Mannheims wechselvolle Geschichte – mal vorne, mal hinten
07.10.96 (Allgemein)
„Mannem hinne“ rief der Zugführer den Einsteigenden in den
Dampfzug von Frankfurt Richtung Süden zu. Sie mußten die hinteren
Wagen benutzen, denn in Friedrichsfeld zwischen Mannheim und
Heidelberg wurden die Mannheimer Wagen abgekuppelt. Dieser Ruf
machte sich selbständig. Für die Mannheimer wurde daraus ein
„Mannem vorne“.
Mannheim ist keine gewachsene Stadt. Es entsteht auf Befehl von
oben an der Stelle eines Fischerdorfes an zwei schiffbaren
Flüssen, einer damals wie heute günstigen Lage. Gegründet durch
den Willen eines absolutistisch regierenden Kurfürsten der
Barockzeit und gebaut nach den damaligen Idealvorstellungen: eine
Stadt als Festungsanlage mit der Friedrichsburg an höchster
Stelle. Zu dieser Zeit wurde bereits der Stadtgrundriß mit
rechtwinkligen, geradlinigen Straßen in Quadrate eingeteilt.
Freies Glaubensbekenntnis, Handelsprivilegien, die Aufhebung von
Leibeigenschaft und Fron, Abschaffung des Zunftzwangs, der sich
aber erst 200 Jahre später im Liberalismus verwirklichen ließ,
die Befreiung von Zoll und Steuern für das Gewerbe begünstigten
den Zuzug nach Mannheim. Die unentgeltliche Zuweisung von
Bauplätzen und billige Lieferung von Baumaterialien seitens des
Kurfürsten förderten die Bautätigkeit.
Das Beständige, Gewachsene, die Tradition fehlte im Vergleich zu
den alten Handelsstädten. Die Festungsfunktion zog Unsicherheit
und Gefahren an, die sich beide handelsfeindlich auf die Stadt
auswirkten. So war die Lebensfähigkeit der Stadt einzig und
allein von der Politik des Kurfürsten abhängig. Schon zu Beginn
des 30jährigen Krieges wurde 1622 die Friedrichsburg
einschließlich der Stadtanlage von Tillys Truppen zerstört. 1689
nach dem Wiederaufbau wurde Mannheim auf Anordnung von Ludwig XIV
im Pfälzischen Erbfolgekrieg niedergebrannt, die Bürger verjagt.
Noch 1695 war es bei Todesstrafe verboten, sich auf den Trümmern
niederzulassen.
Um 1700 wurden wieder die ersten Häuser errichtet. Gleichzeitig
wurde mit dem Bau des Rathauses auf F 1 begonnen, dem ältesten,
noch heute vorhandenen Bauwerk Mannheims. Der Wiederaufbau
basierte auf dem alten Gründungsschema. Doch durch die
Freihaltung einiger Quadrate von Bebauung wurde das strenge
Gefüge aufgelockert. Bauplätze waren zwar unentgeltlich, aber
diesmal mit Bauverpflichtungen und Bauvorschriften versehen.
In der Oberstadt beim geplanten Schloß lagen die größeren
Grundstücke, die Unterstadt blieb dem Kleinbau vorbehalten. Diese
Aufteilung entsprach der sozialen Fürsorge im Rahmen der
Bodenparzellierung des Absolutismus und blieb bis zur Mitte
unseres Jahrhunderts erhalten.
1720 verlegte der Kurfürst KarlPhilipp seine Residenz von
Heidelberg nach Mannheim. Damit setzte eine verstärkte
Bautätigkeit ein. Zehn Jahre später war der Stadtraum vollständig
überbaut. Zur selben Zeit wurde das Schloß bis 1760 gebaut und
auf die vorhandene Stadtstruktur ausgerichtet. Neben dem Escorial
in Madrid ist das Mannheimer Barockschloß das zweitgrößte in
Europa.
Die Stadt erlebte in dieser Zeit eine Blüte. Dank der Förderung
von Kunst und Wissenschaft durch den nachfolgenden Kurfürsten
Carl Theodor wurde Mannheim innerhalb kurzer Zeit ein
europäisches Kulturzentrum: Theater, Musik, die „Mannheimer
Schule“ und eine Gemäldesammlung, die später den Grundstock für
die Münchner Pinakothek bilden sollte. Viele führende Geister
dieser Zeit besuchten die Stadt, lebten oder arbeiteten hier, wie
Goethe, Schiller, Mozart oder Voltaire.
