Kurpfalz Regional Archiv

Geschichte(n) und Brauchtum aus der (Kur-)Pfalz

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Zweibrücken-Jerusalem und zurück

13.01.90 (Geschichte allg., Glaube & Religion, Landschaft & Orte)

Am 30. März 1495, einem Montag „vormittags 11 Uhr, nachdem die
Hauptmahlzeit eingenommen“, ritt der Herzog aus Zweibrücken
zunächst gen Westen, um  wie man verabredet hatte  seinen
Schwager Graf Johann Ludwig von NassauSaarbrücken zur
gemeinsamen Pilgerreise abzuholen. Mit von der Partie waren die
adeligen Gefolgsleute Schweickard von Sickingen (der Vater des
berühmten Franz von Sickingen), Stephan von Venningen, Karl Boos
von Waldeck und Heinrich von Schwarzenberg. Abgerundet wurde die
Gruppe von einigen Reitknechten und schließlich von einem
Chronisten des ebenso abenteuerlichen wie frommen Unternehmens,
der sich in seinen Notizen lediglich als „Diener des Herzogs
Alexander“ bezeichnete.

Man hat lange gerätselt, wer denn der Verfasser des erst knapp 90
Jahre später bei Sigmund Feyerabend in Frankfurt erschienenen
„Reißbuch des heiligen Landes“ gewesen sein könnte, dann sich
aber unter den Historikern auf den herzoglichen Geheimschreiber
Johann von Meisenheim geeinigt. Er sei, so befand man, unter den
Reisegenossen der einzige zu solcher Niederschrift Befähigte
gewesen und habe obendrein die französische Sprache beherrscht.
Daß der Herzog ihm am Morgen vor der Abreise das sogenannte
Schweinheimer Gut nahe Marnheim, das er bislang nur auf
Lebenszeit besaß, als Erblehen übereignete, war denn wohl auch
als Versorgung für Meisenheimers Familie gedacht, falls ihm
während des Unterwegsseins zu so fernen Zielen etwas zustoßen
sollte.

Für soviel Fürsorge hat sich der Chronist durch gewissenhaftes
Tagebuchführen dankbar gezeigt. Die Stunde des Aufbruchs am
Morgen hat er, wie die jeweils zurückgelegte Wegstrecke, ebenso
notiert wie jene der Ankunft im nächsten Nachtquartier. Er
schrieb auf, welche Kirchen besucht wurden, welche Reliquien man
dort verwahrte, was die Fährleute an Überfahrtsgelder und die
Mautknechte als Zollgebühren verlangten. Daneben listete er aber
auch geographische Besonderheiten, vielerlei Fremdartiges aus
Landbau und Handwerk, den vorteilhaften Eindruck oder auch das
Gegenteil beim Aufenthalt in großen wie kleinen Städten auf. Und
all dies tat er alles nüchtern ohne sprachliche Schnörkel, als
habe er lediglich eine Bilanz zu erstellen. Wie sein Herr aber,
der zeitlebens über keine nennenswerten Reichtümer verfügte, die
Morgenlandfahrt finanzierte und auf welchem Weg die benötigten
Summen für die Schiffspassage und etliches Unvorhersehbare nach
Venedig gelangten, darüber schweigt sich der Geheimschreiber aus.

Der Herzog und sein Gefolge waren übrigens nur von Zweibrücken
bis Venedig (und von dort zurück in die kurpfälzische Heimat)
unter ihrem wahren Namen gereist. An Bord der Galeere, aber auch
in Palästina wurde strenges Inkognito gewahrt. Franziskanermönche
in Jerusalem, die sich dann der „einfachen teutschen Pilger“ mit
angenommenen Namen annahmen, werden, wie schon zuvor der
Johannitergroßmeister auf Rhodos, bald gewußt haben, mit wem sie
es zu tun hatten.

Zunächst aber saß die Zweibrücker Pilgergruppe an vielen Tagen
bis zu acht Stunden im Sattel. Man schaffte dadurch im Schnitt
täglich 70 und mehr Kilometer. Am 2. April galt der Umweg von
Dieuze nach Nancy einem Besuch des Herzogs von Lothringen, der
seinen Gästen ein Empfehlungsschreiben an den Dogen von Venedig
mitgab und sie mit „einem großen Hecht und acht Karpfen, dazu
weißen und roten Wein in einer großen silbervergoldeten und mit
dem Wappen des Herzogs geschmückten Kanne“ verpflegen ließ.

Über Epinal, Remiremont, Thann und Basel erreichte man am 8.
April Zürich, laut Meisenheimer „eine sehr hübsche, wohlgebaute
Stadt, umgeben von gutem Land mit Wein, Korn und anderer Frucht“.
Der hier vorgesehene Ruhetag wurde zu einem Besuch des Klosters
Einsiedeln genutzt. Von Rapperswil ging es via Vaduz durch das
Klostertal nach Bludenz, über den Arlberg hinunter nach Pettneu
und dann von Landeck im Inntal aufwärts. In Meran kamen die
Reiter, vom Reschenpaß her, „am Karfreitag nachmittag um 4 Uhr“
an. Hier wurde zwei Tage gerastet, um „den österlichen
Verpflichtungen nachzukommen“, in der Klosterkirche der
Klarissinnen zu beichten und die Kommunion zu empfangen. Am
Ostermontag trabten die Pfälzer die Etsch abwärts nach Tramin und
Trient, von da ins Suganatal nach Ospedaletto. Castelfranco und
Mestre waren die letzten Stationen, bevor man am 24. April in der
„Königin der Lagunen“ anlangte.

