In die Pfalz "verbannt"
15.09.90 (Geschichte allg., Recht & Ordnung, Städte & Gemeinden)
Weiß-blaue Erinnerungen aus vergangenen Tage, als keiner so richtig gerne in die Pfalz wollte /Aus dem Tagebuch des königlich-bayerischen Generals Heinrich Meyer
„Wen der liebe Gott will strafen,
den schickt er nach Ludwigshafen;
wen er gar vergessen hat,
den schickt er in die Kreishauptstadt.
Doch schickt er ihn nach Germersheim,
so geh‘ er lieber in den Rhein!“
Das vielzitierte Klagelied ehedem ins pfälzische „Exil“ versetzter altbayerischer Beamten und Offiziere hörte sich fürs erste zwar bewegend an, doch erfahrungsgemäß rückten die vermeintlich Verbannten meist rasch von ihrer Lamentatio ab und bekräftigten hernach, auch wenn sie längst an Lech, Isar, Inn und Donau zurückgekehrt waren, recht erinnerungsselig, dass es sich in dem weinfrohen linskrheinischen Regierungsbezirk sehr wohl gut leben ließ. Dafür gibt’s vielerlei Belege, und ein besonders unterhaltsamer blieb das Tagebuch des bayerischen Generals Heinrich Meyer, der, wenn auch 1857 in München geboren, die Pfalz nach zwölf Speyerer Jugend- und siebzehn Dienstjahren in verschiedenen pfälzischen Garnisonen zuletzt „mit Fug und Recht als mein Heimatland“ bezeichnete.
Er war als eben Fünfjähriger in die Domstadt gekommen, wo sein Vater seit 1862 aks Regierungsdirektor amtete. Was er, der „hier rechnen und schreiben, aber auch springen und ringen, rudern und schwimmen“ lernte, später notierte, geriet – weit über die private Shäre hinaus – zu einem bunten Mosaik berührender, aber auch kulturhistorisch wie gesellschaftspolitisch interessanter Erinnerungen.
Eine Kindheit in Speyer
„Die Verhältnisse in meinem Elternhause waren einfach und bescheiden, schon dadurch bedingt, weil wir eine vielköpfige Familie waren – ich hatte einen Bruder und fünf Schwestern – und ein nennenswertes Privatvermögen nicht vorhanden war. Aber auch reiche Leute waren in Deutschland bis tief in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts von einer oft rührenden Anspruchslosigkeit. Unsere Wohnung lag in der Bahnhofstraße; von den Vorderfenstern aus sahen wir das Altpörtel, die rückwärtigen Fenster gingen auf einen Bauhof.
Der Besitzer des Hauses, in dem wir den ersten Stock bewohnten, war ein Bauunternehmer, der nicht nur, wie er sich ausdrückte, bei der Restaurierung des Domes die ‚Dumterm‘ [Domtürme] neu erbaut hatte, sondern auch gerade anfangs der sechziger Jahre [des 19. Jahrhunderts] zahlreiche neue Wohnhäuser erstellte; da wurden Bretter und Balken an- und abgefahren; lustig war’s dort, überall herumzuklettern und bei den in der besseren Jahreszeit häufig stattfindenden Hebefeiern zuzusehen. Diese Feste wurden in dem Bauhofe abgehalten. An langen Tischen saßen Dutzende von Maurern und Zimmerleuten, die vom Bauherrn mit Backsteinkäse und Wein bewirtet wurden; den Schluß bildete ein Hoch auf den Bauunternehmer; von einem Gegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer war nichts zu spüren.“
Der Tag des ersten Schulbesuchs brachte – wie für jeden ABC-Schützen auch heute – eine spürbare Zäsur. Immerhin gab es „in der demokratischen Pfalz keine Vorschule mit Standesunterschieden: Hier in der Volksschule saß alles durcheinander, hoch und nieder, arm und reich. Neben mir saß ein Junge namens S., dessen Vater den vom Hotel ‚Rheinischer Hof‘ zum Bahnhof fahrenden Omnibus [in jenen Tagen eine Pferdekutsche] auf dem Trittbrett stehend zu begleiten pflegte. Als der Lehrer die Personalien aufnahm und meinen Nebenmann nach dem Stande des Vaters frug, antwortete der, sein ‚Babbe‘ sei ‚Eisenbahnomnibushinnedruffsteher‘ …“