Der kurfürstliche Hof mit Gefolge und die Garnison stellten
während dieser Zeit die Hälfte der Bevölkerung. Sie bestimmten
Konsum und Handel.
Durch die wittelsbachische Erbfolge kam 1778 Bayern eigentlich
zur Kurpfalz, Carl Theodor aber verlegte die Residenz von
Mannheim nach München. Die Stadt verlor damit ihre
Existenzgrundlage. Die einseitig ausgerichtete Struktur
verursachte nach dem Wegzug für die verbleibende Bevölkerung eine
wirtschaftliche Notlage.
Nach dem Abzug des Hofes blieb Mannheim als Hauptstadt der
Kurpfalz zunächst noch Verwaltungszentrum. 1803 wurde die
Kurpfalz aufgelöst, der Rhein zur Staatsgrenze und zur
Zollschranke. Mannheim selbst wurde zur Grenzstadt im
nordwestlichen Zipfel des von Napoleon neugeschaffenen
Großherzogtums Baden, zu dessen Hauptstadt Karlsruhe ernannt
wurde.
Bereits 1799 war unter dem Jubel der Bevölkerung mit der
Schleifung der Befestigungsanlagen begonnen worden. Nach dem
Entwurf des Mannheimer Gartenarchitekten Sckell sollte um den
Kern der Innenstadt, die bis in die ehemaligen Bastionen hinein
erweitert werden sollte, ein breiter Grüngürtel gelegt werden,
durchflossen von einem sternförmigen Bach. Dieser Entwurf kam
aber nicht zur Ausführung. Stattdessen wurden zur Erschließung
des eingeebneten Geländes die Straßen des Stadtgrundrisses
gradlinig bis zum Stadtgraben weitergeführt. Ein beträchtlicher
Teil des Geländes wurde zur Deckung der Schleifungskosten an
Privatleute verkauft und als Gärten genutzt.
Neubauten entstanden in dieser Zeit nur wenige. Die Stadt behielt
das Bild einer typischen Residenzstadt, die nun anstelle von
Befestigungsanlagen von einem romantischen Grüngürtel eingerahmt
wurde. Das vorhandene wirtschaftliche und finanzielle Vakuum ließ
keine großen Weiterentwicklungen zu.
1827 begann der badische Pionieroffizier Gottfried Tulla mit der
Korrektur des Friesenheimer Rheinbettes. Der nunmehr stillgelegte
Rheinarm wurde zum Hafen ausgebaut und 1840 eingeweiht. Im
gleichen Jahr wurde die Eisenbahnlinie Mannheim Heidelberg als
erste badische Staatsbahnstrecke eröffnet. Baden trat 1855 dem
Deutschen Zollverein bei, so daß Mannheim dank seiner günstigen
Verkehrslage an zwei schiffbaren Flüssen wieder zu einem
Handelsmittelpunkt werden konnte.
Mit der Eröffnung des regelmäßigen Dampfschiffahrtverkehrs
zwischen Rotterdam und Mannheim wurde 1842 der Mannheimer Hafen
als Endpunkt der Großschiffahrt auf dem Rhein zum wichtigen
Umschlagplatz von Im und Exportartikeln für den süddeutschen
Raum. Mit dem Ausbau des Eisenbahnnetzes wurde die Stadt ein
Umschlagplatz für ganz Südeuropa. Die Zahl der Handelsbetriebe
wuchs sprunghaft an, bevorzugter Standort für diese Betriebe war
die westliche Stadthälfte links und rechts der Planken. 1850
waren bereits ganze Erdgeschoßzonen, die bisher dem Wohnen
dienten, in Gewerbeflächen umgewandelt.
Die hier und in den Handelsgebieten angebotenen Arbeitsplätze
ließen die Zahl der Einwohner rasch anwachsen und bedeuteten eine
rege Bautätigkeit, die sich zunächst auf Umbaumaßnahmen im
Stadtkern beschränkte. So wurden ein und zweigeschossige Häuser
abgerissen und drei und viergeschossige gebaut. Die 1856
erlassene Bauordnung gestattete eine maximale Geschoßzahl von
vier Etagen. Sie wurde zuerst im Jungbusch vorgenommen, im
Anschluß an die am dichtesten besiedelte westliche Unterstadt.
Ansonsten brachte der wirtschaftliche Aufschwung für das
Stadtbild keine einschneidenden Veränderungen. Handel und Verkehr
innerhalb eines großen Bereiches, verbunden mit neuen
Transportmöglichkeiten und Standortvorteilen boten der Stadt eine
gesunde Basis zur Entwicklung.
Quelle: unbekannt