Kurpfalz Regional Archiv

Geschichte(n) und Brauchtum aus der (Kur-)Pfalz

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Mit dem „Eselsbähnle“ über den Rhein

03.07.90 (Städte & Gemeinden, Straßen, Fähren & Verkehr)

Die alte Geschichte ist bekannt und wird rechts und links des
Rheines immer wieder gerne erzählt: Eine biedere Frau vom Lande,
die regelmäßig das „Eselsbähnle“ zwischen HockenheimTalhaus und
Speyer benutzt, schreitet eines Tages mit mächtig ausholenden
Schritten neben dem Zug her und will ihn gerade überholen. Das
sieht der Zugführer, der seine Stammgäste längst alle persönlich
kennt, und ruft: „Frau, warum steigen Sie denn nicht bei uns
ein?“ Die aber antwortet keuchend: „Heut kann ich nicht mit Euch
fahren, denn ich habe es eilig. Ich muß zum Doktor nach Speyer!“

Der Speyerer Joseph Kahn schrieb dazu bereits 1914 in einer
Festschrift: „Diese Geschichte kommt mir immer wieder in den
Sinn, so oft ich unsere ‚badische Droschke‘, so hat der Volkswitz
die SpeierHeidelberger Bahn längst getauft, mit Gebimmel und
Gebammel keuchend von der Rheinstation nach der Schiffbrücke sich
fortbewegen sehe und der Menschheit ganzer Jammer faßt mich an,
wenn dieses Schauspiel aus längst verklungenen Zeiten an mir
vorüberzieht.“

Er stellt weiter fest, daß man die „Misere dieses schneckenhaften
Bahnbetriebs längst allgemein empfunden und seit Großvaters Tagen
dringend Abhilfe verlangt“ habe. Doch alle Bemühungen würden an
dem starren System der Bahnbehörden scheitern, die stets
antworten würden: „Es bleibt Alles, wie beim Anbeginn der
Schöpfung, die Schiffbrücke läßt einen neuzeitlichen Verkehr
nicht zu, denn sie kann eine neuzeitliche schwere Lokomotive
nicht tragen“.

Daß letztendlich das Speyerer Brezelfest Hilfe in der Not
gebracht habe, weiß Kahn in seinen Erinnerungen ebenfalls zu
berichten: „Bereits beim ersten Feste im Jahre 1910, und in noch
gesteigertem Maße bei den nachfolgenden Festen, erwiesen badische
Droschke und Schiffbrücke sich viel zu armselig und winzig, um
den Verkehrsbedürfnissen auch nur im entferntesten genügen zu
können. Da kamen sie von der rechten Rheinseite angerückt in
endlosen Schaaren, die Männlein und Weiblein, die Mädchen und
Knaben … aus Hütten und Palästen, zu Fuß und zu Wagen, mit
Stahlrossen und Automobilen und  soweit sie die Menge fassen
konnte  mit der badischen Droschke.

Tief senkten unter der schweren Last die Pontons ihre Köpfe ins
Wasser, als wollten sie ausdrücken: Wir schämen uns, daß wir im
zwanzigsten Jahrhundert ein so altmodisches Verkehrsgebilde wie
die Speyerer Schiffbrücke noch tragen müssen! Nur mit Hilfe einer
beträchtlichen Wasser und Luftflotte konnte der Verkehr
schließlich bewältigt werden. Da setzte unter der Parole ‚los von
der Schiffbrücke!‘ von Neuem eine Bewegung ein, die mächtig
anwuchs und ihren Ausdruck gefunden hat in dem Brückenbauverein,
dessen Gründung im Bunde mit Heidelberg jüngst erfolgt ist.“

Als „Beweis“ für seine These, daß die Schiffsbrücke historischen
Ursprungs ist, zitierte Joseph Kahn aus der „Pälzisch
Weltgeschicht“ von Paul Münch. Dort baute Julius Cäsar die
Schiffsbrücke bereits 55 v. Chr. mit seinen Legionen. Dies ist
folgendermaßen beschrieben: „Un is gerennt ganz ungeheier, un war
uf eemol schun in Speier, hot dort e Schiffbrick ufgeschla‘, in
Zeit vun binne zwee, drei Da’…Die Schiffbrick awer steht noch
heit, als Denkmal vund e alte Zeit. Nadeerlich is se a denno:
krumm, schepp und wacklich un verbo.“

Nachdem sich Joseph Kahn davon überzeugt hatte, daß die alte und
für ihn historisch wertvolle Schiffsbrücke nicht verschrottet
wird, sondern in ganzer Pracht und Herrlichkeit im Historischen
Museum der Pfalz in Speyer untergebracht wird, blickte er
wohlgemut dem Brückenbauobjekt entgegen, das, wie er versicherte,
bereits vom bayerischen Finanzministerium genehmigt worden sei.

Anläßlich einer Festveranstaltung zur „Verherrlichung der
100jährigen Wiedervereinigung mit Bayern“ im Jahre 1916 solle, so
schreibt Kahn zwei Jahre vorher, die neue und feste Rheinbrücke
eingeweiht werden, damit „den steten Klagen über die
stiefmütterliche Behandlung der Pfalz radikal ein Ende bereitet
sei“.

Im letzten Abschnitt seines Beitrages bittet der Autor: „Wenn
dann … neues Leben über die neue feste Brücke flutet und Speier
zur Weltstadt sich erhebt, mit einem Oberbürgermeister und drei
Bürgermeister an der Spitze, alsdann ist in seinen Jahrbüchern
auch festzuhalten, daß die eigentliche Triebkraft für diesen
Wandel der Dinge einzig und allein das Bretzelfest mit seinem
Massenverkehr geliefert hat.“

Es sei noch nachgetragen, daß die geplante Brückeneinweihung 1916
dem 1. Weltkrieg zum Opfer fiel. Seit 1956 aber können die
badischen Besucher Speyer und somit auch das traditionelle
Brezelfest über eine feste Brücke erreichen. Das „Eselsbähnle“
aber fährt längst nicht mehr. Nur noch ältere Zeitgenossen können
sich daran erinnern wo die Trasse verlief. Lediglich einige alte
Bahnwärterhäuschen, der alte Lokschuppen und der frühere Bahnhof
„Lusshof“ geben Zeugnis davon, daß Hockenheim früher einmal eine
eigene Bahnverbindung nach Speyer hatte. (og)

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Mauern, in denen sich Weltgeschichte ereignete

24.06.90 (Städte & Gemeinden)

Ein Blick in die Geschichte von Speyer
Vor allem dem Besucher, der sich von der badischen, der gegenüberliegenden Rheinseite der Stadt Speyer nähert, bietet sich ein grandioser Anblick: Schon von Ferne taucht der mächtige Kaiserdom am Horizont auf, längst bevor sonst etwas von der Stadt zu sehen ist. Im elften Jahrhundert, bis zum Bau der großen Abteikirche von Cluny, war dieser Dom das größte Gotteshaus der Christenheit. In seiner Krypta ruhen acht deutsche Kaiser und Könige. 1990 feierte Speyer sein 2.000-jähriges Bestehen. Die Geschichte der Stadt ist eng mit der fast 1.000-jährigen Geschichte des Doms verbunden  und der Dom ist auch heute noch das Herz der Stadt. Aber ein Blick in die Geschichte zeigt, daß Speyer mehr ist als der Dom und schon gar nicht der Ausspruch mancher Spötter gilt: „Wenn Speyer nicht die toten Kaiser hätte, dann wäre kein Leben in der Stadt.“ Weiterlesen »

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Melanchthon als Ratgeber in Heidelberg

19.06.90 (Glaube & Religion, Personalia)

Kirchenreformator, christlicher Humanist, Lehrer Deutschlands, Vorreiter des ökumenischen Dialogs: Philipp Melanchthon, der große Erneuerer, hat auch Heidelbergs Geschichte entscheidend mitgeprägt. Weiterlesen »

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Die frühen Pfälzer Kurfürsten

17.04.90 (Geschichte allg., Personalia)

„Palatinum“ war ursprünglich der Name eines Berges in Rom, auf dem die Kaiser ihre Burgen und Paläste erbauten. Dieser Begriff wurde schließlich gleichbedeutend als Bezeichnung für eine kaiserliche Wohnung verwendet. Aus ihm entwickelten sich im Deutschen die zwei Lehnworte Palast und Pfalz. Während sich das eine Wort auf die Bedeutung eines Herrschersitzes beschränkte (franz. „palais“), wurde das andere für die Bezeichnung eines besonderen Hofbeamten, „dem
Pfalzgrafen“, verwendet. Dieser hatte u.a. die Funktion des obersten Richters inne. Als „comes palatinus Rheni“ nahmen die lothringischen Pfalzgrafen am Kaiserhof zu Aachen eine Sonderstellung ein. Ihre Hausmacht verlagerte sich immer mehr rheinaufwärts und endete 1156 mit Hermann von Stahleck, dessen Besitzungen am mittleren Rhein (Burg Stahleck bei Bacharach) und in Süddeutschland lagen. Weiterlesen »

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„Die Pfalz bracht er in guten Stand“

12.02.90 (Geschichte allg., Städte & Gemeinden)

An der südlichen Chorwand der Stiftskirche in Neustadt an der
Weinstraße steht ein großer, hoher DoppelGrabstein für Kurfürst
Ruprecht I. von der Pfalz und für seine Gemahlin Beatrix. Der
Kurfürst starb am 13. Februar 1390 und wurde noch vor der Weihe
des Gotteshauses in der Mitte des Chores, also an besonders
bemerkenswerter Stelle, beigesetzt. Doch dies allein ist nicht
der Anlaß, warum wir uns hier im Badischen und wie in der Pfalz
dieses Kurfürsten aus dem 14. Jahrhundert noch immer erinnern.
Dafür gibt es gleich zwei gewichtige Gründe.

Als Ruprecht anno 1319, erst zehnjährig, zusammen mit einem
älteren Bruder und einem „Brudersohn“ (Cousin) gleichen Namens,
in den Besitz seines väterlichen Erbes kam, ging damit ein
Bruderstreit im Hause Wittelsbach zu Ende. Abgespielt hatte sich
dieser Krach zwischen Ruprechts Vater, Kurfürst Rudolf I., und
König Ludwig dem Bayer. Der Bayer hatte zuletzt die gesamten
wittelsbachischen Lande in der Hand gehabt, gestand jedoch 1329
durch den Hausvertrag von Pavia den Nachkommen seines Bruders die
„Pfalz by Rhin“ wieder zu, samt den Gebieten im Nordosten des
bayerischen Herrschaftsgebietes, die daraufhin den Namen Oberpfalz
erhielten. Damit waren Bayern und die Pfalz bis Ende des 18.
Jahrhunderts getrennt, und es gab fortan eine ältere (pfälzische)
und eine jüngere (bayerische) Linie der Wittelsbacher.

Das Glück begünstigte den jüngeren Ruprecht aber auch noch
weiterhin, denn 1353 starb sein älterer Bruder und Mitregent der
Pfalz, so daß Ruprecht alleiniger Landesherr wurde. Schon 1356
bestätigte Kaiser Karl IV. durch die Goldene Bulle die erbliche
Kurwürde für den Pfälzer und sein Haus, das damit die bayerische
Linie der Wittelsbacher an politischer Macht und auch an Ansehen
überflügelte  zumal der pfälzische Kurfürst als Erztruchseß das
vornehmste weltliche Reichsamt ausübte.

Nun konnte Kurfürst Ruprecht I. von der Pfalz ungehindert und mit
kaiserlichem Wohlwollen sein Territorium abrunden und
konsolidieren. So erwarb er beispielsweise die Grafschaft
Zweibrücken, faßte weitverstreute Besitzungen und Rechtsansprüche
zu einem stattlichen Fürstenbesitz zusammen und machte damit ein
Sprüchlein wahr, das kurz und lakonisch die Erfolge des
Kurfürsten und des Menschen Ruprecht umreißt. Es befindet sich
auf einem Bildnis, das den Kurfürsten mit seinen zwei Frauen,
Elisabeth und Beatrix, zeigt und lautet: „Ruprecht, den man den
rothen nannt/Die Pfalz bracht er in guten Stand/Zwo Fürstin warn
ihm außerkorn/Von Naumur und von Berg geborn“.

Mit seiner Politik unterstützte Ruprecht I. den Kaiser Karl IV.
und trat auch für die Wahl des nächsten Thronanwärters aus dem
Hause Luxemburg, für Karls Sohn Wenzel, ein. Aber noch auf einem
anderen Gebiet wollte er es Karl IV. gleichtun. Hatte dieser 1348
die erste Universität im damals noch vorwiegend deutschen Prag
gegründet, so gründete der Pfälzer 1386 die Universität von
Heidelberg, die heute als die älteste Einrichtung dieser Art in
Deutschland gelten darf.

Vorausgegangen war das große abendländische Schisma. Während die
Deutschen den römischen Papst Urban VI. anerkannten, hielten es
die Franzosen mit dem in Avignon residierenden Gegenpapst Clemens
VII.. Dieser Entscheidung schloß sich auch die Universität von
Paris an. Daraufhin verließen die meisten deutschen Studenten
Paris, ebenso die Professoren, unter ihnen so namhafte Gelehrte
wie Konrad von Gelnhausen und Marsilius von Inghen.