In der Zeit des Volksschulbesuches, aber auch noch während der ersten Gymnasialjahre „ging es durch die Hauptstraße zurück, natürlich raufend, spielend und schwätzend. Im Winter gab es große Schneeballschlachten und sogenannte Schleifen. Diese entstanden die ganze Hauptstraße entlang durch Gefrieren des den Rinnstein entlang laufenden Leitungswassers der Häuser. […] Traf ich unterwegs in die Kaserne zurückkehrende Abteilungen der Garnison, so begleitete ich sie unfehlbar bis zur Kaserne; denn von Kinderbeinen an wollte ich Soldat werden. Ich bin ein Offiziersenkel mütterlicherseits und ein Beamtensohn, aus dieser Mischung mag sich meine Wesensart erklären …“
Meine Neigung zu militärischen Dingen brachte es mit sich, daß ich bei meinem Rückweg von der Schule mich meist einem Kameraden anschloß, dessen Vater Inhaber eines militärischen Werbebureaus war. Wir hatten in Bayern bis zum Jahre 1868 eine Wehrverfassung, die ein Mittelding zwischen allgemeiner Wehrpflicht und Söldnerheer darstellte. Es waren dies die sogenannten Einsteher. Jeder Wehrpflichtige hatte damals das Recht, statt seiner einen anderen dienen zu lassen. Natürlich kostete dies viel Geld. Solche Stellvertreter aufzutreiben, auf Lager zu halten, war die Aufgabe des Wehrbureaus. Kam man in die betreffende Wohnung, so sah man eine Anzahl etwa 25 bis 30 Jahre alte, meist mit Kartenspiel oder anderen brotlosen Künsten beschäftigteLeute herumsitzen.
Aus der Zeit, in der ich in Speyer die Volksschule besuchte, sind mir ferner folgende Ereignisse in besonderer Erinnerung: Die Nachricht von dem Ableben des König Max II; alles war in größter Erregnung; die Damen der Beamten und Offiziere trugen alle Trauer, jeden Tag Trauergeläute während mehrerer Monate. Gut erinnerlich ist mir aus jener Zeit ein Besuch König Ludwigs I. in Speyer, der bekanntlich im Jahre 1848 dem Thron entsagt hatte. Leutselig wie er war, durchschritt er in Begleitung des Bischofs Weiß die Volksmenge vor dem Dom, mit den Leuten sprechend, den Schalk in den Augen und im Munde. Im Herbst 1866 kam ich ins Gymnasium, das damals in Bayern nur 8 Klassen hatte.“
Der Krieg bricht aus
Die Ausgabe des in Speyer erscheinenden königlich-bayerischen Amtsblattes für die Pfalz verhieß unter dem Datum vom 16. Juli 1870 noch tiefsten Frieden: Da wurden die Herren Beamten angehalten, am Geburts- und Namensfeste Seiner Majestät in Uniform und in gemeinschaftlichem Zuge die jeweiligen Festgottesdienste zu besuchen. Eine Liste informierte über das Resultat der diesjährigen Hebammenprüfungen. Stellen-Ausschreibungen boten veränderungswilligen Staatsdienern die Wahl zwischen Vorder- und Hinterpfalz …
Drei Tage später war alles uninteressant geworden. Nun hieß die Parole: Krieg! Und zwar Krieg unmittelbar vor der pfälzischen Haustür! Die Kreishauptstadt lag knappe 50 Kilometer von der Lautergrenze entfernt: verständlich, daß Eile geboten schien. Dementsprechend überschlugen sich in der folgenden Ausgabe des Amtsblattes die Verordnungen und Verbote.
