Kurpfalz Regional Archiv

Geschichte(n) und Brauchtum aus der (Kur-)Pfalz

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Seit 1830 gibt es Fastnachtsumzüge

23.02.96 (Brauchtum & Tradition)

Fastnacht, Fasnacht, Fasnet, Fasching oder Karneval  für
die einen eine liebenswerte Tradition, für die anderen eine
verzichtbare Narretei. Egal, wo man nun die sogenannte
„fünfte Jahreszeit“ einordnen möchte, sie ist zu einem
festen Bestandteil im kurpfälzischen Jahresrhythmus
geworden. Die Geschichte der Fastnacht ist eigentlich uralt
und geht noch auf das germanische Brauchtum zurück. Damals
war es schon üblich, den Winter durch furchterregende
Gestalten in Gewändern und mit Masken vertreiben zu wollen.
Später wurde diese Winteraustreibung auch von den
christianisierten Volksgruppen übernommen und fand so
Einzug in das Kirchenjahr.

Anstelle der Geisterbeschwörung rückte aber die kirchliche
Bedeutung in der Vordergrund: Fastnacht galt als die Zeit
des letzten Feierns vor der 40tägigen Fastenzeit vor
Ostern. In katholischen Gegenden ist dieser Brauch bis
heute lebendig. Im schwäbischalemannischen Raum ist nach
wie vor die germanisch geprägte Fasnet mit Maskenträgern
und zum Teil furchterregenden Kostümen in das Brauchtum
übergegangen.

Eine ganz andere Fastnacht hat sich entlang des Rheines
entwickelt. Hier prägen die französischen und preußischen
Einflüsse während den Besatzungs und Regierungszeiten den
im 19. Jahrhundert entstandenen Karneval. Genau betrachtet
nutzte die Bevölkerung die von der Obrigkeit zu Fastnacht
geduldete Narrenfreiheit und karrikatierte, ja
verballhornte den Militarismus und das damit verbundene
Herrschaftssystem.

In der Kurpfalz links und rechts des Rheines hat sich so in
den Jahren seit 1830 eine eigenständige Fastnacht
entwickelt, die Traditionen aus allen Brauchtümern
aufweist. So ist der rheinische Karneval hier ebenso zu
hause wie auch die volkstümliche Fastnacht, die aus dem
Odenwald, Kraichgau oder Bruhrain einströmte. Es ist so
eine überaus bunte Mischung entstanden  die Fasnacht.

Übernommen wurden so auch die Tradition der
Fastnachtsumzüge. Diese gehen zurück auf die erste Hälfte
des 19. Jahrhunderts. So ist bekannt, daß in der
„bayerischen Kreis und Hauptstadt“ Speyer bereits 1830 ein
„wohlgeformter Narrenzug“ durch die Straßen zog. Ab 1839
gibt es Nachweise über die ersten Maskenzüge in Mannheim,
die ab 1840 vom Unterhaltungsverein „Räuberhöhle“
durchgeführt wurden.

Doch wie gesagt, die kurpfälzische Fastnacht ist um
Jahrhunderte älter. Es gab schon sehr früh mehr oder
weniger organisierte Umzüge. Vor allem am Tag vor
Aschermittwoch, dem Beginn der kirchlichen Fastenzeit,
zogen in der „Fastnacht“ Grüppchen und wilde Haufen
maskiert und in Sack und Lumpen gekleidet meist von
Wirtschaft zu Wirtschaft.

Der kurfürstliche Hof und damit der Adel schloß sich dieser
Art des Feiern jedoch nicht an. Auch hier blieb man unter
sich und feierte rauschende Maskenbälle. Das höfische
Zeremoniell blieb erhalten, man vergnügte sich in
farbenfrohen und phantasievollen Kostümen. Venezianische
Masken oder das Gesicht verdeckende Handlarven waren eine
Pflicht. Nur wer erkannt wurde, mußte sich demaskieren und
war damit dem Spott der anderen ausgesetzt.

