Königliches Geschenk für Werinbold
29.08.98 (Forschung & Archäologie, Geschichte allg.)
Die älteste Urkunde im Landesarchiv Speyer dokumentiert eine Schenkung König Ludwigs des Jüngeren aus demm Jahre 878
Im Frühjahr vergangenen Jahres ist es dem Landesarchiv in Speyer gelungen, den bis dahin im Staatsarchiv Luzern lagernden Gatterer-Apparat zu erwerben. Innerhalb eines Jahres konnte dieser Bestand von etwa 4.500 Originalurkunden und einer Sammlung zur Urkundenlehre (Diplomatik) von etwa 8.000 Kupferstichen, Originalsiegeln, Siegelabgüssen, wertvollen Handschriften und Frühdrucken so aufgearbeitet werden, daß er der Öffentlichkeit vorgestellt werden konnte. Seitdem erfreut sich diese vor allem Rheinhessen-Pfalz berücksichtigende Urkundensammlung, die im Wesentlichen aus der kurpfälzischen Verwaltung der in der Reformation säkularisierten Klöster erwachsen ist, immer größerer Beliebtheit.
Zwar reicht die Diplomatische Sammlung mit den Urkunden auf Kupferstichen bis zum Jahre 552 zurück, jedoch auch die älteste Originalurkunde, die Nr. 1 der chronologisch geordneten Urkundensammlung, ist nahezu 1120 Jahre alt; es handelt sich um eine Schenkung König Ludwigs des Jüngeren vom 11. Dezember 878 (die Urkunde enthält zwar die Jahreszahl 877, doch alle anderen Datierungskriterien weisen auf 878). Die Urkunde ist die achtälteste von insgesamt 16 erhaltenen Originalurkunden dieses Königs. Die sieben älteren Originale liegen in Hannover, Wolfenbüttel (2), Düsseldorf (2), Marburg und Colmar. Von den acht jüngeren befinden sich drei weitere in Marburg sowie je eine in Berlin, München, Paris, Münster und Wien.
Ludwig III. oder der Jüngere gehört zum Geschlecht der Karolinger, deren Wurzel bis zu dem 640 verstorbenen austrasischen Hausmeier (dem Verwaltungschef im östlichen Frankenreich, also auch im pfälzischen Raum) Pipin zurückgeht. Dessen gleichnamiger Urenkel erlangte 751/752 die Königskrone, und des Urenkels Sohn wurde an Weihnachten 800 vom Papst zum Kaiser gekrönt; er ist bekannt unter dem Namen Karl der Große.
Die Einheit des von Karl geschaffenen großen west- und mitteleuropäischen Reiches konnte sein Sohn, Ludwig der Fromme, nur mühsam wahren, und nach Ludwigs Tod 843 wurde durch den Vertrag von Verdun im nämlichen Jahr das Reich Karls des Großen in ein West- und ein Ost-Reich und in ein dazwischen gelegenes Kaiserreich Lothars – daher Lothringen – aufgeteilt. Das ostfränkische Reich erhielt Ludwig, der den Beinamen der Deutsche trug. Dessen zweiter von drei Söhnen war der Aussteller unserer Urkunde, Ludwig III. oder der Jüngere.
Ludwig der Jüngere wurde etwa 830 geboren und war mit Liutgard verheiratet, einer sächsischen Gräfin, aus welchem Geschlecht zwei Generationen später die sächsischen Kaiser hervorgingen. Nach dem Tod seines Vaters am 28. August 876 war es Ludwig der Jüngere, der die Ansprüche des westfränkischen Königs Karl des Kahlen am 8. Oktober desselben Jahres in der Schlacht bei Andernach zurückwies und anschließend bei der Teilung des Ostreiches den ostfränkischen, thüringischen und (nieder-)sächsischen Teil des Reiches übernahm. Er gab den Plan auf, Kaiser zu werden und das ganze fränkische Reich Karls des Großen zu einen, sicherte aber dem Ostreich die ober- und niederlothringischen Gebiete (Lothringen, Luxemburg, Belgien, Niederlande).