Die protestantische Landessynode, die damals gerade in Speyer tagte, brach ihr Treffen mit einer außerordentlichen Sitzung ab. Die Schwurgerichtsverhandlungen wurden für das laufende Jahr von den Terminplänen abgesetzt. Die nahen Kirchweihfeste fielen aus. In den Städten formierten sich „Sicherheitsgarden“. Alle wehrfähigen Männer mußten zu ihren Truppenteilen einrücken und während Überängstliche die ersten Franzosen schon bei Lingenfeld gesehen haben wollten, stieg der Salzpreis binnen weniger Stunden um 100 Prozent. Zwar las man in der Zeitung, der König von Preußen habe seinen Sohn, den Kronprinzen Friedrich Wilhem, zum Oberbefehlshaber der III. Armee ernannt – doch was wollte das hierzulande schon heißen! Außer den spärlichen bayerischen Friedenskontigenten waren keine Truppen für den Verteidigungsfall vorhanden, und so meinten viele: bis die Preußen erst einmal da wären, stünden die Franzosen längst in Mainz und manchem wäre es wohl lieber gewesen, der König in München hätte es weiterhin mit der Neutralität gehalten und sich nicht gar so schnell für den Bündnisfall entschieden.
Ganz anders die Jugend: Der Tertianer war mit dabei, als „wir Dreizehnjährigen, Arm in Arm geklammert, die Hauptstraße durchzogen; wir wünschten drei oder vier Jahre älter zu sein, um auch mit in den Krieg ziehen zu können. Nach einigen Tagen stürmten wir zum Bahnhofe. Mit schmetternden Klängen fahren Truppen des 11. Preußischen Armeekorps in die Halle ein. Mit Weinkannen, mit Flaschenwein rennen wir am Zug entlang und verteilen die Gaben. Junge schöne Mädchen tragen Blumen an die Wagenfenster. Unter schallenden Soldatenliedern fahren die Züge wieder ab.
Einige Tage später: In eiligem Marsche begeben wir uns in das 1 1/2 Stunden von Speyer entfernte badische Dorf Altlußheim. Hier lagert beinahe das ganze bayerische Erste Armeekorps; es überschreitet in den nächsten Tagen bei Speyer den Rhein.
Jubel und Siegesfeiern
In schier endlos erscheinenden Reihen zogen mit den Bayern auch die Badener, Sachsen und weitere Preußen über den Strom. Die Franzosen standen an der Lauter immer noch Gewehr bei Fuß, bis am 4. August vor Weißenburg die Kanonen donnerten und die Stadt samt den strategisch wichtigen Geisberghöhen im Sturm genommen wurden. Schon am übernächsten Tag endeten in der Senke von Wörth alle französischen Eroberungsträume, Marschall Mac Mahons Armee wurde geschlagen. Vier Wochen später kapitulierte Napoleon III. in Sedan. Im anderen Frühjahr [1871] kehrten die Soldaten als Sieger heim. Sie wurden auch in Speyer mit unbeschreiblichem Jubel empfangen.
Die Hochstimmung wirkte bis in die Klassenzimmer des Gymnasiums: „Es war die Zeit des Schulschlusses 1871. Lehrer und Schüler spannten aus; der Klassenlehrer thronte auf dem Katheder, er stellte uns eine Aufgabe, über ein gegebenes Thema Hexameter zu schmieden; in einem, wie wir annahmen, unbewachten Augenblick sahen Borscht [der spätere Oberbürgermeister von München] und ich uns lächelnd an, der Lehrer aber bemerkte dies, er vermutete, mißtrauisch wie er war, er selbst sei der Gegenstand unserer freudigen Erregung, er geriet in Zorn und sagte: ‚Will nun selbst einmal Hexameter machen‘, er hub an und sprach: ‚Burschen, borniert und frech / Und witzelnd über die Lehrer, / Sind ein trauriges Bild / Sittlich verkommener Art.‘ Homerisches Gelächter der Klasse belohnte natürlich diesen poetischen Erguß …“
