* Wersauer Adel verpflichtet …
27.10.10 (* Wersau-Forschung, * Wersauer Tagebuch)
Fahr mal nach Stuttgart und willst einen spontanen Besuch in den Ministerien und bei Behörden machen – kannst du echt vergessen! Stehe um 9.00 Uhr beim Portier des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst: „Haben Sie einen Termin?“ – „Nein!“ – „Dann kann ich Sie nicht reinlassen!“ – „Aber die Ministerien sind doch für die Bürger da?“ – „Da kann ja jeder kommen!“ – „Ich bin nicht jeder, ich komme von der Burg Wersau, komme in Vertretung einer alten Adelsfamilie …!“
Unglaublich, aber hoppla, das zieht! Der Portier nimmt brummend den Telefonhörer in die Hand, wählt eine Nummer: „Hallo, Empfang! Da ist so ein Adeliger da! Wohin soll ich den schicken?“
Wenig später holt mich eine attraktive End-Vierzigerin (so meine Einschätzung, sage es ihr lieber nicht!) in einem aufreizenden Kostüm am Empfang ab. Allein dafür hat sich doch schon mal die Fahrt durch Stau, Nebel und aufgehender Sonne gelohnt. Sie sei vom Besucherdienst, und wisse nicht so richtig, was sie mit mir anfangen solle.
Zum Glück habe ich mich heute in meinen Trachtenanzug gesteckt, sehe vernünftig aus, mein Bart ist frisch gefönt! Scheine Eindruck auf die gute Dame zu machen! Ob ich denn eine Business-Card mit mir führe, frägt sie mich! Umständlich suche ich in meinem Geldbeutel nach einer der vielen unterschiedlichen Visitenkarten, die ich in allerlei ausführungen mit mir führe. Man könnte sie ja mal gebrauchen! Ich entscheide mich für die neueste Version, die wo das Wersau-Logo druff hat, und wo auch steht, dass ich ein promovierter Historiograph bin. Sie weiß zwar nicht, was das ist oder der macht, lächelt aber – und ist von meiner „Business-Card“ mächtig beeindruckt (gab es 50 Stück fer umme im Internet – sag ich ihr aber nicht).
Sie bietet mir ein Tee an, ich bitte aber um einen Kaffee, versuche mich im Small Talk (in Reilingen würde man wohl „Geschwätz“ sagen). Komme aber irgendwie nicht voran, die Frau vom Besucherdienst kann mit mir und meinem Gerede scheinbar nichts, aber gar nichts anzufangen. „Wollen Sie nun jemanden aus dem Bereich Wissenschaft sprechen? Oder aus dem Fachbereich Forschung? Oder hätten Sie ein künstliches Anliegen?“ Sie errötet, ertappt sich bei einem verbalen Missgriff – und verbessert sich sofort: „Ääh, jemanden aus dem Bereich Kunst!“ Ich nicke. „Ja! Aus allen drei …!“ – „Wie meinen?“ Ich versuche ihr jetzt noch einmal klar, deutlich und ausführlich mein Anliegen zu schildern, sie hört mir aufmerksam zu – und antwortet mit einem unglaublichen Lächeln: „Da bräuchten Sie aber erst mal einen Termin!“
Ich bin jetzt noch von dieser Begegnung begeistert und lächle beim Schreiben dieser Zeilen vor mich hin. Sitze am Stuttgarter Schlossplatz in einem Café mit WLAN, futtere eine schwäbische (?!) Butterbrezel, füttere mein Grabungstagesbuch (damit Ihr meine Erlebnnisse mit mir teilen könnt) und nippe an einem großen Milchkaffee. Und denke so an Stuttgart 21 und frage mich, wie es wohl in Reilingen mit Wersau 21 wäre …! Und ob wir für die Burg Wersau nicht auch so einen Besucherdienst einrichten sollten …
Übrigens: Fahre jetzt gleich nach Esslingen zum Landesdenkmalamt. Auf dem Weg dorthin werde ich mir überlegen, welche meiner „Business Cards“ ich dort wohl nehmen werde …