"Zeitreise" wurde zur lebendigen Geschichtsstunde
02.01.06 (Speyer)
Mit Geschichten aus der Geschichte die Vergangenheit wieder lebendig werden lassen / Auch in Speyer zukünftig öffentliche Nachtwächter-Rundgänge durch die mannigfaltige Stadtgeschichte
Zu einem historischen Spaziergang „Zwischen den Jahren“ hatte am vorletzten Tag des gerade vergangenen Jahres die Geschichtswerkstatt Hockenheim & Umgebung nach Speyer eingeladen. Das Interesse an dieser Stadtführung der etwas anderen Art, die an diesem Tag zum ersten Mal öffentlich durchgeführt wurde, war so groß, dass sich trotz der eisigen Kälte sowie bei Eis und Schnee knapp 30 interessierte Heimatfreunde von beiden Seiten des Rheins eingefunden hatten, um den regionalen Heimatforscher Otmar A. Geiger in der Rolle des Nachtwächters von Speyer auf dessen Rundgang zu begleiten. Gleich bei der Begrüßung am Domnapf, dem gewaltigen, 1580 Liter fassenden Steintrog, der einst von jedem neu gewählten Bischof für die Speyerer mit Wein zu füllen war, wurde deutlich, dass es dem Wirtschaftshistoriker und Fachbuchautor bei seinen Rundgängen nicht um klassische Stadtführungen geht, sondern um Spaziergänge in die Geschichte. „Wer das Geschehen vor 250 und mehr Jahren begreifen soll, braucht weniger Jahreszahlen oder Geschichtswissen, sondern muss ein Gefühl für das Leben der Menschen in der damaligen Zeit bekommen“, erklärte Geiger. Deswegen sei es ihm wichtig, zu einer nachvollziehbaren Zeitreise einzuladen, und mit Geschichten aus der Geschichte die Vergangenheit wieder lebendig werden zu lassen. Ein Konzept, dass von ihm bereits seit einigen Jahren erfolgreich bei vielen Rundgängen in Hockenheim, Schwetzingen, Ladenburg, Weinheim oder Wiesloch angewendet wird. „Diese Art der Spaziergänge sollen kein Konkurrenzangebot der bereits bestehenden Stadtführungen sein, sondern das Angebot vor allem für Einheimische oder Besucher aus der Region ergänzen“, machte Geiger im Gespräch mit Stadtrat Michael Wagner deutlich, der gekommen war, um diese Art der historischen Begegnung mit der Stadtgeschichte kennenzulernen.
Passend zur Jahreszeit verband der Nachtwächter seinen Rundgang immer wieder mit eindrucksvollen Schilderungen des Lebens der Menschen im alten Speyer. Ob nun im Umfeld des Domes, wo das alte Bischofspalais und die Jesuitenkirche scheinbar wieder zum Leben erweckt wurden, oder im Hasenpfuhl das Leben in der von Fischern und Holzknechten geprägten Vorstadt vorgestellt wurde – die Teilnehmer des Rundgangs fühlten sich immer als Teil des Geschehens längst vergangener Tage. Geschickt verstand es Otmar A. Geiger, immer wieder auch Erkenntnisse von Volkskunde, Brauchtum und örtlichen Traditionen in seine Schilderungen des beschwerlichen Lebens vor vielen Jahrhunderten einzubringen. Und passend zur Zeit zwischen Advent und Dreikönig auch immer wieder die Darstellungen von alten Weihnachtsbräuchen und überlieferten Sitten während den gefürchteten Rauhnächten. Faszinierend aber auch die Einblicke in viele andere Bereiche des täglichen Lebens: Ob nun die Versorgung mit Lebensmitteln, die heute nicht mehr nachvollziehbare Art der körperlichen Hygiene oder der medizinischen Versorgung in der einst Freien Reichsstadt angesprochen wurde – selbst für die Speyerer unter den „Zeitreisenden“ gab es immer wieder neue Erkenntnisse aus dem Leben ihrer Vorfahren. An bekannten, mehr noch aber an den oft unbekannten Zeitzeugnissen und Gebäude wurde die Vergangenheit thematisiert und für die kleinen wie großen Führungsteilnehmer nachvollziehbar dargestellt.
Kein Wunder, dass so der 90-minütige Rundgang mit dem Nachtwächter scheinbar wie im Fluge vorüberging. Obwohl die eisige Kälte der Abendstunden sich recht deutlich bemerkbar machte, hatte Otmar A. Geiger noch viele Fragen zur Stadtgeschichte zu beantworten. Das große Interesse bestätigte ihn aber auch in der Auffassung, auch in Speyer zukünftig weitere öffentliche Themenführungen durch die mannigfaltige Stadtgeschichte anzubieten. Eine Ankündigung, die zum Jahresausklang unter den „Zeitreisenden“ mit viel zustimmendem Beifall aufgenommen wurde.