Beide beauftragte Kurfürst Ruprecht I. damit, in Heidelberg nach
dem Pariser Muster ein Generalstudium einzurichten, aus dem nach
der kirchlichen Genehmigung durch Papst Urban VI. am 26. Juni
1386 die Universität Heidelberg hervorging. Die päpstliche Bulle
hatte der Kurfürst auf der Burg Wersau (bei Reilingen) vom
römischen Gesandten entgegengenommen. So wurde Heidelberg zum
geistigen Mittelpunkt des Landes, ja ganz Deutschlands. Eine
glückliche Hand bewies Ruprecht mit der Wahl des Niederländers
Marsilius von Inghen zum ersten Rektor seiner Universität. Dieser
Mann war Gelehrter, Hochschullehrer und Organisator in einer
Person  und „einer der größten Anreger und Geistesvermittler
jener schicksalhaften Epoche“.

Damit begann, während sich die Biographie ihres Gründers dem Ende
zuneigt, die nunmehr über sechs Jahrhunderte reichende Geschichte
seiner Heidelberger Universität, der „Rupertina“. Seit ihrer
Neuordnung durch das 13. Organisationsedikts des badischen
Kurfürsten und späteren Großherzogs Karl Friedrich im Jahre 1803
führt die Universität die Doppelbezeichnung „RupertoCarola“ und
gedenkt so dankbar des Gründers und des Erneuerers.

Aus: Konradsblatt, Februar 1990, Hans Leopold Zollner

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Zweibrücken-Jerusalem und zurück

13.01.90 (Geschichte allg., Glaube & Religion, Landschaft & Orte)

Am 30. März 1495, einem Montag „vormittags 11 Uhr, nachdem die
Hauptmahlzeit eingenommen“, ritt der Herzog aus Zweibrücken
zunächst gen Westen, um  wie man verabredet hatte  seinen
Schwager Graf Johann Ludwig von NassauSaarbrücken zur
gemeinsamen Pilgerreise abzuholen. Mit von der Partie waren die
adeligen Gefolgsleute Schweickard von Sickingen (der Vater des
berühmten Franz von Sickingen), Stephan von Venningen, Karl Boos
von Waldeck und Heinrich von Schwarzenberg. Abgerundet wurde die
Gruppe von einigen Reitknechten und schließlich von einem
Chronisten des ebenso abenteuerlichen wie frommen Unternehmens,
der sich in seinen Notizen lediglich als „Diener des Herzogs
Alexander“ bezeichnete.

Man hat lange gerätselt, wer denn der Verfasser des erst knapp 90
Jahre später bei Sigmund Feyerabend in Frankfurt erschienenen
„Reißbuch des heiligen Landes“ gewesen sein könnte, dann sich
aber unter den Historikern auf den herzoglichen Geheimschreiber
Johann von Meisenheim geeinigt. Er sei, so befand man, unter den
Reisegenossen der einzige zu solcher Niederschrift Befähigte
gewesen und habe obendrein die französische Sprache beherrscht.
Daß der Herzog ihm am Morgen vor der Abreise das sogenannte
Schweinheimer Gut nahe Marnheim, das er bislang nur auf
Lebenszeit besaß, als Erblehen übereignete, war denn wohl auch
als Versorgung für Meisenheimers Familie gedacht, falls ihm
während des Unterwegsseins zu so fernen Zielen etwas zustoßen
sollte.

Für soviel Fürsorge hat sich der Chronist durch gewissenhaftes
Tagebuchführen dankbar gezeigt. Die Stunde des Aufbruchs am
Morgen hat er, wie die jeweils zurückgelegte Wegstrecke, ebenso
notiert wie jene der Ankunft im nächsten Nachtquartier. Er
schrieb auf, welche Kirchen besucht wurden, welche Reliquien man
dort verwahrte, was die Fährleute an Überfahrtsgelder und die
Mautknechte als Zollgebühren verlangten. Daneben listete er aber
auch geographische Besonderheiten, vielerlei Fremdartiges aus
Landbau und Handwerk, den vorteilhaften Eindruck oder auch das
Gegenteil beim Aufenthalt in großen wie kleinen Städten auf. Und
all dies tat er alles nüchtern ohne sprachliche Schnörkel, als
habe er lediglich eine Bilanz zu erstellen. Wie sein Herr aber,
der zeitlebens über keine nennenswerten Reichtümer verfügte, die
Morgenlandfahrt finanzierte und auf welchem Weg die benötigten
Summen für die Schiffspassage und etliches Unvorhersehbare nach
Venedig gelangten, darüber schweigt sich der Geheimschreiber aus.

Der Herzog und sein Gefolge waren übrigens nur von Zweibrücken
bis Venedig (und von dort zurück in die kurpfälzische Heimat)
unter ihrem wahren Namen gereist. An Bord der Galeere, aber auch
in Palästina wurde strenges Inkognito gewahrt. Franziskanermönche
in Jerusalem, die sich dann der „einfachen teutschen Pilger“ mit
angenommenen Namen annahmen, werden, wie schon zuvor der
Johannitergroßmeister auf Rhodos, bald gewußt haben, mit wem sie
es zu tun hatten.

Zunächst aber saß die Zweibrücker Pilgergruppe an vielen Tagen
bis zu acht Stunden im Sattel. Man schaffte dadurch im Schnitt
täglich 70 und mehr Kilometer. Am 2. April galt der Umweg von
Dieuze nach Nancy einem Besuch des Herzogs von Lothringen, der
seinen Gästen ein Empfehlungsschreiben an den Dogen von Venedig
mitgab und sie mit „einem großen Hecht und acht Karpfen, dazu
weißen und roten Wein in einer großen silbervergoldeten und mit
dem Wappen des Herzogs geschmückten Kanne“ verpflegen ließ.

Über Epinal, Remiremont, Thann und Basel erreichte man am 8.
April Zürich, laut Meisenheimer „eine sehr hübsche, wohlgebaute
Stadt, umgeben von gutem Land mit Wein, Korn und anderer Frucht“.
Der hier vorgesehene Ruhetag wurde zu einem Besuch des Klosters
Einsiedeln genutzt. Von Rapperswil ging es via Vaduz durch das
Klostertal nach Bludenz, über den Arlberg hinunter nach Pettneu
und dann von Landeck im Inntal aufwärts. In Meran kamen die
Reiter, vom Reschenpaß her, „am Karfreitag nachmittag um 4 Uhr“
an. Hier wurde zwei Tage gerastet, um „den österlichen
Verpflichtungen nachzukommen“, in der Klosterkirche der
Klarissinnen zu beichten und die Kommunion zu empfangen. Am
Ostermontag trabten die Pfälzer die Etsch abwärts nach Tramin und
Trient, von da ins Suganatal nach Ospedaletto. Castelfranco und
Mestre waren die letzten Stationen, bevor man am 24. April in der
„Königin der Lagunen“ anlangte.

In Venedig hielt sich die Reisegesellschaft lange auf, beinahe
so, als ob es keinem mit der Weiterfahrt ins Heilige Land
sonderlich geeilt hätte. Vom Standquartier, der Herberge „Zum
weißen Löwen“ nahe der Rialtobrücke aus, besuchte der Herzog samt
Gefolge zahlreiche Kirchen, nahm an einem Festgottesdienst in San
Marco teil, wohnte am Himmelfahrtstag der traditionellen
„Vermählung“ des Dogen mit dem Meer bei, ging am Fronleichnamstag
„unerkannt von der Menge“ mit einer von der Stadt gestifteten
weißen Kerze in der Prozession hinter dem Allerheiligen drein,
und ließ sich sogar zu einem Ausflug nach Padua bewegen, um am
Grab des Heiligen Antonius zu beten. Dort traf er zufällig seinen
Vetter, den Bischof von Thérouanne, Anton von Croy, der sich
zusammen mit seinem Sekretär und einigen Dienern der Pilgergruppe
spontan anschloß und an der weiteren Wallfahrt teilnahm.

Johann Meisenheimer vergaß derweil nicht, in seinem Tagebuch
bewundernd vom Reichtum Venedigs zu berichten, von Kunstschätzen
und kostbaren Materialien in Gotteshäusern und an Staatsgebäuden.
Bei einem Besuch des Arsenals und seiner Werkstätten kam er aus
dem Staunen kaum heraus: Eine ganze Stadt war da zu sehen  nur
zum Zweck der Neubauten, der Ausbesserung und Ausrüstung von
Kriegsschiffen errichtet, deren er mehr als einhundert in den
verschiedenen Hafenbecken festgemacht zählte. In einem großen
Arbeitsraum wurden lediglich Seile gedreht, in anderen
Werkstätten Anker und Nägel geschmiedet, Riemen für die
Ruderführung gefertigt, Armbrüste und Bogen hergestellt. Etwa 300
Frauen waren tagaus, tagein mit dem Nähen von Segeln beschäftigt.
Insgesamt arbeiteten in diesem Staatsbetrieb mit
Geschützgießerei und Pulverbereitung rund 3.000 Menschen.

Nicht unerwähnt bleiben freilich auch Venedigs „köstlich
gekleidete Adelsdamen und Bürgerweiber“. Viele seien „über alle
Maßen hübsch und man könne ihre Schönheit gar nicht genug loben
und preisen“. Was Wunder, daß bei soviel Sehens und
Erlebenswertem zunächst der ganze Monat Mai ins Land ging, obwohl
der schwärmende Chronist die Schuld für das „unfreiwillige“
Warten der „Saumsal des Schiffspatrons“ anlastete. Bis man
schließlich mit dem Messer Augustin Contaren, einem geriebenen
Eigner, gegen 50 Dukaten „Überfahrtsgeld“ pro Passagier und eine
zusätzliche, mehr oder weniger „freiwillige“ Aufzahlung von
weiteren 150 Goldstücken zum Vertragsabschluß kam, war es
schließlich Ende Juni geworden. Ein aufkommender Sturm, der die
Galeere beschädigte und die bereits eingeschifften Pilger „noch
auf der Lagune“ alle seekrank werden ließ, erzwang erneut einen
Aufschub. Am 3. Juli konnte das Schiff endlich „das offene Meer
gewinnen“.

Erst fünfeinhalb Wochen später, am 11. August morgens, kam das
Gestade des Heiligen Landes in Sicht. Der Kapitän hatte, wie
ehedem üblich, zunächst den Seeweg entlang der istrischen und
dalmatinischen Küste gewählt, die Galeere zwischen zahlreichen
vorgelagerten Inseln nach Korfu durchlaviert und von dort, am
Peloponnes vorüber, Candia angesteuert. Dort, wie auch danach vor
Rhodos, wurde für jeweils drei Tage Anker geworfen.

Hier, am Sitz des Großmeisters der Johanniter, berichteten aus
Deutschland stammende Ordensritter ihren pfälzischen Landsleuten
von den erbitterten Kämpfen, die anderthalb Jahrzehnte zuvor
während der Belagerung durch die Türken stattgefunden hatten.
Noch immer wurde am Bau neuer, stärkerer Befestigungen
gearbeitet, um bei zukünftigen Angriffen der „Ungläubigen“
verteidigungsbereit zu sein. Entschlossener Abwehrwille der
Kurpfälzer zahlte sich übrigens auch bei der Weiterfahrt nach dem
Passieren der kleinasiatischen Küste im Seegebiet von Zypern aus.
Gleich drei Seeräuberschiffe drehten schließlich ab, als die
Piraten sahen, daß man auf der Galeere „blankgezogen“ hatte.

Wenn der Herzog und seine Begleiter auch relativ unbehelligt und
wohlbehalten den Hafen von Jaffa erreichten, so konnte trotzdem
nicht das Land betreten werden. Der zuständige türkische Aga, der
fürs weitere Geleit nach Jerusalem seine Einwilligung geben
mußte, war verreist und kehrte erst am 19. August zurück. Nach
kleinlichen Schikanen bei der Personalienfeststellung und einer
auf der Stelle zu leistenden Zahlung ließ des Agas Sekretär die
Fremden erst einmal ins Gefängnis sperren. Dem so wunderlich
eifrig und beutelüsternen Helfer Abraham Grasso ließ, als
Meisenheimer sich im Namen des Herzogs über ihn beschwerte, der
Aga denn auch „50 Streiche mit dem Ochsenziemer“ verpassen und
der Chronist meinte gar, der so Gezüchtigte werde „nicht mit dem
Leben davonkommen“. Doch nach etlichen Stunden hatte Abraham bei
seinem Herrn schon wieder Gnade gefunden, aber die Gruppe
wenigstens einige Zeit Ruhe vor seiner Begehrlichkeit.

Der Schreiber mietete daraufhin bei dem Türken Chassym 17 Esel
für die Weiterreise nach Jerusalem. Bei drückender Hitze
erreichten die Pilger nach einem Abstecher nach Lydda und
Aufenthalten an „Stätten frommer Erinnerung wie Emmaus und
Arimathia“ am 27. August das Ziel ihrer Wünsche. Quartier machten
sie im Spital, doch Ausgangspunkt all ihrer weiteren
Unternehmungen in der heiligen Stadt war das Franziskanerkloster
auf dem Berg Zion. Dort hörten sie auch an jedem Morgen die
Messe.