Damals verwüsteten die Wikinger oder Normannen die europäischen Küstengebiete und drangen über die Flüsse weit in das Landesinnere vor. Ludwig der Jüngere und der gleichnamige westfränkische König bereiteten 880 und 881 in zwei Schlachten im heutigen Flandern deren Raub- und Verwüstungszügen ein Ende. 880 schlug er auch den Sachsenaufstand nieder, doch bevor er die gleichzeitig stattfindenden Einfälle der Slawen abwehren konnte, starb er am 20. Januar 882.
Die wenigen erhaltenen Originalurkunden König Ludwig des Jüngeren sind meist Schenkungen an Kirchen und Klöster oder an Privatpersonen, so wie hier an den Getreuen Werinbold. Diese Urkunde ist zu einer späteren Zeit mit den geschenkten Liegenschaften, zwei Hufen in der Otterbacher Gemarkung im Wormsfeld (eine Hufe, insbesondere eine Königshufe, umfasste etwa 160 Morgen Land), an die Bischofskirche von Worms gelangt und so erhalten geblieben. Die Urkunde wurde in einem nicht zu identifizierenden Ort namens Heidebah offensichtlich von einem Kanzler ausgestellt, dem die pfälzischen Bezüge nicht bekannt waren; so kennt er nicht den Namen des zuständigen Grafen, weiß aber definitiv zu berichten, dass die Güter, die Gegenstand der Urkunde sind, im Wormsfeld, das heißt, im Wormsgau, lagen.
Während die ältere Forschung Otterbach mit dem einzigen gleichlautenden Ortsnamen im Wormsgau, Otterbach bei Kaiserslautern, identifizierte, möchte man neuerdings in der Landesgeschichte das geschenkte Land in Otterbach bei Bergzabern suchen. Auch die neuere Ortsnamenforschung schließt sich dem an. Keiner der beiden Parteien gelingt jedoch der abschließende Beweis für ihre These. Für das im Speyergau gelegene Otterbach spricht die Person des Begünstigten, Werinbold, für das Otterbach bei Kaiserslautern der Gauname Wormsfeld. Für Otterbach bei Kaiserslautern spricht auch, daß der „Vosagus“ (Vogesen) genannte große königliche Waldbesitz, der im Norden bis an die Nahe reichte, an den Rändern frühzeitig geschmälert wurde, so, wie bekannt, durch das Remigiusland um Kusel und die Besitzungen der Kirche von Verdun um Baumholder und Medard. Auch das Gebiet um Otterbach muß schon frühzeitig aus dem Gebiet des Fiskus herausgelöst worden sein: warum nicht durch eine Schenkung König Ludwigs des Jüngeren?
Der Inhalt der Urkunde lautet: König Ludwig III. der Jüngere schenkt seinem Getreuen Werinbold zum Dank für geleistete Dienste aus seinem Privatvermögen zwei in Otterbach im Gau Wormsfeld gelegene Hufen mit allen dazugehörigen Rechten. Außer dem König bestätigt auch der Kanzler Wolfher in Stellvertretung des Erzkaplans Luitbert die Beurkundung. Es ist allerdings anzuzweifeln, ob es sich wirklich um Privatvermögen des Königs handelt oder ob er hier nicht Liegenschaften aus der Reichsverwaltung vergab; auch ist bei den Karolingern noch schwerlich zwischen Privat- und Staatsgütern zu unterscheiden.
Bei der ältesten Urkunde im Gatterer-Apparat, die zugleich die älteste Original-Urkunde im Landesarchiv Speyer ist, handelt es sich um ein fast quadratisches Pergamentstück von 47,7 x 43,4 cm. Der Text beginnt mit einem verschlungenen Zeichen, das einem Ch ähnelt, für Christus steht und die Kurzform für ein Gebet am Urkundenbeginn darstellt. Danach ist die erste Zeile in einer besonders schönen Schrift, der so genannten Gitterschrift, geschrieben, welche beginnt: „In nomine s(an)c(t)ae et individuae Trinitatis“ („Im Namen der heiligen und ungeteilten Dreifaltigkeit“). Danach folgt der Name des Ausstellers „Hludouuicus“, also Ludwig. Die nächsten Zeilen sind in der normalen karolingischen Urkundenkursive geschrieben, und erst in der zweitletzten Zeile geht die Schrift wieder in die Gitterschrift über, wo wir lesen „signu(m) Hludouuici serenissimi regis“ („Zeichen Ludwigs, des erhabenen Königs“).
