchter Elisabeth Jester und Eugenie Schey. 1951 wird „Liesl“ Jester Alleinbesitzerin des traditionsreichen Treffpunkts – zu Beginn von Fuhr- und Bauersleuten der Speyerer Umgebung, später zahlreicher Hörer und Dozenten der Hochschule für Verwaltungswissenschaften. Vor Abriss des Anwesens 1972 nimmt Liesl Jester Mobiliar und vor allem das weithin bekannte Orchestrion in ihren „neuen“ Weidenberg in die St.-Guido-Straße mit. Er bestand bis 1995 und wird weiter bestehen – wenn auch an anderem Ort: Das vollständige Mobiliar gab Liesl Jester an das Bruchsaler Museum für Mechanische Musikinstrumente, wo die Wirtschaft in einem eigenen Raum originalgetreu aufgebaut wurde.
Nr. 6: Noch heute vielen Speyerern als Villa Seithel bekannt. Das Grundstück gehörte einst zur Gaststätte Weidenberg, mit etwa der gleichen Fläche. Im Oktober 1886 wird es als „Pflanzgarten am St.-Guido-Stifts-Platz, neben dem Hirschgrabenweg und einem anderen Weg“ bezeichnet, und von dem Speyerer Ziegeleibesitzer Georg Gund junior (1856-1931), Initiator der Vereinigten Speyerer Ziegeleiwerke“ (1889) erworben, der hier seine repräsentative und werbewirksame Villa erbauen lässt; eineinhalbgeschossig, in gelbem Backstein, mit roter Sandsteingliederung. 1902 verkauft er seine Villa samt dazugehörigem Baum- und Ziergarten (insgesamt 940 m2). Er lässt sich später in Basel nieder. 1937 erwirbt der praktische Arzt Dr. Willibald Rackl (1892-1942) das Anwesen und richtet eine Praxis ein. Seine Witwe verkauft an Dr. Reinhard Seithel, der sich seinerseits hier Anfang 1959 niederlässt. Der Hals-Nasen-Ohren-Facharzt wirkt – auch als Klinikarzt – fast ein halbes Jahrhundert in Speyer, wird besonders bekannt als Verfechter der Neuraltherapie, insbesondere zur Schmerzbekämpfung. Er stirbt Ende der 1980er Jahre. Die Seithel-Erben haben das platzprägende Eckanwesen inzwischen veräußert. Erfreulich ist, dass die neuen Eigentümer das Gebäude außen, aber auch innen, fast unverändert in seiner Baustruktur erhalten haben (Diele mit Waschbrunnen, kassettierte Decken, Wandverkleidungen, Sprossenfenster, usw.).
Quartalsheft 1/2014 Verkehrsverein Speyer
Katrin Hopstock
Abt. Kulturelles Erbe – Stadtarchiv Speyer