Kurpfalz Regional Archiv

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Gerichtsbräuche vor über dreihundert Jahren

18.03.02 (Recht & Ordnung)

Wieviel Menschen nehmen unbedacht das Wort von der „guten alten Zeit“ in den Mund, ohne sich darüber im Klaren zu sein, was in früheren Zeiten nun wirklich „besser“ war. Genau genommen war gar nichts besser, denn bereits damals machten sich die Menschen einander das Leben schwer. Und von Übelständen war auch in Hockenheim kein Jahrhundert frei. Was die früheren Zeiten aber vor der unseren auf jeden Fall voraus hatten, das war die menschliche Nähe, in der die Leute miteinander lebten. Und dieses engere Beisammensein hinterließ in der Erinnerung das Gefühl der besseren, der menschlichen wärmeren Zeit.
Wie menschlich war zum Beispiel aber das Gerichtswesen vor dreihundert Jahren? Es soll nicht von den höheren Gerichtsinstanzen gesprochen werden, vor denen die Verbrecher abgeurteilt wurden und deren Ansichten und Praktiken uns heute oft in Schrecken versetzen könnten, sondern von den niederen Gerichten wie dem Hockenheimer Ortsgericht. Hier kamen die kleinen Händel des Alltags zur Verhandlung, das gewöhnliche Leben des Volkes trat in Erscheinung.
Die Dörfer in der Kurpfalz hatten dereinst das Recht, die niedere Gerichtsbarkeit auszuüben. Die freien Bürger des Ortes an der unteren Kraich waren zum Richteramt berufen, der aus ihrer Mitte gewählte Sprecher war der Dorfrichter. Er hatte, unterstützt vom Rat, die Entscheidungen zu fällen. Es war also ein reines Laiengericht. So wurde oft nicht nach dem Gesetz, sondern nach dem gesunden Rechtsempfinden das Urteil gesprochen. Es wurde nach Gerechtigkeit und Billigkeit entschieden. Zur Verhandlung gelangten die Vorfälle des Tages, Ehrenkrängungen, nachbarlicher Streit, Zank um Wasser- und Besitzrechte, Schuldeneintreibungen und Unstimmigkeiten im Handwerk, Brotneid und Verstöße gegen die verbrieften Rechte. Den Hauptteil aller Gerichtsfälle bildeten die Zerwürfnisse der Menschen untereinander.
Es war vor dreihundert Jahren ganz an der Tagesordnung, dass die Männer aneinander gerieten, oft gemeinsam mit ihren Ehefrauen. Bürger so gut wie Bauern, Reiche ebenso wie Arme. Besonders beim Zechen ging das Temperament durch, alter Groll brach durch, und es kam zum Handgemenge. Bürger verprügelten einander auf offener Gasse, rauften sich an Haar und Bart und, wenn sie Stöcke trugen, hieben sie mit diesen aufeinander los. Die Bauern kannten noch das Herausfordern: Waren sie verfeindet und hatten sie genug getrunken, dann wurde der Gegner aus der Wirtsstube herausgerufen und musste sich dem Herausforderer zum Kampf stellen. Das war ungeschriebenes Gesetz, dem sich niemand entziehen durfte.
Zur Gerichtssitzung kam es nur, wenn Klage erhoben wurde. Es wurde eine Tagsitzung anberaumt, bei der der Dorfrichter (meist zugleich auch Schultheiß) den Vorsitz führte. Zu der Sitzung erschienen der Kläger und der Beklagte. Der Kläger brachte den Tatbestand vor, der Beklagte durfte sich verteidigen. Gegen seine Ausführungen hatte der Kläger neuerlich Gelegenheit, seinen Standpunkt darzulegen, gegen den der Beklagte wiederum auftreten konnte. Aber öfter als dreimal durfte Rede und Gegenrede nicht gewechselt werden. Das Gericht hatte die Aufgabe, einen Vergleich herbeizuführen. Handelte es sich um Grenz- oder Besitzstreitigkeiten, wurde vom Rat eine Beschau an Ort und Stelle vorgenommen.
Jeder Partei, dem Kläger als auch dem Angeklagten, stand ein „Rechtsfreund“ aus dem Kreise der Bürger zur Seite, der sich bemühte, den Streitfall nach Gerechtigkeit beizulegen. Handelte es sich um Ehrenbeleidigungen, so hatte der Beleidiger an den Beleidigten heranzutreten und ihm die Hand zu bieten und ihn um christliche oder nachbarliche Verzeihung zu bitten, sowie die Erklärung abzugeben, dass er von ihm nichts als Ehre, Liebes und Gutes wisse. Meist aber war auch der Kläger bei dem Streit in Zorn entbrannt und hatte mit Schimpfen und Tätlichkeiten nicht zurückgehalten. Dann wurden vom Gericht die beiderseitigen Beschimpfungen aufgehoben und die beiden Parteien hatten gleichzeitig zueinander zu treten und einander gleichzeitig die Hand zu bieten und um Verzeihung zu bitten. Anschließend daran wurde vom Gericht festgestellt, dass dieser Gerichtsbescheid für beide Streitteile keine Rechtsfolgen an ihrem Leumund und an ihrem Handwerk nach sich ziehe. Jede gerichtliche Aburteilung hatte nämlich damals Auswirkung auf den Handwerker oder Gewerbetreibenden: Eine Verurteilung beendete zugleich auch das Recht zur Ausübung seines Berufes, man wurde unehrlich. Und eben deswegen drängte auch das Dorfgericht, das stets bei jedem Fall die Interessen der eigenen Bürger wahrnahm,  zum Ausgleich.
Die Gerichtskosten trug der schuldige Teil, aber meist wurden sie auf beide Streitteile aufgeteilt. Zu den Gerichtskosten gehörte eine Kanne Wein, denn es spielte sich auch in Hockenheim keine Amtshandlung beim Dorfgericht ab, ohne dass dabei eine „Zehrung“ stattfand. Jede Gerichtsverhandlung wurde somit bei Wein oder auch bei einer kleinen Mahlzeit vollzogen. Die Kosten dafür hatten dafür die Parteien zu bezahlen. (og)

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