* Uns läuft die Zeit davon …
17.10.10 (* Wersau-Forschung, * Wersauer Tagebuch)
Den heutigen Sonntag wollte ich eigentlich zum Faulenzen, Ausruhen und zur Pflege des Familienlebens nutzen – aber es ist einmal mehr fast wieder nicht möglich, meiner Tagesplanung zu folgen. Bereits kurz nach 9 Uhr klingelt das Telefon und eine aufgeregte Stimme teilt mir mit, dass es eine „Unverschämtheit“ von uns sei, auch am Sonntag, dem „Tag des Herrn“, auf dem Burggelände zu arbeiten. Ich kann mir das zwar nicht vorstellen, verspreche aber, mich sofort darum zu kümmern.
Also kleide ich mich an, setzte mich auf das Fahrrad und fahre bei ungemütlichem Herbstwetter raus. Die frische Luft reinigt meine Gedanken, die kalte Morgenluft frischt meine Lungen auf. Der Schweiß steht mir auf der Stirn, mich fröstelt unter der dünnen Jacke. Hätte ich doch den Einwand meiner Frau ernst genommen …
Aber wer nicht hören will muss fühlen – und das schwöre ich auch den sonntäglichen „Arbeitern“ antun zu wollen: Nur, es ist weit und breit kein Mensch zu sehen! Friedlich und wie ausgestorben liegt das Burggelände vor mir, der Nebel steht über den Feldern. Wollte mich da wohl jemand ärgern? Ist mir egal, denn so ein Sonntagmorgen wie heute kann auch zur Erholung für die Seele werden.
Um aber absolut sicher zu gehen, dass wirklich niemand gräbt oder in den Gräben räubert, öffne ich die schwere Kette, hänge sie aber dieses Mal nicht über das Tor, sondern behalte sie in meiner Hand. Hab mal im Fernsehen gesehen, dass so eine Kette eine echt gute Waffe sein kann – zumindest bei den Rockern. Ob das wohl auch bei mir klappen könnte, der eigentlich viel lieber Klassik, Swing und Jazz hört?
Zuerst gehe ich zu den Gräben rechts vom Tor – sie sind leer, von irgendwelchen „Grabräubern“ keine Spur. Also gehe ich weiter, um den 33 m langen Stichgraben zu inspizieren … – Gott sei dank, auch nichts! Ich gehe rüber zur Werkstatt, wo wir unsere Funde verwahren, die Ausrüstung der „Wersauer“ und ein paar „Mitbringsel“ von unserem Philipp. Auch hier ist alles ruhig, das Tor verschlossen, die Scheiben ok. Ich drehe mich um, um mit dem Rad wieder in Richtung Tor zu fahren, als ich mit dem rechten Auge, hinten bei den Apfelbäumen, einen Schatten sich bewegen sehe. Der Schreck fährt mir zwar nicht in die Glieder, aber so ganz geheuer ist mir die Sache auch nicht. In der linken Hand die Kette, in der rechten Hand mein Handy mit dem aufgerufenen Notruf, so dass ein Druck darauf genügt, gehe ich durch das feuchte Gras in Richtung Apfelbäume.
Vorsichtig gehe ich weiter, vom Dorf her höre ich das Läuten der Glocken von St. Wendelin. Was kann den Frieden dieses Morgens stören? Hier draußen in Gottes freier Natur? Noch ist nichts zu sehen, aber als ich die Apfelbäume erreiche, bleibe ich wie angewurzelt stehen: Vor mir, ich kann es kaum glauben: NICHTS! Aber überhaupt nichts! Ich will gerade das Handy wieder einstecken, sehe ich drüben am großen Nußbaum in der südöstlichen Ecke des Burggeländes wieder diesen Schatten. Und jetzt ganz deutlich: Da bewegt sich doch was. Langsam nähere ich mich diesem Bereich, mache mich bereits auf das schlimmste gefasst. Und dann sehe ich sie, und sie machen sich davon – meine übernächtigten Gedanken! Alles nur Einbildung, Trugbilder am frühen Morgen, Phantasien eines von Geschichte(n) geprägten Menschen.
Und in der Tat: Die ganze Nacht über hatte ich mir Gedanken gemacht, wie wir unsere Arbeit im Bereich der Kernburg intensivieren könnten – ohne den Einsatz von uns allen deutlich erhöhen zu müssen. Mir ist klar, dass jeder von uns sein Bestes geben möchte, aber halt soooo viele andere Aufgaben ebenso – und oft zeitgleich erledigt werden müssen. Wenn ich nur an mich denke, was in den letzten Wochen so alles liegengeblieben ist, oder ohne die Hilfe meiner Frau und Kinder nicht doch erledigt worden wäre. Aber auch der anderen Seite ist ebenso klar, dass uns die Zeit davonläuft. Der Winter steht vor der Tür, und damit Regen, Eis, Frost oder Schnee. Und das ist für unsere Burg unter der Grasnarbe zwar kein Problem, aber möglicherweise für den Ausgrabungsbereich der Kernburg.
Langsam fahre ich zurück nach Hause, und verspreche mir, den Rest des Tages in aller Ruhe ausklingen zu lassen. Aber irgendwie kann ich halt keine Ruhe vertragen … – und knoble noch stundenlang darüber, wer mich an diesem friedlichen Sonntag so verarscht hat …! Aber eigentlich hätte ich es ja wissen müssen, dass eine Telefonat ohne Nummernkennung wie ein anonymer Brief zu behandeln ist. Aber auch Oskar ruft mich immer mit Rufnummernsperre an …