Die Mönche führten sie all zu den Stätten, die durch
Begebenheiten aus dem Leben Jesus und seiner Jünger oder durch
andere fromme Überlieferung geweiht waren. Ärger bekamen die
Pfälzer aber, als der Besuch der Grabeskirche anstand. Wieder war
es Abraham Grasso, der, mit der Aufsicht betraut, einen üblen
Streich spielte. Er wollte das Gotteshaus für den Herzog und
seine Begleitung nicht öffnen lassen, falls er nicht zuvor vom
mitgekommenen Schiffspatron 200 Dukaten erhielte. Als der sich
weigerte, setzte Abraham Bewaffnete zum Franziskanerkloster in
Marsch und drohte, die Pilgergruppe beim Verlassen ihrer Bleibe
in Ketten schmieden zu lassen.

Die Patres legten sich wacker für ihre Gäste ins Zeug, doch die
geforderte Summe mußte dem Nimmersatt ausgehändigt werden. Erst
dann öffnete sich die Pforte. In feierlicher Prozession zogen die
so schändlich Ausgebeuteten dann doch noch in das Gotteshaus ein
und „um Mitternacht wurden Herzog Alexander, der Graf von Nassau,
Schweickhard von Sickingen, Stephan von Venningen und Heinrich
von Schwarzenberg in dem für die Heiden stets verschlossenen
heiligen Grabe durch den Bruder Johann von Preußen zu Rittern des
Heiligen Grabes geschlagen“.

Die Zeit des Aufenthaltes wurde zu mancherlei Ausflügen genutzt.
Man ritt nach Bethlehem, auf den Berg Juda, nach Bethanien und
zum Jordan, um dort „nach heißem, staubigem Wege“ in „den
erquickenden Fluten“ zu baden. Doch kaum waren die Pilger ins
Wasser gelangt, wurden sie „unter einem nichtigen Vorwand von
türkischen Reitern, die sie der Sicherheit wegen begleiteten,
wieder herausgejagt“. Am vorletzten Tag ihres Aufenthaltes
beteten alle noch einmal „eine Stunde in der heiligen
Grabeskirche“. Am 10. September brach man zur Heimfahrt auf.

Schon der erste Reisetag war von Unglück überschattet. Bischof
Anton von Croy sank „von einem hitzigen Fieber befallen“, vom
Esel und konnte nur mit Mühe zur nächsten Herberge gebracht
werden. Zur Sorge um den Kranken gesellte sich weiteres Unheil.
Ein deutscher Jude, der auf der Herreise in einem griechischen
Hafen an Bord gekommen war, hatte dem Aga von Jerusalem den hohen
Stand der Pilger aus der Kurpfalz verraten. Der fackelte nicht
lange, um daraus zuletzt noch Nutzen zu ziehen. Er forderte nicht
nur Bares, er drohte sogar, den Herzog, den Grafen und die Ritter
solange als Geiseln festzusetzen, bis der JohanniterGroßmeister
in Rhodos zehn „kürzlich gefangengenommene Türken“ freigegeben
habe.

Nach entnervendem Hin und Her und mehrmaliger Verdoppelung der
erpreßten Lösegeldsumme, für die sich die Franziskaner verbürgen,
der Schiffspatron sein ganzes Silber versetzen und weitere
Darlehen aufgenommen werden mußten, durften die der Verzweiflung
nahen Heimkehrer nach Jaffa weiterziehen. Sie dankten, endlich an
Bord der Galeere, „Gott dafür, nun aus den Händen der verfluchten
Heiden“ zu sein, die „ihnen so viel Übels und mancherlei Leid und
Kümmernis getan“ hatten.

Im Hafen von Salamis auf Zypern, dem ersten Ankerplatz nach drei
Tagen Überfahrt, erfuhren sie, daß sie einer weiteren Gefahr eben
noch entgangen waren. Nur wenige Stunden nach dem Segelsetzen
waren 500 arabische Räuber in Jaffa eingetroffen, die , wie ihnen
von Passagieren eines anderen Schiffes berichtet wurde, mit der
Absicht nach dort gekommen waren, die fremden „vornehmen Herren“
gänzlich auszuplündern.

Am 6. Oktober wurde Rhodos erreicht, wo der deutsche Großprior
des Johanniterordens die Ankommenden begrüßte und der Herzog
anderen Tags das Grab eines zwei Jahre zuvor während einer
Pilgerreise gestorbenen Verwandten, des Herzogs Christoph von
Bayern, aufsuchte.

Am 9. Oktober stach man erneut in See. Da meist „vollkommene
Windstille herrschte“, brauchte das Schiff nach Venedig ganze 71
Tage. Weihnachten feierte der Herzog mit seinen Getreuen in
Mestre, den Silvesterabend verbrachte man bereits in Meran. Von
dort ging der Ritt durch winterliche Landschaft über Landeck, den
Fernpaß und die Ehrenberger Klause ins obere Lechtal und mit
Übernachtungen in Kempten, Memmingen, Ulm und Göppingen nach
Esslingen. Unweit des Zisterzienserklosters Maulbronn
verabschiedeten sich der Sickinger und Stephan von Venningen, um
auf direktem Weg heimzukehren. Bei Bruchsal trennte sich auch
Junker Karl Boos von den übrigen.

Am 15. Januar setzte der Herzog bei Udenheim (dem heutigen
Philippsburg) über den Rhein und kam noch am Abend dieses Tages
im ersten Ort seines Landes, in Annweiler, an. Die Kunde
verbreitete sich wie ein Lauffeuer: „Der Herzog ist von seiner
Wallfahrt glücklich heimgekehrt!“ Ein Bote wurde auf den Weg
geschickt, um diese Nachricht auch nach Zweibrücken zu bringen.
Dort zog dem Landesherrn am anderen Nachmittag zur Begrüßung „die
ganze Einwohnerschaft in feierlicher Prozession entgegen: Die
Geistlichen im Ornat mit Monstranz und Reliquien, das ganze
Hofgesinde, seine Mutter, welche während seiner Abwesenheit mit
erprobten Räten die Regierungsgeschäfte geführt“.

Ob Herzog Alexander den Zweck seiner Reise und „die Ruhe seiner
Seele“ wiedergewonnen hatte, ist beim Chronisten Johann von
Meisenheim nicht überliefert.

Aus: Die Rheinpfalz, 13.1.1990, Ludwig Wien

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Notizen zur Geschichte der Kurpfalz beginnend mit dem 12. Jahrhundert

23.11.89 (Geschichte allg.)

Pfalzgraf Konrad von Staufen erhielt nach dem Wormser Reichstag
von 1155 von seinem Stiefbruder Kaiser Friedrich I. die Kurwürde
(1156) und damit Streubesitz bei der Burg Stahleck (oberhalb von
Bacharach am Rhein), am Stromberg und bei Alzey, sowie mehrere
Dörfer am unteren Neckar und die Alte Burg auf dem Jettenbühl
oberhalb Heidelbergs.

Nach seinem Tod wird Konrad 1195 im reich beschenkten Kloster
Schönau bei Neckarsteinach bestattet. Das Kloster wird später als
Kernbesitz der Kurpfälzer noch Bedeutung erlangen.

Nun wird es historisch insofern interessant, als es zur
Verbindung und damit zur Aussöhnung der Staufer und Welfen kommt.
Nachfolger Konrads wird sein Schwiegersohn Heinrich der Welfe,
ein Sohn des Braunschweiger Heinrich des Löwen, dem die
staufische Erbtochter Agnes zur Versöhnung der feindlichen
Familien schon als Kind versprochen worden war.

Streitigkeiten zwischen den beiden mächtigen Häusern führten
dazu, daß sich der Stauferkaiser Heinrich VI. von diesem
Verlöbnis zunächst distanzierte, denn für die Base Agnes war aus
politischtaktischen Gründen der französische König Philipp II.
vorgesehen. Es war dann fast wie bei Romeo und Julia: Agnes und
ihr Jugendfreund Heinrich der Welfe heirateten indes in aller
Stille auf Burg Stahleck.

Der Kaiser nahm es schließlich hin, was letztlich zur Versöhnung
der Welfen und Staufer führte. Jedoch hielten
Reichsstreitigkeiten Heinrich den Welfen davon ab, sich um die
Pfalz zu kümmern. Er übertrug 1211 dem Sohn Heinrich Welf dem
Jüngeren die Pfalzgrafenwürde. Dieser starb bereits 1214. Damit
waren die Staufer wieder am Zuge. Kaiser Friedrich II., der sehr
transalpin orientiert war, verlieh die Pfalzgrafschaft als
Belohnung für treue Dienste bei seinen Italienzügen dem Herzog
Ludwig von Bayern. Damit wurde die Kurpfalz zum Besitz der
Wittelsbacher, was schließlich bis 1803 währen sollte.

Ludwig der Bayer verlobte in Wahrung der dynastischen Kontinuität
seinem Sohn Otto II. mit Agnes, der Tochter Welfs des Älteren.
Aus dieser Ehe stammte Ludwig der Strenge. Nach dessen Tod wurde
der Besitz unter seinen Söhnen Rudolph und Ludwig aufgeteilt.
Rudolph I. wurde Pfalzgraf bei Rhein, Ludwig IV. Herzog von
Bayern.

Nach Rudolphs Tod übernahm Ludwig die Pfalzgrafenschaft, gab sie
aber 1329 im berühmten, zukunftsweisenden Familienvertrag von
Padua an die Nachkommen seines verstorbenen Bruders zurück und
behielt sich die bayerischen Stammlande vor. Nach etwa 100 Jahren
gemeinsamer Regierung trennte sich die bayerische und pfälzische
Geschichte wieder, um erneut erst 450 Jahre später unter Kurfürst
Carl Theodor zusammengeführt zu werden.

Ruprecht I. (1353-1390) erhielt wegen seiner Kaisertreue
Privilegien. So unter anderem die Zusicherung ständiger Kurwürde
und das Vorrecht, der erste unter den vier pfälzischen Kurfürsten
zu sein. Am kaiserlichen Hof hatte er zudem das oberste Hofamt
inne, denn er wurde zum Erztruchsess bestimmt.

Mit dem letzten Grafen von Zweibrücken machte Ruprecht I. 1358
einen kombinierten Kauf und Lehnsvertrag, der schließlich das
Gebiet mit Zweibrücken, Hornbach und Bergzabern ganz zur Kurpfalz
brachte.

Es sei nur nebenbei vermerkt: Ruprecht I. ist auch der Gründer
der Universität Heidelberg. (PM)

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Die Bauersfrau mit den vornehmen Manieren

19.11.89 (Geschichten & Erzählungen, Landschaft & Orte, Personalia)

Sie waren zwar verlobt, aber sie heirateten nie: die hübsche Frankfurter Bankierstochter Anna Elisabeth Schönemann und der angehende Dichter Johann Wolfgang von Goethe. Als sich 1775 die beiden Familien gegen eine Heirat aussprachen, hatten die beiden Liebenden nicht mehr die Kraft, gegen diese Meinung zu heiraten. Goethe siedelte im November nach Weimar über, auch Lili Schönemanns zweite Verlobung mit dem Straßburger Harry Bernard scheiterte. Weiterlesen »

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Das „Hochgericht“ wurde feierlich eingeweiht

08.11.89 (Recht & Ordnung)

Als der kurpfälzische Galgen, in der Amtssprache „Hochgericht“
genannt, im Osten der heutigen Mannheimer Neckarstadt errichtet
wurde, ging man entsprechend feierlich ans Werk. Auf dem
Marktplatz versammelten sich vier Kompanien der Bürgerschaft mit
fliegenden Fahnen. Den aufgekommenen Streit zwischen den Maurern
und den Zimmerleuten, wer nun an der Spitze des Festzuges gehen
solle, wurde von Stadtdirektor Lippe gerade noch geschlichtet. Am
Rabenstein, jenseits des Neckars gelegen, wurde das Hochgericht
nach dreitägiger Arbeit am 29. Juli 1724 vollendet, mit einem
„schön verzierten Kranz“ umschlungen und mit lustiger Musik
gefeiert.

Ein Jäger des Grafen von Hillesheim, der wegen Diebstahl
verurteilt worden war, mußte hier als erster sein Leben lassen.
Ihm folgten viele unglückliche Menschen nach. Die sozialen
Verhältnisse in der Kurpfalz zwangen damals viele, sich einer
Diebesbande anzuschließen, um wenigstens zu überleben.

Als Residenz war Mannheim auch der Mittelpunkt der Exekutionen.
Von allen Seiten schleppte man die Verurteilten herbei, darunter
auch zahlreiche Juden, die besonders hart unter den
gesellschaftlichen Verhältnissen der Feudalzeit zu leiden hatten.
Bereits nach 13 Jahren war der Galgen abgenützt. So wurde unter
den gleichen Feierlichkeiten ein neuer erbaut. Hierbei kam es zu
Schlägereien unter den Maurern, wobei einige „auf dem Platze“
blieben. Als 1749 wieder ein neues Zehntgericht „notwendig“
wurde, wiederholten sich die Tumulte und Totschläge.