Die nach dem Schulabschluß beginnende „vierzigjährige Pilgerfahrt von Garnison zu Garnison“ führte den zunächst nur humanistisch Gewappneten in etliche Kasernen zwischen München und Aschaffenburg, aber bereits 1881 zurück in die Pfalz. Damals wurde in Landau und Zweibrücken das 18. Bayerische Infanterieregiment errichtet. Die Ankunft in der alten Herzogsstadt blieb dem jungen Offizier als Paradebeispiel pfälzischer Improvisationsbegabung stets gegenwärtig: „Als wir am 1. April nachmittags in den Zweibrücker Bahnhof einfuhren, waren wir sehr erstaunt, dortselbst nicht nur von dem Garnisonsältesten und Bezirks-Kommandeur A., sondern auch von einer Musik in Uniform begrüßt zu werden. Bald löste sich das Rätsel auf: Der Oberstleutnant hatte einfach die Zweibrücker Stadtmusik, ganz gleich ob militärpflichtig oder nicht, aus den Beständen des Bezirkskommandos in Uniformen gesteckt und uns so einen militärischen Empfang bereitet.“
Der Beginn versprach ein moderates Dasein. In der Tat hatte dann „das Kasinoleben infolge des engen Angewiesenseins aufeinander etwas Urgemütliches, Familiäres. […] Hier in Zweibrücken gab es für uns Offiziere auch einen Stammtisch; er stand in einem engen bescheidenen Raum der Münchner Bierhalle. Um den Tisch herum saßen in erster Linie zwei hochbegabte Rechtsanwälte, und verschiedene andere Juristen, Fabrikbesitzer, Professoren, Offiziere, alles buntgemischt. Manche hatten Eigenheiten, beinahe alle waren Leute, die in ihrem Berufe Bedeutendes leisteten, aber hier am Stammtisch sich ausruhten. Es wurde politisiert, Geschichten mit und ohne Pointen erzählt; gerne denkt wohl jeder an diesen Stammtisch zurück, denn er war der Inbegriff gemütlichen Beisammenseins …“
Die „anmutige und behagliche Stadt“ kam in der Beurteilung des inzwischen zum Bataillonsadjutanten Avancierten stets gut weg: „Mit der Zivilbevölkerung der Stadt standen wir auf freundschaftlichem Fuße; im Winter nahmen wir an den Tanzunterhaltungen des Zivilkasinos teil und folgten auch Einladungen bei den Honoratioren der Stadt …“
Ganz so positiv hörten sich zeitgleiche Schilderungen aus Germersheim nicht an: „Wer dorthin versetzt wurde, sang keine Dankeshymnen, selbst wenn’s eine Beförderung war! Wenn man etwa im November oder Dezember hinkam und bei Kälte oder Nässe und abendlicher Dunkelheit einzog, entfaltete Germersheim keine betörenden Reize. Der große Bahnhof und der immerhin stattliche Zugang durch die mächtigen Festungstore ließ einiges Gute erhoffen. Das Städtlein selbst, welches wie ein Ragout im Reisrand in seine Umwallung eingebettet lag, wirkte aber trostlos. Die Stimmung besserte sich nicht, wenn man die einzig verfügbare Wohnung mit all ihren Mängeln in Augenschein nahm. Man kam sich sehr verbannt vor und am meisten jammerten die Dienstboten, die ihre Herrschaft begleitet hatten.