Nach „Ludwig“ steht ein Monogramm, in dem alle Buchstaben des Namens in lateinischer Form vorkommen. Hier hat der König, der des Schreibens nicht mächtig war, sich vom Urkundenschreiber die Hand zu einem Beizeichen führen lassen. Beglaubigung der Rechtmäßigkeit der Urkunde war für die breite Schicht der Bevölkerung, die ebensowenig lesen konnte, das Bild des Königs, das mit Hilfe eines Kreuzschnitts im Pergament angebracht war und verloren gegangen ist.
Man sieht auf dem Pergament rechts unten noch den Kreuzschnitt, man sieht die Spur, wo das Siegel aufgedrückt war, und die Gegenspur rechts daneben durch die Faltung des Pergaments. Die Besiegelung geschah, indem man zwei erwärmte Wachsklumpen von unten und oben durch den Kreuzschnitt miteinander verband und dann mit dem metallenen Siegelstempel das Königsbild in das noch weiche Wachs drückte.
In der letzten Zeile steht dann das Datum der Urkunde, die ausgestellt wurde „am dritten Tag der Iden des Dezember“, das ist am 11. dieses Monats „im Jahre nach des Herrn Geburt 877 in der II. Indiktion im dritten Jahr der Herrschaft Ludwigs des erhabenen Königs, verhandelt zu Heidebah, in Gottes Namen, gesegnet, Amen“.
Auf der Rückseite steht in einer Schrift etwa des 14. oder 13. Jahrhunderts: „Schenkung von zwei Hufen im Wormsgau“, darunter wohl von einer Hand des 16. Jahrhunderts als Ergänzung von Schenkung „des Königs Ludwig“. Das 18. Jahrhundert hat noch die Signatur „N° 18″ hinzugefügt, die aber in der Schreibweise bisher noch keiner Herkunft zugeteilt werden konnte.
Auf diese Urkunde Ludwigs des Jüngeren folgen in der Sammlung noch 48 weitere Königsurkunden. Die Nummern 2 und 3 der Originalurkunden im Gatterer-Apparat jeweils für den Bischof von Worms stammen von Kaiser Otto II. (973) und von Kaiser Heinrich II. (1004). Urkunden sind weiter vorhanden von Heinrich III. (1043, 1044 und 1051), Konrad III. (1139), Friedrich I. (1181), Otto IV. (1209), Friedrich II. (1232), Heinrich VII. (1234), König Rudolf von Habsburg (1274/75, 1282 und 1288). Es folgen zwei Urkunden König Adolfs von Nassau (1293) und eine seines Gegenspielers Albrecht von Österreich (1298) sowie zwei Urkunden Heinrichs VII., des Luxemburgers (1309 und 1310), drei Urkunden Ludwigs des Bayern, eine Karls IV. (1348). König Wenzel ist mit zwei, König Ruprecht von der Pfalz mit fünf, Sigismund mit drei, Friedrich III. mit zwei, Maximilian I. mit einer, Karl V. mit zwei Urkunden vertreten. Ferner liegen Urkunden der Könige Maximilian II., Rudolf II., Karl VII., Maria Theresia, Franz I. und II. vor, Urkunden der preußischen Könige Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. als Kronprinz sowie der Königin Christina von Schweden und der Könige Olaf von Dänemark, Laszlo von Ungarn und Ludwig XV. von Frankreich.
Die fast lückenlose Galerie der deutschen Könige wird noch ergänzt durch Urkunden in Kupferstichen der Diplomatischen Sammlung. (khd)
Quelle: unbekannt