Für die Zeit zwischen 1742 und 1796 sind 62 Hinrichtungen
nachgewiesen, für das Jahr 1749 allein 15. In diesen Zahlen nicht
enthalten sind die Verurteilungen zum „Ausstehen von
Todesängsten“, wobei der Verurteilte alle Vorbereitungen zur
Hinrichtung über sich ergehen lassen mußte. Erst im allerletzten
Moment wurde ihm der Strick abgenommen. Gewöhnlich wurden die
Gepeinigten dann, mit einem Brandmal gezeichnet, des Landes
verwiesen.

Auf den Karten des 18. Jahrhunderts, die die kurpfälzische
Residenzstadt Mannheim betreffen, ist ein aus drei Säulen mit
Querbalken bestehender Galgen abgebildet. Die Existenz des
Hochgerichts gehört zu der weniger beachteten Seite der
Mannheimer Glanzzeit im 18. Jahrhundert. Kein Gedenkstein, keine
Tafel erinnert an die Vergangenheit dieses Ortes. (og)

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„Bierkutscher“ mit Pferden und Pferdestärken

12.10.89 (Handel & Handwerk, Speisen & Getränke)

Ganz gleich, ob Bier den Durst oder der Durst das Bier erst schön
macht, es mußte erst einmal zum Durstigen transportiert werden.
Zur Geschichte des Biers, die in der Kurpfalz auffallend selten
festgehalten worden ist, gehört deshalb auch der Leidensweg des
Bierführers von der Frühzeit auf dem Kutschbock bis in unsere
Tage mit dem modernen Spezialfahrzeug, das an vielen Plätzen nur
zu bestimmten Zeiten be und entladen werden darf.

In den Gemeinden der Kurpfalz und darüber hinaus zählte der
Bierführer bis in die 30er Jahre hinein mit seinen schweren
„Bierbrauergäul“ zum Ortsbild. Jahrzehnte zuvor brauten in den
meisten größeren Gemeinden und in den Städten viele Wirte ihr
Bier noch selbst. Zwischen Rhein und Neckar vegetierten oder
prosperierten nicht selten bis zu einem Dutzend kleinere
Hausbrauereien, deren Zahl dann rapide zusammengeschmolzen ist.
Spezialisierte Brauereien haben die kleineren, die überwiegend
den eigenen Bedarf deckten, so nach und nach übernommen. Bier
mußte jetzt über die Ortsgrenzen befördert werden. Bierführer
wurden unentbehrlich.

Die schweren belgischen Kaltblüter, die den Kastenwagen durch die
Lande ziehen mußten und jede Abladestation so sicher kannten wie
der Bierführer selbst, hatten außer dem Eis in Säcken an die
zwölf Hektoliter Bier zu befördern. Nichtalkoholische Getränke
erreichten noch lange nicht die Bedeutung der heutigen Tage.

Bier war damals gleichbedeutend mit Faßbier. Flaschenbier machte
nach alten Aufzeichnungen so um die fünf Prozent aus. Wer aber
Flaschenbier wollte, der bekam in handgefertigten, geschlossenen
Holzkästen 25 Bügelflaschen à 0,7 Liter geliefert. Der
Faßbieranteil hat sich nach dem Siegeszug der Flasche inzwischen
wieder auf rund 40 Prozent erholt  weil eben Faßbier einen
eigenen Charakter hat. Auch wenn es keine Holzfässer mehr sind.

Ein Liter Bier im Holzfaß, ob 25 oder 60 LiterFässer, wog
dreieinhalb Pfund. Damit war mit dem Auf und Abladen, mit dem
Rollen des Fasses bis zum Kellereingang und auf engen Stiegen in
den feuchtkühlen Keller hinunter eine Schinderei verbunden. Und
dies nicht nur für den Bierführer, der das Faß auf derbe
Fallsäcke plumpsen ließ, sondern auch für den Wirt, der beim
Zapfen noch nicht Kohlensäure oder Pumpen einsetzen konnte, weil
diese ihm eben noch nicht zur Verfügung standen. Entweder mußte
das Faß in die Gaststube wieder hochgeholt werden oder, und dies
war meistens der Fall, wurde das Bier in großen Krügen direkt im
Keller aus dem Faß gezapft.

Das Eis, im Eisweiher gewonnen und im Eiskeller bei der Brauerei
gelagert, war zunächst vorne auf dem Kastenwagen plaziert. Mit
Äxten oder anderen Spezialwerkzeugen mußte das Eis, als es noch
keine andere Kühlmöglichkeiten gab, aus großen Klumpen zurecht
geschlagen werden. Die Kinder in den Dörfern waren dankbar, wenn
sie in jenen Jahren kleine Brocken von diesem Eis „zum Schlotzen“
ergattern konnten.

Das Fahren eines Bierautos setzte den Besitz des Führerscheins
voraus. Das höchste Hindernis war damals die ärztliche Prüfung,
die zu bestehen war. Der Herr im weißen Frack examinierte nämlich
durch den Hieb mit dem Hämmerchen: Er wollte hauptsächlich die
Reflexe überprüfen.

Mit dem Zweiten Weltkrieg hieß es auch in der Kurpfalz von den
Brauereipferden Abschied zu nehmen. Die ersten motorgetriebenen
Laster schnauften bald nach dem Ersten Weltkrieg auf die
Brauereihöfe und knatterten kräftig rußend zu den Wirtschaften.
Teilweise handelte es sich dabei um umgebaute Militärfahrzeuge.
Auf Vollgummireifen wurde mit Tempo 15 durch die Gegend „gerast“,
aber dabei waren sie doppelt so schnell wie die Pferde und
konnten auch größere Lasten transportieren. Auf den durchweg
schlechtausgebauten Straßen der damaligen Zeit waren nur wenige
Fahrzeuge unterwegs, weshalb die Brauereifahrzeuge immer wieder
Menschenscharen anlockten, wenn sie in die Dörfer kamen.

Teilweise mußte das Bier an 34 Stellen am Tag abgeliefert werden.
Das hieß also, daß die Strecke zweimal gefahren werden mußte. Der
Arbeitstag begann für die meisten „Bierkutscher“ um fünf Uhr und
endete nicht selten spät am Abend. Und dies sechs Tage in der
Woche. Lediglich am Sonntag hatte der Bierführer Zeit, sich von
seiner schweren Arbeit zu erholen.

Touren mit den Brauereipferden, die mehrere Stunden vor dem
Aufbruch gefüttert und getränkt werden mußten, waren nicht minder
anstrengend. Bei jedem größeren Halt wurde die Futterkrippe mit
Häcksel und Hafer vorgesetzt. Nicht selten standen die Gespanne
damals schon stundenlang am Futtertrog im Stall der Brauerei, bis
der Kutscher auf dem Bock im Brauereihof aufgewacht ist. Von
Promille sprach zu jener Zeit noch niemand. Viele Bierführer
bekämpften den Schweiß der harten Arbeit mit Bier. Nicht selten
lag die Tagesration bei einem Kasten. Zu verkraften war aber auch
zusätzlich das von Wirten eingeschenkte Bier mit dem
obligatorischen „Kurzen“. Die Folgen würden die Arbeitsmediziner
und Wissenschaftler noch heute verblüffen: Die meisten
„Bierkutscher“ blieben ihr ganzes Leben lang gesund und wurden
dabei uralt.

Quelle: unbekannt

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Mannheimer Warenhäuser verändern Stadtbild

04.10.89 (Handel & Handwerk, Städte & Gemeinden)

Revolutionär in Baustil, Warenangebot und Verkaufsmethode
Die Kurpfalzmetropole Mannheim hatte schon immer einen guten Ruf als bedeutende Einkaufsmetropole. Begründet wurde dieser aber nicht erst nach dem Zweiten Weltkrieg, sondern bereits um die Jahrhundertwende. Um diese Zeit entstanden in der Quadratestadt neben den alteingesessenen namhaften Einzelhandelsgeschäften die ersten großen Warenhäuser. Neu an dieser aus den USA stammenden Idee war, daß eine großes Warenvielfalt zu erstaunlich kleinen Preisen angeboten werden konnte. Auch rein äußerlich veränderte sich dadurch das Mannheimer Stadtbild. Die Architektur dieser Warenhäuser war zum Teil revolutionär und ging neue Wege. Weiterlesen »

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Von Ritterromantik keine Spur

11.07.89 (Allgemein)

Die Ritter, die auf ihren Burgen zwischen Pfälzerwald und
Odenwald lebten, waren nicht zu beneiden. Zwar ging es ihnen
wesentlich besser als den Bauern, von deren Abgaben sie lebten,
doch im Vergleich zu den reichen Handelsherren entbehrten die
Adeligen vieler Bequemlichkeiten. Sie, die „Pfeffersäcke“,
wohnten in den Städten, in der Behaglichkeit ihrer Bürgerhäuser;
sie, die Herren Ritter, hausten auf ihren Burgen weitab von jeder
größeren Ansiedlung.

Ein weitgereister Ritter aus der Pfalz verkündete in einer noch
erhaltenen Handschrift: „An Unterhaltung fehlt es nicht. Viel
Eselschreien, Pfauenkreischen  davon hab ich die Nase voll! Mir
tost der Bach mit Hurlahei den Kopf entzwei. Er ist schon völlig
wund!“ Keine Rede von deftigen Festgelagen, wie sie heute bei den
„Rittermahlen“ in alten Burgen fröhlich gefeiert werden.
Minnegesang, edle Frauen? Fehlanzeige! „Kein feiner Umgang mehr,
stattdes: Nur Kälber, Geißen, Böcke, Rinder und Bauerndeppen.
Häßlich schwarz, im Winter ganz verrotzt. Macht froh wie
PanschWein, Wanzenbiß …“

Die Auswirkungen auf das Familienleben waren geradezu verheerend:
„In der Beklemmung hau ich oft die Kinder in die Ecken. Da kommt
die Mutter angewetzt, beginnt sogleich zu zetern. Gäb sie mir mit
der Faust, ich müßt auch das erdulden“.

Wo bleibt da die Ritterlichkeit, wo bleibt die Romantik? Ein
treffliches Stichwort: Es waren die Romantiker des 19.
Jahrhunderts, die das Bild und das Leben in einer Ritterburg
schufen und idealisierten. Sie, die die mittelalterliche
Literatur, die Heldenepen und Minnelieder dem Staub der Archive
entrissen hatten, nahmen die darin beschriebenen
Idealvorstellungen des Rittertums für bare Münze. In ihrer
Phantasie wurde so selbst aus dem heruntergekommensten
Strauchritter ein stolzgesinnter Kriegsmann von eherner Kraft
oder wie sonst die überspannten Formulierungen der damaligen Zeit
lauteten.

Ein Gespräch mit Ulrich von Hutten, dem Humanisten, der auf der
nordhessischen Steckelsburg aufgewachsen war, hätte die
Heidelberger Romantiker von damals (und auch die von heute) rasch
ihrer Illusionen beraubt. 1518 schrieb der Ritter an seinen
Freund, den Nürnberger Patrizier Willibald Pirckheimer: „Die Burg
ist nicht gebaut, um schön sondern um fest zu sein, von Wall und
Graben umgeben, innen eng, da von Stallungen für Vieh und Herden
verbaut. Daneben liegen die dunklen Kammern, angefüllt mit
Geschütz, Pech und Schwefel und dem üblichen Zubehör der Waffen
und Kriegswerkzeuge. Überall stinkt es nach Pulver. Dazu kommen
die Hunde mit ihrem Dreck. Eine liebliche Angelegenheit, wie sich
denken läßt, und ein feiner Duft! Reiter kommen und gehen, unter
ihnen Räuber, Diebe, Banditen; denn für alle steht unser Haus
offen. Man hört das Blöken der Schafe, das Brüllen der Rinder,
das Hundegebell, das Rufen der Arbeiter auf dem Felde, das
Knarren und Rattern von Fuhrwerken, ja wahrhaftig auch das Heulen
der Wölfe, da der Wald so nahe ist. Ihr Bürger lebt in den
Städten nicht nur angenehmer, sondern auch bequemer.

So ging es also auf den Burgen des niederen Adels zu. Spuren von
Romantik fanden sich allenfalls auf den schon ehe schloßähnlichen
Anlagen des Hochadels, der Fürsten, der Könige, der Kaiser. Hier,
bei Hof, gab es das „höfische“ Leben mit all seiner Raffinesse,
nicht aber in den Ritterburgen weitab von den Zentren der Macht.

Im Winter allerdings dürfte es auch dem Kaiser oft ungemütlich
geworden sein, obwohl die meist in der Ebene angelegten Pfalzen
den Unbilden des Klimas eher zu trotzen vermochten als die
windumheulten Felsennester. „Möhte ich verslafen des winters
zit!“, wünschte sich Walther von der Vogelweide, und dazu hatte
er allen Grund. Denn heizen im heutigen Sinn ließ sich eine Burg
nämlich nicht. Die dicken Mauern strahlten Kälte ab, gegen die
die Wärme aus den offenen Kaminen vergeblich ankämpfte. Heizbar
waren zudem nur wenige Räume, so das Frauenhaus, die Kemenate,
deren Namen von „Kamin“ abgeleitet ist. Im Winter pfiff ein
eisiger Wind durch die Burg, denn Fensterglas hielt in den
Anlagen des niederen Adels erst gegen Ende des Mittelalters
Einzug. Zuvor verschloß man die Fenster mit Holzläden und
verstopfte die Ritzen mit Stroh. Gicht und Rheuma dürften die
Recken häufiger gelähmt haben als in der Schlacht empfangene
Wunden.