Erst während der Gründerjahre um die Mitte des 19.
Jahrhunderts entstanden in der bürgerlichen Gesellschaft
die ersten Karnevalsvereine und närrischen Vereinigungen.
Sie waren es, die gemeinsames und „kultiviertes“
Fastnachtstreiben in ihre Satzungen aufnahmen. Diese
Gründungen gingen auf Kölner und Mainzer Vorbilder zurück.
Das gilt auch für das Wort „Carneval“, das auch in der
Kurpfalz bei der Namensfindung der neugegründeten Vereine
und Gesellschaften in Mode kam. Die nunmehr organisierten
Fastnachter und Narren wurden zu „Karnevalisten“, die
Harlekins und Pierrots zum „Prinzen Carneval“.

In Speyer ist eine „Ordnung des Zugs“ vom 13. Februar 1831
im Original erhalten geblieben. So weiß man heute, daß mit
19 Nummern ein recht übersichtlicher Narrenzug durch Speyer
zog. Dem „Träger der Narrenfahne“ und „Drey Trompetern“
folgte „Oberst Rummelpuff“ als „Commandant des Krähwinkler
Landsturms“, dann „Sperlin, General Quartiermeister und
Regimentsdichter, nebst Schnaps, RegimentsFeldscher“.
Weiter hinten im Zugprogramm findet man dann „Prinz
Schnudi, Generalissimus, nebst Gemahlin, Prinzessin
Evekathel“, denen mehrere Wagen „mit dem Präsidenten und
den Räthen der Regentschaft“ folgten.

Fastnachtsumzüge in der Zeit des politischen Vormärz waren
auch Protestmärsche gegen Pressezensur („Frau Censura
spricht: Uns gebührt’s frey zu schalten, Ihr habt das Maul
zu halten!“) und Obrigkeitsstaat, erfüllt von
revolutionärem Geist in der Verkleidung des Narren. Es
waren Vorläufer des politischliterarischen Karnevals. So
wurde besagte „Prinzessin Evekathel“ mit bissigen Schimpf
dargestellt: „Der Plebs bleibt Plebs auch in Pallästen, ihr
könnt die Gans mit Trüffeln mästen, es bleibt doch immer
Federvieh und mehr als Schnattern lernt sie nie!“

Wo immer Karnevalsvereine auch entstanden, gab es
Kappenfahrten, närrische Auf und Umzüge,
RathausErstürmungen, „Beerdigungen“ der Fastnacht und die
„Geldbeutelwäsche“. Oft wurden diese Traditionen Ende des

  1. Jahrhunderts auch von den überall entstehenden
    Unterhaltungs und Vergnügungsvereinen,
    Theatergesellschaften, Turn und Gesangvereinen übernommen.

Die Naziherrschaft und der Zweite Weltkrieg bereiteten
vielen, ja fast allen Fastnachtsbräuchen, auch den vielen
Umzügen, ein bitteres Ende. Als in den ersten
Nachkriegsjahren die alten Vereinsfastnachter auch in der
Kurpfalz wieder ihre Mützen und Orden hervorkramten und
zahlreiche neue Vereine und Gesellschaften gründeten,
hatten sich für die Fastnachtsumzüge die Zeiten geändert.
Düsseldorf, Köln und Mainz setzten neue und andere
Maßstäbe, gefördert und kommerzialisiert durch Fernsehen
und Fremdenverkehr.

Nur wenige Fastnachtsumzüge in den großen Städten der
Region konnten sich halten. Damit starb diese Tradition
aber nicht aus. Sie verlagerte sich vielmehr in die
Gemeinden und Kleinstädte, in denen bis heute ebenso
rührige wie heimatverbundene Karnevalsvereine das närrische
Brauchtum pflegen und jedes Jahr zehntausende von Besucher
aus nah und fern begeistern  egal ob nun in Mechtersheim
oder Hockenheim, in LUOppau oder Schwetzingen, in Bellheim
oder, wie 1996 neu begründet, in Altlußheim.

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