Reilinger Amtskräfte kamen nur zögerlich ihren Pflichten nach
30.04.06 (Reilingen)
Zwischenfall beim Reilinger Mai-Lauf 1906 / Tradition viel älter als bisher angenommen / Taschentücher aus St. Leon lösten Massenschlägerei aus
Die Mai-Läufe in Reilingen gibt es schon viel länger als bisher angenommen. Dies belegt eine Aktennotiz des damaligen Bezirksamtes Schwetzingen im heutigen Generallandesarchiv in Karlsruhe. Dieser Eintrag ist aber auch zugleich ein Hinweis dafür, dass dieser Staffellauf aus der Arbeiterbewegung heraus entstanden sein muss und zur damaligen Zeit auf großes Interesse stieß – vor allem auch beim weiblichen Teil der Bevölkerung. So wird berichtet, dass sich 1906 zum „Maien-Laufen wie seit einigen Jahren üblich“ wieder die Mannschaften eingefunden hätten, um „von der Ritzhaupt’schen Zigarrenfabrication auf dem Wersauerhof bei Reilingen gestaffelt hinein in das Dorf laufen bis zur Pfarrkirch Sanctum Wendelinum neben dem Rathhaus“. Angetreten waren „wie bereits geschehen in den Jahren zuvor die Mannschaften der Reilinger Zigarrenfabricationen zu acht Läufern das Stück“. Es war nicht nur eine Frage der Ehre, sondern vor allem auch des Prestiges, diesen „Lauf um die Ehren des Lorbeerkranzes“ zu gewinnen. Jede Zigarrenfabrik wollte den Sieg für sich erringen, mehr noch: die jungen Läufer wollten bei den weiblichen Belegschaftsmitgliedern glänzen. Und genau dieses Imponiergehabe führte 1906 zu einem Zwischenfall, der den Mai-Lauf schließlich aktenkundig werden ließ.
Grund dafür war, dass sich auch eine Mannschaft aus dem Werk St. Leon der Zigarrenfabrik Ritzhaupt am Lauf beteiligte. Bereits vor dem Start sorgten die aus den Hosentaschen heraushängenden Taschentücher bereits für Unruhe bei den Reilingern. Galt dies damals für die holde Weiblichkeit doch als bekanntes Zeichen, dass man auf Brautschau sei. Und als die jungen Männer nach Abschluss der Laufes gar noch mit den Taschentüchern anfingen, weithin sichtbar zu winken (was sie natürlich später mit Luftzufächern verharmlosten), waren die Reilinger Jungmänner nicht mehr zu halten. „Die Anzeigenden wurden hordenartig überfallen, mit Fäusten und Tritten tractiert, und zum Schlusse gar mit Kübeln voll Mist und Jauchebrüh beschmutzt.“ Dem Eintrag ist weiter zu entnehmen, dass es den beiden Gendarmen, dem Dorfbüttel und Amtsdiener schließlich gelang, den Streit zu schlichten. Bemängelt wurde aber, dass alle Reilinger Amtskräfte „recht zögerlich“ ihren Pflichten nachgekommen seien. Um solche Situationen zukünftig auszuschließen, wurde vom Bezirksamt am 23. Mai 1906 angeordnet, dass „die Maien-Läufe zu Reilingen“ bei drohendem Verbot nur noch „für einheimische Bürger“ zugelassen seien. Man schien sich an diese Anordnung gehalten zu haben, denn es liegen keine weiteren Einträge über Raufereien oder andere Probleme beim Mai-Lauf vor.