Vor dem Aufkommen der Kachelöfen muß die Luft in den Räumen nach
unseren Maßstäben äußerst gesundheitsgefährdend gewesen sein. Die
Kaminfeuer verräucherten die Zimmer, und der Qualm von Kerzen,
Öllampen oder Kienspänen, die der Beleuchtung dienten, trug
ebenfalls zu der „dicken Luft“ bei. Die offenen Feuer und
Lichtquellen brachten auch ganz greifbare Gefahren mit sich, denn
das Innere der Wohngebäude bestand größtenteils aus Holz.

Der Winter bedeutete zumindest für die Bewohner abgelegener
Burgen eine Zeit der Isolation. Nach starkem Schneefall waren
viele Anlagen von der Außenwelt abgeschnitten. Neben
gelegentlichen Besuchen blieb außer Brettspielen wie Dame und
Schach die Jagd als Abwechslung. Sie bot auch Gelegenheit, die im
Winter recht eintönige Speisekarte mit Frischfleisch
anzureichern.

In der warmen Jahreszeit kamen die Feinschmecker eher auf ihre
Kosten: Fleisch, Geflügel, Wild, Fisch, Eier, Frischgemüse, Obst
und Weißbrot fanden selbst die kleinen Adeligen auf ihrer Tafel
vor, während sich die Bauern in der Regel mit Sauerkraut,
Hülsenfrüchten, dunklem Brot und Brei begnügen mußten.

„Höfisch“ ging es bei den Mahlzeiten nicht gerade zu. Gabeln waren
noch weitgehend unbekannt. Löffel, Messer und Finger galt es als
Hilfsmittel zur Nahrungsaufnahme zu benutzen, wobei sich häufig
mehrere Personen aus einer Schüssel bedienten. Regelrechte
Freßorgien kamen nicht selten vor, während Saufereien wohl eher
die Regel waren. Über den 1495 in Worms abgehaltenen Reichstag
vermeldet der Chronist denn auch, daß sich „die Edelleut mit
Saufen auf diesem Reichstag ziemlich säuisch gehalten“. Dies
zeigt, wie es zumindest im späten Mittelalter um die ritterlichen
Tugenden der „maze“ (Maßhalten) und der „zucht“ (Selbstdisziplin)
bestellt war.

Ob die Versuche, den üblen Manieren mittels „Tischzuchten“
aufzuhelfen, viel Erfolg hatten, muß bezweifelt werden. Sie
werfen aber ein Licht auf die damals üblichen Sitten in den
pfälzischen Landen links und rechts des Rheines: „Derjenige ist
ein ehrloser Sack, der sich über die Schüssel beugt und mit dem
Mund ebenso laut schmatzt wie ein Schwein  der soll beim Vieh
essen“. Deutliche Worte! Auch das Schneuzen ins Tischtuch oder in
die Hand galt als unfein. Andere Regelwerke verboten das Spucken
über die Tafel und legten den Blaublütigen nahe, Essensreste
nicht über den Tischnachbarn hinweg, sondern rücklings den Hunden
zuzuwerfen.

Kein Wunder bei dem herumliegenden Unrat, daß sich die
Burgbewohner mehr mit Ungeziefer als mit Belagerern
herumzuschlagen hatten. Toiletten im heutigen Sinne gab es noch
nicht und die Ecken, die dafür genutzt werden, spotteten jeder
Beschreibung. Aus den Aborterkern plumpste das „Geschäft“ direkt
in den Graben oder an den Fuß der Mauer. Im Sommer dürfte die
Lage einer Burg schon auf größere Entfernungen zu „erschnüffeln“
gewesen sein. Aborttürme gehörten eher zu den Raritäten.
Doppelsitzige Aborte dagegen finden sich häufiger  eine
zweifelsohne kommunikationsfördernde Einrichtung.

Intimsphäre in unserem heutigen Sinne gab es sowieso nicht. Dafür
waren die Raumverhältnisse auf den Burgen viel zu beengt. In der
Regel schlief die Familie des Herrn in einem gemeinsamen Bett,
die Knechte verbrachten die Nächte auf dem Boden des Saals.
Prüderie war den Menschen des Mittelalters ohnehin fremd.

Das Mobiliar war nach heutigen Maßstäben gemessen mehr als
dürftig. Zum Sitzen dienten einfache Bänke oder Hocker, schön
geschnitzte Stühle blieben hohen Herrschaften vorbehalten. Vor
den Mahlzeiten trugen die Diener Klapptische in den Saal, die
nach dem Essen wieder „aufgehoben“ und entfernt wurden. Primitive
Bettgestelle, Truhen und Wandbehänge vervollständigten die
spartanische Einrichtung.

Das Leben auf den ach so romantischen Burgen hatte also wenig
Erhebendes, doch immerhin boten sie ihren Bewohnern Sicherheit.
Das änderte sich, als im 15. Jahrhundert Durchschlagskraft und
Zielgenauigkeit der Geschütze enorme Fortschritte machten. Die
Burgen verloren ihren strategischen Wert, aus den fast
uneinnehmbaren Festen wurden kaum zu verfehlende Zielscheiben.
Ritter, die es sich leisten konnten, zogen die Konsequenzen:
Einige bauten ihre Burgen zu wohnlicheren Schlössern um, andere
kehrten ihnen den Rücken, lebten in der Ebene oder gleich in der
Stadt. Die Burgen verfielen, wurden zerstört und als billige
Steinbrüche benutzt.

Nach: MM, 11.7.1989, Klaus Backes

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Leimens trickreicher Kampf gegen Mannheimer Maimarkt

29.04.89 (Handel & Handwerk)

Im Schatten des Mannheimer Maimarktes ist ein älterer Vieh- und
Krämermarkt in Vergessenheit geraten: Der Markt in Leimen, das
offenbar schon sehr früh ein Marktrecht besaß. Nach den Angaben
des Bruchstückes einer historischen Beschreibung pfälzischer
Orte, einer Handschrift aus der Batt’schen Sammlung der
Universitätsbibliothek Heidelberg, soll Kaiser Friedrich
Barbarossa Leimen das Marktrecht verliehen haben. Ein amtliches
Dokument aber, das diese Aussage bestätigen könnte, wurde bis
heute noch nicht gefunden. Die derzeit früheste und historisch
nachweisbare Nachricht zum Markt in Leimen findet man in einem
kurpfälzischen Kopialbuch, das im Generallandesarchiv Karlsruhe
aufbewahrt wird.

Dort bestätigte am 6. April 1579 Kurfürst Ludwig VI. dem
Schultheiß und Rat sowie der Gemeinde Leimen, daß sie jährlich
„uf Philippi Jacobi, den ersten tag May“ einen Jahrmarkt abhalten
dürften. In der Urkunde gewährte der Kurfürst den Krämern,
Käufern und Verkäufern Marktfrieden und Sicherheit, indem er
Unrecht, falsches Maß, Gewicht und Geld unter Strafe stellte.
Beim Leimener Markt handelte es sich vornehmlich um einen Vieh
und Krämermarkt, der den Bauern in der Region diente. Doch das
Elend und die Not des hereinbrechenden Dreißigjährigen Krieges
verhinderten ein Fortführen des Marktes.

Mannheim, das 1606 vom Kurfürsten Friedrich IV., dem Führer der
protestantischen Union, zur Stadt erklärt und zur Festung
Friedrichsburg ausgebaut wurde, erhielt sieben Jahre später vom
Verwalter der Kurpfalz, Johann II. von Zweibrücken, ebenfalls
einen Markt zu „Philippi Jacobi gnädiglich bewilligt“. Damit
ergab sich in der Kirchheimer Zent eine Konkurrenz zum Leimener
Markt. Am Anfang war davon wahrscheinlich wenig zu spüren. Doch
spätere Akten und Dokumente geben für Leimen nicht mehr „Philippi
Jacobi“ als Markttag, sondern den Montag nach Georgi (23. April)
an, um der Konkurrenz des Mannheimer Maimarktes zuvorzukommen.
Die schlauen Leimener ließen ihren Markt einfach acht Tage früher
beginnen.

1716 richtete die Gemeindeverwaltung Leimen an das Oberamt
Heidelberg die Eingabe, den „bei vormaligen Friedenszeiten den
Montag nach Georgi jährlich gehaltenen aber bei denen
KriegsTroublen in Abgang gekommenen Viehmarkt bei nunmehr wieder
erfolgtem Frieden in Gang zu bringen“. Im Gesuch wurde betont,
daß das Marktrecht seit „altersher“ bestünde und nun wieder ein
dringendes Bedürfnis geworden sei.

Um den Markt schnell zu heben, aber auch um Vorteile gegenüber
dem Maimarkt in Mannheim zu haben, schlugen Schultheiß und der
Rat zu Leimen vor, die Viehhändler zwei Jahre vom Zoll zu
befreien. Das wurde allerdings nur insoweit gestattet, als nicht
das gesamte Vieh, sondern nur das tatsächlich verkaufte, verzollt
werden mußte. Damit hatte Leimen ein besonderes Marktprivileg für
die kommenden zwei Jahre. Als weiteres Lockmittel wurde mit dem
Markt das sogenannte „Georgigericht“ verbunden. Damit konnten
Marktbesucher und Einheimische das Schauspiel eines öffentlichen
Gemeindegerichts miterleben.

Die zeitliche Nähe zum aufblühenden Maimarkt und die
Attraktivität der Residenzstadt Mannheim wurde eine immer stärker
werdende Konkurrenz für Leimen während der langen Regierungszeit
von Carl Theodor. Aber auch die einengenden Vorschriften beim
Viehhandel waren für den Marktflecken Leimen ungleich schwerer zu
erfüllen.1776 erließ Carl Theodor eine Viehmarktsordnung, die in
45 Paragraphen die Abhaltung des Marktes und insbesondere die
Hauptmängel und Gewährsfristen beim Viehhandel bestimmte.

Zum rechtmäßigen Abschluß des Kaufvertrages gehörte nicht nur der
Einoder Handschlag. Es war auch ein schriftliches Attest
vorgeschrieben, welches dem Käufer bestätigte, daß die Tiere
gesund verkauft wurden und „von einer Seuche (Gott seye Dank) der
Orthen nichts verspüret werde, solches wird von Obrigkeits wegen
anmit beurkundet“.

Bereits 1770 wurde vom Kurfürsten verfügt, daß bei Abhaltung von
Viehmärkten an Sonn und Feiertagen das Viehtreiben vor Endigung
des Gottesdienstes zu unterbleiben habe. Und so mancher
Geistlicher hatte an diesen Tagen den Gottesdienst besonders lang
gehalten. Mannheim verlegte daher den Markttag auf einen Dienstag
und noch heute feiert man dort den „Maimarktdienstag“.

Nach den Angaben des Zentgrafen Dachert in Kirchheim waren neben
Leimen und Mannheim noch folgende Gemeinden zur Haltung von
Viehmärkten berechtigt: Nußloch („von langen Jahren herzu“),
Schwetzingen (seit 1759), Edingen (seit 1771), Ladenburg,
Neckarhausen und Schriesheim. Auch die Viehmärkte in Speyer und
Langenbrücken machten den kurpfälzischen Orten zu schaffen. Trotz
größter Anstrengungen war der Markt zu Leimen nicht mehr zu
halten.

Der verzweifelte Versuch der Gemeinden zu Beginn des 19.
Jahrhunderts, die Märkte neu einzurichten, schlug an der
unerbittlichen Haltung der neuen badischen Regierung fehl. Auch
der Vorschlag, den Leimener Vieh- und Krämermarkt um Martini,
also im November, abhalten zu dürfen, wurde vom Direktorium des
Neckarkreises mit dem Hinweis, daß „jener Markt in Leimen längst
vergessen und verlassen ist“ abgewiesen. Verzweifelt wandten sich
Bürgermeister und Gemeinderat 1838 an den Innenminister des
Großherzogtums Baden. Doch auch er war gegen eine
Wiedereinrichtung des alten Viehmarktes zu Leimen.

Aus: RNZ, 29.4.1989, Rudi Dorsch

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Während des Gebets Kirche abgedeckt

08.04.89 (Glaube & Religion, Kirchen & Klöster)

Jodokuskirche WiesentalGeschichte der Kirche von Wiesental eng mit dem (Alt-)Bistum Speyer verbunden / Bischöfliches Ja zu Messen im Rathaus
Im Frühjahr 1739 erteilte der Speyerer Fürstbischof Damian Hugo von Schönborn den Auftrag, „die alte ohnehin sehr kleine und baufällige Kirche dahier zu Wiesenthal abbrechen, und von Grundauf neu aufbauen“ zu lassen. Auf das Areal des im Dreißigjährigen Krieg – wohl um das Jahr 1623 – errichteten Gotteshauses, das 1689 während des Pfälzischen Erbfolgekriegs größtenteils zerstört worden war, sollte nach dem Willen des Regenten ein schmuckes Barockkirchlein zu stehen kommen.
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Im Jagdrevier der Nibelungen

11.02.89 (Landschaft & Orte, Landwirtschaft & Forsten)

Am Abend bei einem Glas guten Weins auf der Burg Hirschhorn
wußten wir: „Der Odenwald hat es in sich, weit mehr als
erwartet.“ Ein langer Besichtigungstag lag hinter uns, angefüllt
mit Burgen, Schlössern, Rathäusern, Kirchen und Geschichtszahlen.
Und das alles in einer sanftgewellten Mittelsgebirgslandschaft
mit ausgedehnten Mischwäldern zwischen Rhein, Main und Neckar 
ehedem, wie die Sage es erzählt, das Jagdrevier der Nibelungen.
Im sinkenden Licht blickten wir hinunter ins Neckartal und auf
die Dächer des mauerumgürteten Städtchens Hirschhorn.

