Wiesental geprägt von Krieg und großer Not
19.05.97 (Landschaft & Orte, Städte & Gemeinden)
Wiesental, heute ein Stadtteil der Stadt Waghäusel, blickt 1997 auf eine lange und vor allem sehr wechselhafte 700jährige Geschichte zurück. Kriege, große Not und Armut prägten die Geschichte. Was mehr als 20 Kriege und Belagerungen nicht zerstörten, zerstörten Vandalismus und Naturkatastrophen. Unsägliches Leid aber brachten auch acht Pest- und
Ruhrepedemien in die Bruhraingemeinde, die gar nicht so idyllisch in einem Wiesental liegt, wie der Namen den Anschein erweckt. Selbst die heutige Geschichtsforschung weiß noch nicht so genau, woher der Ortsname eigentlich stammt. Am wahrscheinlichsten dürfte die Annahme sein, daß der ursprüngliche Name „Wiesenten“ durch Lautverschiebungen im
Mittelalter über „Wiesentan“ (Wiesen im Tann) zu „Wiesental“ abgewandelt wurde. Sicherheit herrscht aber bei der Gründung des Ortes. Es ist urkundlich festgehalten, daß am zweiten Fastensonntag 1297 der Speyerer Bischof Friedrich von Bolanden armen Leuten das Gelände „Wiesenten“ mit der Bedingung übergab, dort ein Dorf zu errichten. Aus der gleichen Urkunde
geht hervor, daß es in unmittelbarer Nachbarschaft eine weitere Ansiedlung gegeben haben muß.
Funde auf Wiesentaler Gemarkung weisen auf eine sehr frühe Besiedelung hin. Funde erinnern an die Kelten, die Urbevölkerung im Rheintal und Reihengräber mit zahlreichen Beigaben sind ein Beweis dafür, daß sich in der Gegend auch die Alamannen und Franken teilweise seßhaft waren.
Lange vor ihnen lebten aber hier die Römer. Aus dieser Zeit stammen die an der Römerstraße bei der Sternallee gefundenen vier Amphoren. Die heutige Sternallee ist übrigens ein Teilstück jener Römerstraße, die durch den Bannwald direkt zum Kastell Neuenheim am Neckar zog, ohne eine Siedlung zu tangieren. Vor allem das im Bereich von Wiesental erstellte Kastell, das in den 60er Jahren ausgegraben wurde, spricht für die Bedeutung des Wiesentaler Raums.
Nur wenige Hütten zählte die junge Siedlung in ihrer Gründerzeit. Der Ackerboden mußte in mühsamer Arbeit durch Rodung und Urbarmachung des Waldes gewonnen werden. In einer Zeit ständiger Fehden und Streitereien hatten die wenigen Bewohner des Weilers, in dem besonders Kohlen und Teerbrenner heimisch waren, viel Leid zu ertragen. Allmählich aber wuchs der Flecken durch den Zuzug neuer Siedler zu einer ansehnlichen Gemarkung. Bekannt ist, daß Wiesental bereits 1464 einen
eigenen Schultheiß hatte, wenig später sogar einen Pfarrer und eine Kirche.
Schwer waren für die damaligen Bürger von Wiesental die schrecklichen Zeiten des 30jährigen Krieges. Die 1623 ausgebaute Festung Philippsburg bestimmte über 200 Jahre die Geschichte des Bruhraindorfes, denn Wiesental sollte wiederholt zum Kriegsschauplatz werden. Was der eine Krieg nicht zerstören konnte, vollbrachte der folgende. Nahezug alle Häuser wurden verbrannt, die Kirche ausgeplündert und zerstört. Nur 16 Familien überlebten in bitterster Not den Dreißigjährigen Krieg. 1666 wütete die Pest in der Region und als Folge des 1688 ausgebrochenen Pfälzischen Erbfolgekrieges verwüsteten französische Soldaten im Jahr danach erneut die ganze Gegend und brannten Wiesental, wie viele andere Dörfer auch, völlig nieder. Ein
schwerer Schlag auch für die heutige Geschichtsforschung, denn damals wurden auch sämtliche Akten, Urkunden und Kirchenbücher vernichtet. Als einziger Rest des alten Dorfes blieben die steinernen Mauern der Pfarrkirche mit der angebauten Ölberggruppe sowie der Bildstock mit der Jahreszahl 1638 an der heutigen Karlsruher Straße übrig.
Auch im Polnischen (1734) und Schlesischen Erbfolgekrieg (1746), bei den erneuten Kriegen mit Frankreich (1759 und 1799) und bei den Bauernkriegen wurde Wiesental wegen der strategisch günstigen Nähe zur Festung Philippsburg immer wieder zum Sammelpunkt der Belagerer und Aufständischen. Verwüstungen, Plündereien und Ausbeutungen waren die Folge.
Kriegslärm herrschte auch im badischen Revolutionsjahr 1849. Damals trafen beim Gefecht auf Waghäuseler Gemarkung die preußischen Husaren auf die badischen Freischärler. Aber auch der 2. Weltkrieg hinterließ seine Spuren in Wiesental. 1940 und 1942 richteten Bombenangriffe beträchtliche Schäden an, 1945 wurden gar große Teile des Unterdorfes sowie die 1846 erbaute Kirche weitgehend zerstört.
Obwohl Mitte des 19. Jahrhunderts viele Familien auswanderten, um in Brasilien, Nordamerika oder Australien ihr Glück zu suchen, wuchs die Bevölkerung ständig an. Durch die 1871 errichtete Rheintalbahn sowie den Bau der ersten Zigarrenfabriken verbesserten sich um die Jahrhundertwendie die Lebensbedingungen der Wiesentaler. In alten Unterlagen ist zu lesen, daß um 1892 in der bereits 1837 gegründeten Zuckerfabrik Waghäusel 300 Männer für einen Tageslohn von 1,50 Mark arbeiteten.
Wiesental war und ist auch heute noch ein typisches Pendlerdorf, denn die meisten Berufstätigen arbeiten in Karlsruhe oder Mannheim. Bis vor wenigen Jahren sorgte der Spargelanbau bei vielen Familien noch für ein zusätzliches Einkommen.
Die wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung führte in den Jahren nach 1945 dazu, daß sich auch in Wiesental große Betriebe ansiedelten. Heute sind der Möbelriese Unger und das SB Warenhaus Globus die größten Arbeitgeber der Bruhraingemeinde.
Nach 678 Jahren endete 1975 die Selbstständigkeit von Wiesental. Zusammen mit Kirrlach und Waghäusel wurde die neue Großgemeinde Waghäusel gebildet, die am 1. Mai 1984 zur Stadt erhoben wurde. Die 1996 noch schuldenfreie Stadt Waghäusel präsentiert sich im Jubiläumsjahr als eine moderne Kommune, die auf dem besten Weg ist, die Kirrlacher, Wiesentaler und Waghäusler zu einer Bürgerschaft zu verschmelzen.
Der 700. Geburtstag von Wiesental ist jedenfalls Grund genug, gemeinsam zu feiern und um auf eine gemeiname Zukunft anzustoßen, die als lange Friedenszeit in die Ortsgeschichte eingehen könnte.