„Luftfahrende Frauen“ erregten den Zorn des Abtes Regino
18.04.96 (Personalia, Städte & Gemeinden)
Eine wahre Fundgrube für Volkskundler und Freunde der
Heimatgeschichte ist das 906 vom in Altrip gebürtigen Abt Regino
geschriebene Visitationshandbuch „Libri duo de synodalibus causis
et disciplinis ecclesiastis“. Das Gesamtwerk besteht aus zwei
Werken, deren erstes die Disziplin der Kleriker und das zweite
die der Laien enthält. Beide Werke sind wiederum in zwei Teile
gegliedert. Von besonderem Interesse sind die 454 Kanones, die
die kirchenrechtlichen Grundlagen für die Visitationsfragen an
die Laien enthalten.
Regino war kein Neuerer oder religiöser Eiferer, sondern ein
Chronist, der aus allen verfügbaren mündlichen und schriftlichen
Informationen Material für eine exemplarische Zusammenfassung
nutzte. Seine Synodalfragen basieren auf früheren allgemeinen
Konzilien sowie von Partikularkonzilien des Frankenreiches,
Spaniens, Afrikas und des Orients. 895 war er sogar persönlich
auf einem Konzil, nämlich in Tribur. Diverse Kanones entstammen
auch aus päpstlichen Dekretbriefen sowie aus Schriften der
Kirchenväter und den Bußbüchern der fränkischen und
angelsächsischen Kirche.
Über Sitten und Gebräuche des frühen Mittelalters erhalten wir
über Regino gute Einblicke. Ein großer Fragekomplex behandelt Tod
und Grab. So wollte man damals wissen, „ob jemand über einen
Toten in nächtlichen Stunden teuflische Gesänge singt und bei
Essen und Trinken sich bei der Totenwache über das Ableben des
Verstorbenen freut.“ Regino war erbost über Suff, Gelächter und
Scherze in Privathäusern angesichts eines Toten.
Eine Frage Reginos machte es den Pfarrern zur Pflicht,
nachzuforschen, ob eine Frau von sich behauptet, daß sie in der
Lage sei, durch Zaubersprüche und Zauberpraktiken den Sinn eines
Menschen zu ändern (Liebeszauber). Er forderte auch
Nachforschungen darüber, ob Frauen beim Wollspinnen oder am
Webstuhl Worte sagen oder Dinge tun, die als „nichtchristliche“
zu bezeichnen seien. Ferner wollte er wissen, ob Frauen beim
Kräutersammeln Formeln und Sprüche gebrauchen, um die Kraft der
aus der Erde gerissene Heilkräuter zu wahren.
Ausführlich befaßte sich Regino auch mit dem Schadenzauber, den
bestimmte Frauen ihren Mitmenschen mit ihren Zauberpraktiken
zufügen. Gemeint ist hier etwa ein Schadenzauber, der dafür
sorgt, daß die Ernte vernichtet wird, die Kuh des Nachbarn keine
Milch mehr gibt, das Kind eines anderen stirbt, Lebensmittel
ungenießbar werden, Krankheiten ausbrechen und dergleichen mehr.
Der Schadenzauber gehörte zum Hexentum und die Vorstellung von
„nachtfahrenden Frauen“ erschien bei Regino zum ersten Mal in
geschriebenem Recht.
Laut Regino mußte der Visitator nachforschen, ob eine Frau mit
einer Schar in Frauengestalt verwandelter Dämonen in bestimmten
Nächten auf irgendwelchen Tieren in dieser Gesellschaft reitet.
Der von Regino erwähnte „Hexenzug luftfahrender Frauen“ richtete
aber keinen speziellen Schaden an, sodaß Regino lediglich die
Tatsache des Luftfahrens tadelte und mit der Vertreibung aus der
Pfarrei ahndete.
Im Verdacht außerchristlicher Praktiken standen aber auch
Schweine und Rinderhirten sowie Jäger. Der Visitator sollte
daher erforschen, ob diese Menschen „teuflische Gesänge“ über
Brot und Kräutern anstimmten oder irgendwelche Zaubersprüche
anwandten. Drakonische Sanktionen oder gar die Todesstrafe sah
Regino nicht vor.
In den folgenden Jahrhunderten beflügelte jedoch der Hexenglaube
die Phantasie des Volkes. Höhepunkte des Hexenwahns waren jeweils
die schlimmsten Notzeiten, so zum Beispiel die Zeit während des
30jährigen Krieges sowie in Hunger und Pestjahren. Verfolgt
wurden übrigens nicht nur Frauen, sondern auch Männer, die als
Hexenmeister bezeichnet wurden. Das Jahr 1582 brachte der
Kurpfalz das unter Kurfürst Ludwig VI. geschaffene Landrecht, das
Hexerei und Zauber unter harte Strafen stellte. Nach der
kurpfälzischen Malefizordnung wurde „Zauberey und Heyerey“ mit dem
Tode durch Feuer bestraft.
Regino erregte sich auch über die Tatsache, daß Kirchenfriedhöfe
oft nicht eingezäunt waren und somit verschmutzt werden konnten.
Ihn störte, daß bei Memorienfesten (Totengedenktagen) auf dem
Friedhof „geschmaußt, lachet und danzet“ wurde. Auch unsittliche
Lieder waren vielfach üblich. Ebenso üblich war auch, daß nach
dem Kirchweihhochamt auf dem Kirchhof Tänze von Frauen
in Männermasken und von Männern in Tier und Frauenmasken
aufgeführt wurden. Im Mittelalter finden sich viele Beweise von
solchen Tänzen auf den Friedhöfen, denn es mußten immer wieder
kirchliche und gesetzliche Verbote erlassen werden.
Die Kirche hat sich in den Jahrhunderten längst mit dem
vorchristlichen Brauchtum mehr oder minder abgefunden und ließ es
zu, daß die Menschen bei Kirchweih „auf den Rummel“ gingen.
Auch im heutigen Dorfbild von kleineren Gemeinden ist als spätes
Relikt dieser längst vergangenen Zeit oftmals noch der
Rummelplatz und die Dorfwirtschaft in unmittelbarer Nähe zur
Kirche zu finden. Im Grunde ist dies nur eine Verlagerung von den
früher üblichen Festivitäten vom Friedhof und Kirchhof an eine
„ungeweihte“ Stätte sowie in geschlossene Lokalitäten.
Aus: Rheinpfalz, 18.4.1996, Wolfgang Schneider