In Darmstadt, dem „Tor zum Odenwald und zur Bergstraße“, hatten
wir am frühen Morgen unsere zweitägige Autoreise angetreten. Über
die B 26 führte sie zunächst nach GroßUmstadt, der „Odenwälder
Weininsel“, wo es ein RenaissanceRathaus, eine spätgotische
Pfarrkirche und Adelshöfe zu besichtigen galt. Auf der
Ferienstraße AlpenOstsee, der B 45, vorbei an der trutzigen
Feste Otzberg und durch Höchst mit schönen Fachwerkbauten
gelangten wir zur Burg Breuberg, die mit ihren mächtigen
Wehranlagen das Mümlingtal beherrscht.

Bad König, das einzige Heilbad des Odenwaldes, zählt wahrlich
nicht zu den großen und mondänen seiner Zunft. Es ist vielmehr
ein kleiner, hübscher und (noch) beschaulicher Kurort mit
Fachwerkhäusern, dem Alten und Neuen Schloß und einer
Friedhofskapelle aus dem 11. Jahrhundert. Für seine Gäste hält es
ein modernes Kurzentrum mit Thermalbewegungsbad, einen Kurpark
und ein breites Aktivitätenangebot bereit.

Historie gebündelt gab es in Michelstadt, das 741 als
„Michlinstat“
erstmals urkundlich erwähnt wurde. Einhard, der
Berater und Biograph Karls des Großen, erhielt 814 die
Michelstadt von dessen Sohn Ludwig dem Frommen zum Geschenk. Im
Ortsteil Steinbach hinterließ Einhard mit der gleichnamigen
Basilika eines der seltenen noch erhaltenen Beispiele der
karolingischen Baukunst.

In Michelstadt wird Geschichte gleichsam lebendig: In der
Stadtkirche aus dem 15. Jahrhundert mit wertvollen Grabmälern, in
der Kellerei mit dem Odenwald und SpielzeugMuseum, in
zahlreichen Fachwerkhäusern und in der turmbewehrten Stadtmauer.
Sein unverwechselbares Wahrzeichen freilich ist das mit offener
Ständerhalle und Erkertürmchen höchst originelle und malerische
FachwerkRathaus aus dem Jahre 1484. Versteht sich, daß wir zum
Wasserschloß Fürstenau hinausfuhren und ebenfalls zum barocken
Jagdschloß Eulbach mit Englischem Garten, Wisentgehege und Resten
von Römerkastellen des nahen Limes. Und wer Zeit dazu hat: eine
LimesWanderung lohnt allemal.

Im benachbarten Erbach war der Besuch des Deutschen
Elfenbeinmuseums mit mehr als 1.000 Exponaten aus aller Welt
unerläßlich. Sehr eindrucksvoll der weite Schloßplatz mit der
imposanten Barockfront der Residenz der Grafen zu ErbachErbach,
mit dem Rathaus aus dem 16. und der Pfarrkirche aus dem 17.
Jahrhundert. Franz I. (1754 bis 1823), der die Elfenbeinkunst
nach Erbach brachte, füllte sein Schloß mit reichen Sammlungen
antiker Kunstgegenstände, mittelalterlicher Waffen, kapitaler
Hirschgeweihe und afrikanischen Jagdtrophäen.

Am Galgenberg von Beerfelden kommt man nicht vorbei  wenn nicht
des „dreischläfrigen“ Galgens von 1597, so doch des gerühmten
Fernblicks über die rund 600 Meter hohen Kuppen des Odenwalds
wegen. Im Ort betrachteten wir den ZwölfRöhrenBrunnen, die
Fassung der Mümlingquelle, und ein wenig außerhalb den über
einhundert Jahre alten HimbächelEisenbahnviadukt, um dann
Hirschhorn im Neckartal zuzustreben.

Nach einer Nacht im RenaissanceGemäuer mit neuzeitlichem
Komfort, machten wir uns auf den Rückweg über WaldMichelbach
nach Grasellenbach, an dessen Siegfriedbrunnen (den übrigens auch
andere Orte für sich reklamieren) der grimmige Hagen von Tronje
den jungen Helden mit dem Speer niedergestreckt haben soll.

Ein Stück auf der Siegfriedstraße, die Lorsch mit dem bayerischen
Amorbach verbindet, und wir erreichten den Heilklimatischen
Kurort Lindenfels, hoch auf einem Bergrücken, gekrönt von
wuchtigen Burgmauern mit freiem Blick über Berg und Tal. Die
Nibelungenstraße entführte uns sodann in die erdgeschichtliche
Frühzeit, zum Felsenmeer bei Reichenbach. Nach kurzer Fahrt über
OberRamstadt kündigte sich Darmstadt, die einstige Residenz der
Landgrafen und späteren Großherzöge von HessenDarmstadt, und die
Endstation unserer 210 Kilometer langen OdenwaldRundreise, mit
seinem JugendstilWahrzeichen an  mit dem Hochzeitsturm auf der
Mathildenhöhe.

Aus: RNZ, 11.2.1989, Heinz Bischoff

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Der "Ölberg" am Speyerer Dom

27.07.88 (Glaube & Religion, Kirchen & Klöster)

Scheinbar klein und verlassen liegt für Besucher der alten Reichsstadt Speyer neben dem Dom ein Baudenkmal, das einst zu den beeindruckendsten Schöpfungen gotischer Baukunst auf deutschem Boden gezählt wurde – der „Speyerer Ölberg“. Die Geschichte des Denkmals reicht zurück bis in das Jahr 1509. Weiterlesen »

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Hildegard – die mysthische Medizinerin

19.07.88 (Glaube & Religion, Kirchen & Klöster)

Im 12. Jahrhundert drängten vor allem adlige Frauen verstärkt in die kirchlichen Orden. Bereits um 1200 mußten die Klöster
Zulassungsbeschränkungen erlassen. Religiöse Sehnsucht, Frauenüberschuß, materielle Absicherung und ein von Männern unabhängiges Leben mit der Möglichkeit, sich frei zu entfalten, werden heute in der Wissenschaft als Antrieb für diese mittelalterliche „Frauenbewegung“ genannt. Weiterlesen »

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Holzdiebstahl wurde zum Volkssport

13.04.88 (Handel & Handwerk, Landschaft & Orte, Landwirtschaft & Forsten)

Aus dem Jahr 1837 ist eine Mitteilung des Großherzoglich badischen Forstamtes in Schwetzingen erhalten, in der über „einfallende Rotten“ berichtet wird, die „in Schaaren Gehölz in die Dörfer der Hardt“ gebracht hatten, um es dort zu verkaufen. Worin lagen aber die Ursachen, daß sich der Forstfrevel zu einem Massenphänomen entwickelte?
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Selbst Goethe war vom Zauber der Alten Brücke gefangen

09.04.88 (Städte & Gemeinden)

Die herrschaftliche Pose des steinernen Kurfürsten Carl Theodor
an der Alten Brücke in Heidelberg sticht schon von der Ferne ins
Auge. Gebieterisch ragt die vorgestreckte Hand mit dem
Kommandostab hervor, kühn wirkt das leicht vorgestellte Bein,
erhaben erscheint die aufrechte Haltung. Das mit wallender
Perücke geschmückte Haupt ist würdevoll gen Brückentor und Stadt
gerichtet  so, als wolle die Statue den Heidelberger mitteilen:
„Seht, wer der Bauherr eurer Brücke ist“. Und dennoch: Die
wenigsten Bürger nennen das  neben dem Schloß und der
HeiligGeistKirche  wohl schönste Bauwerk der Stadt bei dem
Namen, der einst zu Ehren des stolzen Landesfürsten gewählt
wurde, nämlich „Carl-Theodor-Brücke“.

Einer Entschließung des Kurfürsten aus dem Jahr 1785 ist es zu
verdanken, daß sich heute dieses Bauwerk von formvollendeter
spätbarocker Schönheit über den Neckar spannt. Carl Theodor war
es, der nach der Zerstörung einer Holzbrücke im Eishochwasserjahr
1784 befahl, an der gleichen Stelle auf die „noch brauchbaren
Pfeiler an der Steingaß bis an das einseitige Bergufer eine ganz
steinerne Brücke völlig aus guten gesunden Quardern“ zu errichten
und bereitete damit den langen Diskussionen um eine Verlegung der
Brücke (oder einem erneuten Holzbau) ein Ende.

Einiges Aufsehen erregte damals die Entscheidung des
Landesfürsten, trotz der Angebote hochrangiger Fachleute einen in
untergeordneter Stellung arbeitenden Bauinspektor namens Mathias
Mayer mit dem Projekt zu beauftragen. Mayer trat den Gutachten
renommierter Sachverständiger entgegen, die behaupteten, die
alten Steinpfeiler der zerstörten Holzbrücke könnten nicht mehr
weiterverwendet werden.

Der Kurfürst schenkte den Plänen Mayers sein Vertrauen, und er
fuhr mit dieser Entscheidung mehr als gut. Mayer verwirklichte
mit dem Bau der Alten Brücke ein Kunstwerk, sagen heute die
Kunsthistoriker. Die Gliederung in Dreierrhythmen (drei
aufsteigende, drei absteigende, drei gerade Bögen) verleihen
diesem Denkmal am Endpunkt der Entwicklung des klassischen
Brückenbaus eine grazile Leichtigkeit, einen eleganten Schwung.
Von hohem Reiz ist das Erscheinungsbild der Brücke in der
Landschaft. Das Bauwerk scheint mit der Umgebung der Berge, mit
dem Neckar und der Stadt in einer Farbkomposition, ja einem
ganzen Gemälde zu verschmelzen. Und dieser Eindruck verstärkt
sich beim Blick vom Philosophenweg über das Tal.

Der Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe, der vom 1781
fertiggestellten Karlstor flußabwärts blickte, schrieb 1797 ins
Tagebuch: „Die Brücke zeigt sich von hier aus in einer Schönheit,
wie vielleicht keine Brücke der Welt. Durch die Bogen sieht man
den Neckar nach den flachen Rheingegenden fließen und über ihr
die lichtblauen Gebirge jenseits des Rheins in der Ferne. An der
rechten Seite schließt ein bewachsener Fels mit röthlichen Seiten,
der sich mit der Region der Weinberge verbindet, die Aussicht.“

Auch Gottfried Keller ließ die Schönheit der Brücke nicht
unbeeindruckt. Für den Studenten entwickelte sich die Brücke zum
Leidensweg zur Geliebten, die seine Zuneigung nicht erwiderte.
Und Clemens Brentano erzählt vom „Dialogus“ der
Brückenstandbilder Athene (Minerva) und Carl Theodor. Die Alte
Brücke hat also auch in der Literaturgeschichte ihren Platz gefunden.

Ihren festen Standort am Austritt des Neckars aus dem Odenwald
besitzt die Brücke  womit jetzt nicht die Alte Brücke, sondern
deren Urahne gemeint ist  schon im Mittelalter. Im Jahr 1284
wurde ein Bauwerk an dieser Stelle erstmals erwähnt. Heidelberg
selbst taucht in einer Urkunde des Jahres 1196 zum ersten Mal
auf. Offenbar wurde die Brücke im 13. Jahrhundert gebaut, um
einen Neckarübergang für das Zisterzienserkloster Schönau zu
schaffen.

Gleich sieben von acht Brücken, allesamt aus Holz, fielen in den
500 Jahren zwischen 1284 und 1784 dem reißenden Neckarhochwasser
zum Opfer oder wurden durch Eisgang zerstört. Lediglich die
siebte Überführung stürzte aus einem anderen Grund zusammen:
Diese Brücke, die noch den Turm mit dem legendären „Heidelberger
Affen“ am nördlichen Ufer besaß, der dem Betrachter mit dem Griff
zum Hintern einen „kurpfälzischen Gruß“ widmete, wurde 1689 im
OrléanschenPfälzischen Erbfolgekrieg vernichtet.

Die unmittelbare Vorgängerin der Alten Brücke war die
Nepomukbrücke mit der Statue des heiligen Johannes von Nepomuk.
Am 27. Februar 1784 türmten sich vor dem Bauwerk mehrere
übereinanderliegende Eisschichten. Das Hochwasser brachte
Bewegung ins Eis, und die Brücke wurde mit den Fluten
fortgerissen. Der reißende Strom überschwemmte dann die Altstadt,
sogar ein großes Schiff wurde nach alten Berichten bis zur
Hauptstraße hochgetrieben. Die Nepomukfigur konnte gerettet
werden  sie hat heute in einer Uferanlage neben der Alten Brücke
ihren Platz.