Ein jeder Spaziergang innerhalb der Stadt endigte unfehlbar schon nach einer Viertelstunde wieder vor der eigenen Haustür. Einen Bummel, wie er in anderen Städtchen gegen Abend den Mangel glänzender Auslagen durchherzerfreuende Gespräche ersetzt, gab es nicht, obgleich dazu recht geeignete Plätze vorhanden gewesen wären. Man fragte sich oft: Wo stecken die Leute nur alle? Germersheim zählte damals 6.000 Einwohner, davon waren ungefähr die Hälfte Militärpersonen. Guckte man in der Hauptstraße zum Fenster hinaus, so ‚wimmelte‘ es von zwei bis drei Soldaten, ein bis zwei anderen Leuten und fünf bis sechs Hunden …“
Germersheims zwei Seiten
„Nun lud aber auch der ‚Generalanzeiger‘ die ‚Vergnügungsliebenden‘ zu Tanzunterhaltungen im ‚Falkenstein‘ und anderen Wirtschaften ein. Die Tänzer waren natürlich fast lauter Soldaten, und der Tänzerinnen gab’s viel zu wenig – genau wie bei den Bällen im Offizierskasino, wo auf fünfzig bis sechzig Herren selten mehr als fünfzehn bis zwanzig Damen trafen – und das waren fast lauter verheiratete! Diejenigen Damen, die das Vergnügen nicht ganz ablehnten, tanzten denn auch fast im Übermaß. Ihre Ehemänner hatten es dafür um so bequemer und so waren beide Teile zufrieden, nur die jungen Leutnante nicht, die oft in Gruppen an den Türen standen und recht gerne getanzt hätten, wenn’s noch Damen gegeben hätte! Zum Balle ging man zu Fuß, die Wege waren zu kurz zum Fahren. Der Diener ging mit der Laterne voraus und beleuchtete die Pfützen und die ‚Kendel‘ an der Seite der Straße.“
Über soviel Kritik wurde freilich wohl von allen, die an ihre Germersheimer Militärzeit zurückdachten, die „Glanzzeit“ der kleinen Festungsstadt nie vergessen: „Der Frühling ist am Rhein noch ein größerer Zauberer als anderswärts. Auf dem ‚gedeckten Weg‘ , der innerhalb der Wälle rund um die Festung führte und nur mit Erlaubnisschein der Kommandatur betreten werden durfte, blühte und duftete es im März von tausend Veilchen, blauen, roten und weißen. Im April blühte der Flieder, Dolde an Dolde drängte sich auf den Wällen, eine wogende Mauer von lila Blüten. Dann kamen die Akazien am Glacis an die Reihe. Und abends sangen die Nachtigallen ihr Lied in den Büschen am gedeckten Weg und drunten am Rhein, in den Auen bei den Altwässern, die stellenweise ganz märchenhaft wirkten – ein Einhorn oder ein Hexenhäuschen hätte gar nicht schlecht hineingepaßt.“
Jahre der Veränderungen
In Landau, der mehr als zweihundert Jahre zuvor nach Plänen Vaubans hochgemauerten „stärksten Festung der Christenheit“ , war 1891 – so die Notiz des hierher kommandierten Hauptmanns – „von der früheren Festungseigenschaft der Stadt nicht mehr viel zu sehen. Es standen zwar noch verschiedene alte Mauern, die Fortkaserne, ein großer Teil der Mauern hatte aber schon als Promenandenwege oder auch als elegante Villenstraßen Verwendung gefunden, man hatte hier und da links und rechts neben sich idyllische Gräben. […] Als ich im Jahre 1908 nach elfjähriger Abwesenheit wiederum nach Landau in Garnison kam, hatte sich unterdessen hier vieles verändert. Die Garnison war inzwischen bedeutend größer, die Offizierkorps waren bedeutend exklusiver geworden. Daß sich in den letzten Jahrzehnten vor dem Weltkriege die ganze Weltanschauung nicht bloß scheinbar, sondern tatsächlich geändert hatte, kam mir bei Beobachtung der Jugend so recht zum Bewußtsein.
Die Lebenshaltung der Leutnants 1908 war eine ganz andere wie die der Leutnants 1874. Zu meiner Leutnantzeit hatten die meisten Offiziere nur einen billigen Sommerzivilanzug, das Winterzivil unterschied sich vom Sommerzivil durch die raschere Gangart – oder es war im Bataillon ein Winterpaletot vorhanden, den man sich borgte. Später wurde das ganz anders.“
Die „Pilgerfahrt von Garnison zu Garnison“ führte den zuletzt königlich bayerischen Generalleutnant im August 1914 als Kommandeur einer Infanteriebrigade noch einmal nach Landau zurück. Er glaubte, sich „zunächst … in die Julitage 1870“ zurückversetzt: „Dieselbe Begeisterung wie damals, alles war einig …“ Doch vier Jahre später war auch „das ganz anders“. Das Ende des Ersten Weltkrieges brachte auch das Ende der weiß-blauen Garnisonen links des Rheins.
Quelle: Das Tagebuch des bayerischen Generals Heinrich Meyer