Die feierliche Aufstellung einer anderen Statue, nämlich der des
Kurfürsten Carl Theodors, steht am 9. April 1788 gewissermaßen
für die offizielle Einweihung der Alten Brücke. Der Kurfürst war
von Brücke und Statue so angetan, daß er gleich empfahl, auf der
anderen Seite ein Gegenbildnis zu setzen. Es folgte so 1790 die
Aufstellung der Minerva, die als Göttin der Weisheit und
unzähliger Künste gilt. Beide Standbilder wurden vom
kurpfälzischen Hofbildhauer Conrad Linck geschaffen.

Im 18. und 19. Jahrhundert drohte der Alten Brücke zweimal die
Gefahr der Zerstörung: Dem Ansturm der französischen
Revolutionstruppen konnte 1799 das österreichische Ulanenregiment
Fürst Schwarzenberg aber trotzen. 1849, während der badischen
Revolution, wurde die Sprengung der Brücke durch eine Mine gerade
noch vereitelt.

Fast 100 Jahre später, am 29. März 1945, fiel ein Teil der Brücke
dann doch: Auf Befehl der Nazis wurde wenige Tage vor Kriegsende
ein großes Stück des Bauwerkes weggesprengt, um den Amerikanern
den Einzug in Heidelberg zu verwehren. Es war ein völlig
sinnloses Unternehmen, denn wenige Stunden nach der Sprengung
marschierten die Amerikaner bereits durch die Gassen der
Altstadt. Eine Spendenaktion unter der Bevölkerung ermöglichte
aber schon 1946/47 den Wiederaufbau.

Eine wichtige Rolle in der Geschichte des Bauwerkes spielt
natürlich auch das schmucke Brückentor, das viel älter als die
Alte Brücke ist. In einer Urform erscheint das doppeltürmige Tor
schon 1526 auf Sebastian Münsters kleinen Holzschnitt zum
„Calendarium Hebraicum“. Das im Gegensatz zu den Holzbrücken nie
zerstörte Tor diente nach dem Bau der Steinbrücke zeitweilig als
Gefängnis, heute gibt es dort eine Wohnung mit einem bekannten
Künstlertreff.

Die Alte Brücke ist heute ein nicht mehr wegzudenkendes Stück
Heidelberg und damit auch untrennbar mit der wechselvollen
Geschichte der Kurpfalz verbunden.

Aus: BNN, 9.4.1988, Klaus Willimek

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Schindelmacher wurden brotlos

09.03.86 (Arbeit & Soziales, Handel & Handwerk)

Die Verwendung von künstlichem Baumaterial wie Backsteinen und Ziegeln wurde durch das römische Heer in Germanien eingeführt. Zwei Jahrtausende überdauerte das römische Ziegelmaterial, ohne seine Eigenschaften wie Festigkeit und Haltbarkeit zu verlieren. In Truppenziegeleien in der Nähe von Tonlagern wurden die zur Errichtung zahlreicher Bauten benötigten Mauersteine und Ziegel hergestellt. Ein Teil der für den Heeresbedarf hergestellten Ziegel war mit dem Stempel der betreffenden Legion versehen. Die Vorzüge des Baumaterials aus gebranntem Ton lernten auch die Germanen kennen. Weiterlesen »

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Wer kennt schon die Kraich?

26.05.60 (Landschaft & Orte)

Ein Gau zwischen Neckar und Oberrhein trägt ihren Namen
Der Kraichgau ist dadurch berühmt, daß nur wenige Touristen ihn wirklich kennen. Die meisten Reisenden, die sein westliches Randgebiet auf eiliger Nord-Süd-Fahrt streifen, wissen nicht einmal den Namen der idyllischen Parklandschaft zwischen Oberrhein und Neckar.
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Die Rennstadt Hockenheim in einer Darstellung von 1933

19.05.33 (Städte & Gemeinden)

Der Name Hockenheim war vor Jahren den meisten eine unbekannte
Größe. Es hieß schon viel, wenn man wußte, daß dieses Städtchen
in der Rheinebene an der Eisenbahnstrecke
MannheimSchwetzingenKarlsruhe lag. Ab und zu erzählten sich
auch die Autofahrer von den sprichwörtlich schlechten Straßen,
die dort anzutreffen sind.

Das alles ist sozusagen über Nacht anders geworden. Der Name
Hockenheim hat einen bedeutenden Klang bekommen und das Negative
hat sich in Positives verwandelt. Man weiß heute allgemein, daß
die Stadt Hockenheim in Unterbaden eine der aufstrebendsten und
ehrgeizigsten Stadtgemeinden ist, die an Propagandatüchtigkeit
dem benachbarten Schwetzingen in nichts nachsteht. Wie kein
zweiter Ort hat es verstanden, aus seiner nicht gerade
begünstigten Lage Kapital zu schlagen.

In der Zeit der schwersten wirtschaftlichen Krise hat es sich
emporgerungen und einen Optimismus an den Tag gelegt, der auf
einer gesunden, von mustergültiger Finanzwirtschaft getragenen
Spekulation ruhte und den Beweis lieferte, daß Tüchtigkeit und
Initiative auch über das Trotzdem der schlechten Zeiten Herr
werden können. Die große, bereits bei dem internationalen
Motorradsport eingeführte Dreiecksbahn ist der letzte und
bekannteste Trumpf, den Hockenheim ausspielte.

Aber diese ihm heute bereits von vielen Städten beneidete
Rennbahn wurde ihm nicht geschenkt, sondern es hat sie in einem
langen Kampf gegen Vorurteile, Behörden und Rivalen erkämpft. Sie
war eine eigene Idee, von Hockenheimer Sportleuten angeregt und
von der Stadtverwaltung Hockenheim sofort aufgenommen und
fruchtbar gemacht. Die gute Finanzlage der Stadt war die
Voraussetzung, daß man an ein solches, immerhin gewagtes Projekt
denken und an seine Ausführung gehen konnte.

Über 80.000 RM wurden im ersten Jahr für den Bau und die ersten
Anlagen der Rennbahn verwirtschaftet, sodaß sich denken läßt, mit
welcher Spannung man den Ausgang des ersten Rennens im Vorjahr
abwartete. Daß das Rennen mit einem Massenbesuch von 50.000
Menschen glänzend absolviert wurde, und für Hockenheim einen
Ehren und Ruhmestag in seiner Entwicklung brachte, verlieh der
Stadt nur neue Schwungkraft und Aktivität und lenkte plötzlich
die Aufmerksamkeit der gesamten Sport und Verkehrswelt auf den
sich vorbringenden Neuling.

Und heute (gemeint ist 1933) sucht man mit größtem Interesse
seine Karriere zu begreifen. Es ist nicht so, daß Hockenheim die
Jahre hindurch einen Dornröschenschlaf gehalten hat und nun wie
im Märchen aufgewacht wäre. Unermüdliche Arbeit an sich selbst,
Ausnützung aller Gelegenheiten und das Schritthalten mit der Zeit
hatten das Dorf des vorigen Jahrhunderts in die Höhe gebracht und
ihm im Jahre 1895 den Stadttitel eingetragen.

Die Schwelle dieser Entwicklung sind die 70er Jahre, als die von
Mannheim kommende Tabakindustrie in dem ärmlichen Dorf ihren
Einzug hielt und in den nachfolgenden Gründungsjahren Fabrik auf
Fabrik entstehen ließ. Was der Fabrikation den Anreiz zur
Niederlassung gab, war der glückliche Umstand, daß auf der
Hockenheimer Gemarkung der Tabakbau schon seit dem
merkantilistischen Zeitalter ansässig war und Erzeugung und
Verarbeitung eine praktische Synthese bildeten.

Heute ist Hockenheim mit 16 Betrieben und über 1.150
Tabakarbeitern der führende Tabakindustrieort im Lande Baden und
seine Zigarren sind in der ganzen Welt als Markenware bekannt.
Die Krisenjahre dieser Industrie, die der Schlüssel des gesamten
Wirtschaftsleben der Stadt sind, haben im letzten Jahr an die
Widerstandskraft der Stadt die schwerste Belastungsprobe
gestellt, wozu noch die Ausrangierung eines Großteils seiner
Arbeiter aus dem Mannheimer Industriegebiet hinzukam.

Es ist erstaunlich, wie sich Hockenheim trotz der für seine Größe
enorm hohen Wohlfahrtsaufwendungen, die heute 350.000 RM
betragen, nicht nur über Wasser halten, sondern noch erhebliche
Aktiva machen kann und seinen Arbeitslosen, wo es auch nur geht,
Verdienstmöglichkeiten zu bieten versteht. So ist Hockenheim im
wahrsten Sinne des Wortes eine Arbeits und Arbeiterstadt mit
einem kraftvollen Organismus, der zukunfts und ausdehnungsfähig
ist.

Mit vor zehn Jahren noch 7.899 Einwohnern, steht es heute an der
10.000Grenze. Fleiß, Arbeit und Sparsamkeit sind die tragfähigen
Fundamente dieser Arbeiterstadt, in der es so gut wie noch keine
Villen gibt, keine Monumentalbauten mit Ausnahme der beiden
Kirchen und des Wasserturms, der Sinnbilder der einfachen und
tiefsten Bedürfnisse des Menschen. Noch lebt Hockenheim ganz in
der bäuerlichen Atmosphäre und zwischen der handgebundenen
Zigarrenindustrie und der Landwirtschaft besteht keine große
Distanz.

Das Herüber und Hinüberwechseln sind das Gegebene, was die
bäuerliche Parzellenwirtschaft leicht gestattet. Die
Parzellierung drückt sich auch in der Aufteilung der Bauflächen
und der Hausgrößen aus. Der Großteil der Stadt besteht aus
bescheidenen Straßenzügen mit kleinen, spitzgiebeligen Häusern,
die sich in langen Ketten und einheitlicher Bauweise von der
durch die Kirchen, Fabriken, öffentlichen Gebäuden und einigen
Geschäftshäusern städtisch betonten Stadtmitte in die Ebene
hineinschieben. Sie tragen einen ausgesprochenen Dorf und
Siedlungscharakter, der der Stadt einen heiteren ländlichen Zug
verleiht.

Ein Beweis, daß die Stadt nicht auf ein größeres Hinterland zu
rechnen hat, und fast ganz auf sich gestellt ist, sind im
Vergleich zu anderen Städten (Schwetzingen, Wiesloch, Bruchsal,
Bretten) die verhältnismäßig geschäftsarmen Straßen: ein
ausgeprägtes Ladenleben ist nur in der Karlsruher, oberen und
unteren Hauptstraße formuliert. So hat sich der Handwerker und
Gewerbestand nicht übertrieben entwickelt und hat sich seine
Stellung als Mittel und Zwischenstand von Arbeiter und
Bauernschaft erhalten können.

Heute, wo man die Wiedergenesung Deutschlands in der
Landwirtschaft sucht, kann man in Hockenheim erfreulich
feststellen, daß das Land und die Scholle in dieser Stadt einen
großen Nährraum ausfüllen. Außer dem Tabakbau, der jährlich
nahezu 3.000 Zentner Tabak liefert, steht der Spargelbau, der im
Wasserturm, dem Hockenheimer Riesenspargel, die Reklame hat, in
großer Blüte und hat sich auf den Großmärkten durch seine
Qualitätserzeugnisse einen Namen geschaffen.

Wenn auch der Boden der Hockenheimer Gemarkung meistenteils aus
Sand besteht, und die Natur ihm wenig Reize verliehen hat,
Hockenheim versteht es aus dem FF, aus diesem Sand Gold zu sieben
und sich selbst seines Glückes Schmied zu sein.

Aus: Konrad Litterer, Lokale Nachrichten, 19.5.1933

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Unvergleichliches Heidelberg

01.07.98 (Geschichte allg., Landschaft & Orte, Städte & Gemeinden)

Alt Heidelberg du feine,
Du Stadt an Ehren reich,
Am Neckar und am Rheine,
Keine andere kommt dir gleich
(J. V. v. Scheffel.)
Wem schlägt nicht das Herz höher beim Worte “Heidelberg”, wen zieht’s nicht hin mit allen Mächten der Sehnsucht zu der Königin deutscher Musenstädte, die residiert in der schönsten der schönen Landschaften Germaniens? Von Jahr zu Jahr huldigen ihr Hunderttausende aus aller Herren Länder in unversieglicher Begeisterung. Heidelberg ist das Mekka der Schönheitssucher in Gottes weitem Garten. Berg und Tal, Wald und Feld, Strom und Bach, Paläste und heimelige Häuslein, stolze Plätze, schmale, lauschige Gassen, unvergleichliche Denkmäler der Vergangenheit und neuzeitliche, bedeutungsvolle Schöpfungen, überwältigende Romantik und zarteste Lyrik, hohe Kunst und hehre Wissenschaft, geistvoller Ernst und ausgelassenste Fröhlichkeit, traute Schenken, würziger Wein und schäumendes Bier, herzliebe Mädel, lustige Kumpane sind hier vereinigt zu einem köstlichen Gemisch.
“Stadt fröhlicher Gesellen,
An Weisheit schwer und Wein,
Klar ziehn des Stromes Wellen,
Blauäuglein blitzen drein.”
(Scheffel.)
Schaue an der Brüstung der Molkenkur auf dies wunderbare Stück Erde. Zwischen zwei dichtbewaldeten Bergkuppen ruht ein lachendes Tal. Drin wälzt der Neckar seine grüne Flut. Auf dem leichten Wellengekräusel hüpft das Spiegelbild einer einzigartigen Stadt. Am linken Ufer reiht sich, eng und schmal, zwischen Fluß und Berg, das Dächergewirr der Altstadt in langer, langer Strecke aneinander. Machtvoll streben Halle und Turm der Heiliggeistkirche in formenschön Spätgotik darüber hinweg. Am andern Ufer folgen dem Wasserlaufe, hart an den Fuß des Heiligenberges geschmiegt, prächtige Villen, vornehme Wohngebäude. Über den Neckar schreiten die gleichmäßigen steinernen Bogen der alten Brücke, die Goethe eine der schönsten nannte. Aus dem in die Altstadt hineindringenden Blättermeer des Schloßberges ragt in den blauen Aether gigantisch auf die deutsche Alhambra: das majestätische Heidelberger Schloß. Nur schwer scheidet der Blick und schweift nach Westen, dahin, wo das Tal geweitet, wo in der breit gelagerten Rheinebene des Neckars geschlängelter Lauf in der Ferne verloren geht. Einem überquellenden Füllhorne gleich ergießen sich neue Stadtteile  vereint durch die Friedrichsbrücke  aus dem engen Flußtale hinaus in die Ebene und entlang der Bergstraße. Ganz draußen am Rheinstrom schimmern aus sonnig zarten Schleiern die Riesenschlote der Rheinau, flimmern die ernsten Umrisse des Kaiserdomes zu Speyer, leuchten die violetten Kuppen der Hardt.
Reich, wie die Schönheiten der Natur, sind die denkwürdigen Erinnerungen Heidelbergs. Im 12. Jahrhundert errichtete ein unbekannt Gebliebener die erste Burg auf dem Jettenbühl und ein Vorwerk auf dem Gaisberg. Im Schutze der Burg vergrößerte und entwickelte sich die spärliche Ansiedelung im Tal zu einem ordentlichen Gemeinwesen, das dem Bistum Worms gehört haben muß, denn 1225 gab Bischof Heinrich von Worms die Feste Heidelberg mitsamt der Ortschaft dem Pfalzgrafen Ludwig I. von Bayern als Leben, der sie zu seiner Residenz erkor.
Anfangs des 14. Jahrhunderts wurde die Pfalz von Bayern getrennt. Der erste Kurfürst der Kurpfalz, Ruprecht I., wählte Heidelberg wiederum zur Residenz. Dieser geistvolle Herrscher gründete 1386 die Universität, die nach Prag und Wien die älteste deutsche Hochschule war und bald zu hoher Berühmtheit gelangte.
Glanzvolle Tage rauschten über AltHeidelberg dahin. Zur Zeit der Renaissance wetteiferten Kurfürsten und Bürgerschaft in der Entfaltung fleißiger Bautätigkeit. 15501610 entstanden unter den Kurfürsten Friedrich II., Otto Heinrich und Friedrich IV. die wunderbaren Renaissancepaläste: der gläserne Saalbau, der OttHeinrichsbau und der Friedrichsbau.
Um 1610 stand das Schloß in vollstem Glanz inmitten feenhafter Luxusgärten, die der „Winterkönig“, Friedrich V., seiner Gemahlin zu Ehren hatte anlegen lassen. Die pfälzische Residenz zählte ungefähr 6000 Einwohner und war das Muster einer schmucken, mittelalterlichen Stadt mit prächtigen öffentlichen und privaten Bauten.
Da nahten die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges. Tilly, der schon nahezu die ganze Pfalz erobert hatte, trat 1622 mit Feuer und Schwert auf. Trotz tapferer Gegenwehr war nach einigen Monaten Belagerung Stadt und Schloß in seiner Macht. Die protestantischen Universitätslehrer wurden vertrieben, die berühmte Universitätsbibliothek wanderte zur größten Betrübnis der Heidelberger nach Rom.
Nur zehn Jahre lang besaßen die Kaiserlichen Heidelberg, dann eroberten die Schweden Schloß und Stadt. Zwei Jahre später, 1635, gelang den Kaiserlichen die Rückeroberung. Des Winterkönigs Sohn Karl Ludwig, der 1649 zur Regierung gelangte, richtete die Universität wieder ein und suchte nach besten Kräften Wunden, die der Krieg geschlagen, zu heilen. Aber noch hatte die Stadt das schlimmste nicht überstanden: den Befehl Ludwigs XIV.: “Brûlez le Palatinat!“ An den wunderbar ornamentierten Fassaden des Schlosses schlugen 1689 die Flammen empor. Kräftige Minen zerrissen das Mauerwerk. Der rote Hahn hüpfte von Haus zu Haus. Heidelberg und die Pfalz waren eine Wüste. Ludwig XIV. aber ließ ein feierliches Tedeum halten und eine Denkmünze prägte er: „Heidelberga deleta“, sein Bild und “Ludovicus Magnus, rex Christianissimus“!
An der Schwelle des 17. Jahrhunderte zog wohltätiger Friede durch die Lande, den die Bürgerschaft, immerwährender Religionszwiste wegen, jedoch nicht vollkommen genießen konnte. Zwar wurde die Stadt nach dem alten Lageplan wieder aufgebaut, Herrscher besserten an den Schloßüberresten dies und das aber der Glanz der Kurfürstenresidenz war und blieb verblichen. Der katholische Kurfürst Karl Philipp verlegte, des Streites der protestantischen Bürgerschaft müde, 1720 den Hof und gesamte Regierung nach Mannheim. Die Universität, die unter mißlichen Verhältnissen schwer gelitten hatte, sank fast zur Bedeutungslosigkeit herab. Der gute Wille des nächsten Kurfürsten Karl Theodor, der Stadt zu helfen, Handel und Wandel zu heben, Industrie einzuführen, hatte geringen Erfolg. Seine Absicht, dem von ihm wiederhergestellten Teile des Schlosses dann und wo zu residieren, durchkreuzten des Himmels Mächte. Ein Blitzstrahl schlug 1764 zu Trümmern, was Ludwigs XIV. General Melac übrig gelassen und die Kurfürsten nach dessen Schreckenstaten wieder geschaffen hatten.
Vernichtet waren die Hoffnungen der Heidelberger. Zähneknirschende Unzufriedenheit, Sorge, revolutionäre Gesinnung schritten durch die freudenleeren Straßen der vom Schicksal den Staub gepeitschten Stadt. Jeder neunzehnte Pfälzer soll damals ein Bettler gewesen sein. Da trat das 19. Jahrhundert durch die verlotterten Tore, gefolgt von der segenspendenden Glücksgöttin. Heidelberg und die rechtsrheinische Kurpfalz fielen 1803 an Baden, dessen Herrscher Karl Friedrich schon im gleichen Jahre der verwahrlosten Universität durch fürstliche Dotation neues Leben gab. Und neues Leben sproß allüberall auf. Die Hochschule gewann bald den ehemaligen Ruhm, weit über Deutschland, zurück. Die berühmtesten Gelehrten des 20. Jahrhunde saßen und sitzen heute noch auf den Lehrstühlen. Das Institut für experimentelle Krebsforschung ist einzig in seiner Art. Ueber 170 Dozenten und mehr als 2500 Studenten gehören gegenwärtig der „Ruperto Carola“ an.
Ansichten und Neigungen ändern sich. Fand man in launigen Zopfzeit die gleichmäßige Ebene und zierlich zugestutzte Gartenkunstwerke lieblich und schön, so hatten die Romantiker mehr Sinn für die Natur in ihrer reinen Ursprünglichkeit. Heidelberg mit den grünumrankten Burgtrümmern galt jetzt als Ideal landschaftlicher Schönheit. Tausende und Abertausende suchten dieses Ideal. Seit es Eisenbahnen und Dampfboote gibt, seit das Reisen Mode geworden, wälzt sich jahraus, jahrein ein ungeheurer Fremdenstrom zur Stadt am Neckar und am Rheine. Nahezu 200 000 Reisende werden alljährlich in den Fremdenlisten aufgezeichnet. Viele lassen sich zu dauerndem Aufenthalt nieder. Eine weitere Anziehungskraft erhält Heidelberg durch seine von der BadHeidelberg A. G. neu erbohrte, stark radiumhaltige Thermalsolquelle. Die in Verbindung damit zu schaffenden Einrichtungen bringen die Stadt in die Reihe der hervorragenden Kur und Badeorte Deutschlands. Heidelberg hat heute über 70000 Einwohner. Diese kraftvolle Entwicklung des Gemeinwesens ist aber nicht allein der Universität und dem Fremdenverkehr zu verdanken. Ein gut Teil dazu hat die Industrie beigetragen. Die großgewerblichen Bauten liegen aber vor dem Bahnhofsviertel an der Bergheimerstraße und beeinträchtigen so den Charakter Heidelbergs als vornehme Fremdenstadt durchaus nicht. Imposante neuzeitliche Bauten, zahlreiche großstädtische Kaufläden haben das Anheimelnde der Altstadt nicht zu verwischen vermocht. Jeder Stadtteil hat seine eigenen Reize. Still, vornehm, beschaulich ist’s in der Sofienstraße und in den Anlagen, heiter und genußvoll am Neckar entlang, kleinstädtisch in den schmalen Gäßlein AltHeidelbergs, prachtvoll im Rohrbacher und besonders im Neuenheimer Villenviertel, romantisch an den Bergstraßen beiderseits des Flusses.
Geistige Genüsse bietet Heidelberg in Hülle und Fülle. In erster Reihe gewährt sie die Universität mit ihren wissenschaftlichen und populären Veranstaltungen. Die riesengroße Universitätsbibliothek, die archäologische Sammlung, die Anatomie, die städtische Kunst und Altertümersammlung, die Gemäldeausstellung des Kunstvereins, die Landessternwarte, die zoologische Sammlung, der botanische Garten verdienen hier erwähnt zu werden. Berühmt ist das Musikleben Heidelbergs. Die Konzerte des Bachvereins unter Dr. Wolfrums Leitung hatten Weltruf. Eines guten Ansehens erfreut sich auch das Stadttheater. An Unterhaltung und Vergnügen mangelt es nicht. Wenn die ersten Frühlingsboten, Schlüsselblumen und Veilchen, sprießen, wenn der Mandeln Blüte der Berge Rand in jungfräuliches Weiß hüllt, an Lätare, zieht die Jugend in hell Scharen in unendlich langer Kette mit blumen und bändergeschmückten, brezel und äpfelbesteckten Sommerstäben, mit mächtigen Strohmännern, durch die Straßen, Dann schallt’s aus tausend Kehlen unermüdlich: „Strih, strah, stroh, der Summerdag ist do.”
Das Sommersemester beschert eine Reihe pompöser studentischer Feste mit Wagenkorso und Schloßbeleuchtung, Neckarfahrt und prunkhaftem Bankett. Jetzt ist die Zeit der Kongresse und Versammlungen. Es ist die Zeit der Regatten der Ruderklubs, der Schwimmwettkämpfe im Hallenbad und im Neckar. Alltäglich spielt das städtische Orchester im Schloßpark und im Stadtgarten. Und auf den Herbst voller Farbenpracht und prickelnden Bergsträßlerweine locken zuguterletzt des Winters Freuden droben auf den Rodelbahnen des Königsstuhls, zu denen die Drahtseilbahn bequem hinaufbefördert.
Das Herrlichste aber sind und bleiben die Schloßbeleuchtungen. Tausende und Abertausende streben diesen zu. Von Mannheim bringt Extrazug um Extrazug immer neue Schaulustige. Der langen Neuenheimer Landstraße ganze Breite ist besetzt, Kopf an Kopf. Die Nacht ist dunkel. Kleine Fünklein weisen nach dem Himmelsgewölbe, leuchtende Pünktchen lassen ahnen, wo Berge schlummern, leise Ruderschläge deuten hin auf die Nähe des Wassers. Sonst Stille ringsum. Die Zeit ist da. Donner rollt vom Königsstuhl zum Heiligenberg. Die Köpfe recken sieh. Drüben lodert ein feuriger Brand. Von der Bergwand steigt’s herauf, blutigrot.
Jetzt steht’s vor uns: das Schloß mit seinen Mauern und Zinne Türmen und Bastionen, mit seinen unheilbaren Wunden, und dennoch in unendlicher Pracht, in gewaltiger Erhabenheit. Alles ist dunkel. Nur das Schloß ist da, feenhaft, wundersam. Und wer die, Flammen träumerisch verglühen, dann ist’s, als ob ein verwehter Funke zu uns herübergeflogen. Die alte Brücke brennt. In Glut getaucht enthüllt sie ihre edlen Formen. Im dunklen Schoß des Neckars aber rasselt’s und prasselt’s. Ein Heer von Feuerkugeln steigt auf und sinkt in die Flut. Von fernher kommt ein Schiff. Aus dem Geheul des Pulvers treten harmonische Klänge immer deutlicher hervor. Das singt und klingt:
“Gaudeamus igitur
Juvenes dum sumus”,
und tausend hochgestimmte Herzen klingen und singen nach.
Aus dem Badischens Verkehrsbuch 1898

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