In Venedig hielt sich die Reisegesellschaft lange auf, beinahe
so, als ob es keinem mit der Weiterfahrt ins Heilige Land
sonderlich geeilt hätte. Vom Standquartier, der Herberge „Zum
weißen Löwen“ nahe der Rialtobrücke aus, besuchte der Herzog samt
Gefolge zahlreiche Kirchen, nahm an einem Festgottesdienst in San
Marco teil, wohnte am Himmelfahrtstag der traditionellen
„Vermählung“ des Dogen mit dem Meer bei, ging am Fronleichnamstag
„unerkannt von der Menge“ mit einer von der Stadt gestifteten
weißen Kerze in der Prozession hinter dem Allerheiligen drein,
und ließ sich sogar zu einem Ausflug nach Padua bewegen, um am
Grab des Heiligen Antonius zu beten. Dort traf er zufällig seinen
Vetter, den Bischof von Thérouanne, Anton von Croy, der sich
zusammen mit seinem Sekretär und einigen Dienern der Pilgergruppe
spontan anschloß und an der weiteren Wallfahrt teilnahm.

Johann Meisenheimer vergaß derweil nicht, in seinem Tagebuch
bewundernd vom Reichtum Venedigs zu berichten, von Kunstschätzen
und kostbaren Materialien in Gotteshäusern und an Staatsgebäuden.
Bei einem Besuch des Arsenals und seiner Werkstätten kam er aus
dem Staunen kaum heraus: Eine ganze Stadt war da zu sehen  nur
zum Zweck der Neubauten, der Ausbesserung und Ausrüstung von
Kriegsschiffen errichtet, deren er mehr als einhundert in den
verschiedenen Hafenbecken festgemacht zählte. In einem großen
Arbeitsraum wurden lediglich Seile gedreht, in anderen
Werkstätten Anker und Nägel geschmiedet, Riemen für die
Ruderführung gefertigt, Armbrüste und Bogen hergestellt. Etwa 300
Frauen waren tagaus, tagein mit dem Nähen von Segeln beschäftigt.
Insgesamt arbeiteten in diesem Staatsbetrieb mit
Geschützgießerei und Pulverbereitung rund 3.000 Menschen.

Nicht unerwähnt bleiben freilich auch Venedigs „köstlich
gekleidete Adelsdamen und Bürgerweiber“. Viele seien „über alle
Maßen hübsch und man könne ihre Schönheit gar nicht genug loben
und preisen“. Was Wunder, daß bei soviel Sehens und
Erlebenswertem zunächst der ganze Monat Mai ins Land ging, obwohl
der schwärmende Chronist die Schuld für das „unfreiwillige“
Warten der „Saumsal des Schiffspatrons“ anlastete. Bis man
schließlich mit dem Messer Augustin Contaren, einem geriebenen
Eigner, gegen 50 Dukaten „Überfahrtsgeld“ pro Passagier und eine
zusätzliche, mehr oder weniger „freiwillige“ Aufzahlung von
weiteren 150 Goldstücken zum Vertragsabschluß kam, war es
schließlich Ende Juni geworden. Ein aufkommender Sturm, der die
Galeere beschädigte und die bereits eingeschifften Pilger „noch
auf der Lagune“ alle seekrank werden ließ, erzwang erneut einen
Aufschub. Am 3. Juli konnte das Schiff endlich „das offene Meer
gewinnen“.

Erst fünfeinhalb Wochen später, am 11. August morgens, kam das
Gestade des Heiligen Landes in Sicht. Der Kapitän hatte, wie
ehedem üblich, zunächst den Seeweg entlang der istrischen und
dalmatinischen Küste gewählt, die Galeere zwischen zahlreichen
vorgelagerten Inseln nach Korfu durchlaviert und von dort, am
Peloponnes vorüber, Candia angesteuert. Dort, wie auch danach vor
Rhodos, wurde für jeweils drei Tage Anker geworfen.

Hier, am Sitz des Großmeisters der Johanniter, berichteten aus
Deutschland stammende Ordensritter ihren pfälzischen Landsleuten
von den erbitterten Kämpfen, die anderthalb Jahrzehnte zuvor
während der Belagerung durch die Türken stattgefunden hatten.
Noch immer wurde am Bau neuer, stärkerer Befestigungen
gearbeitet, um bei zukünftigen Angriffen der „Ungläubigen“
verteidigungsbereit zu sein. Entschlossener Abwehrwille der
Kurpfälzer zahlte sich übrigens auch bei der Weiterfahrt nach dem
Passieren der kleinasiatischen Küste im Seegebiet von Zypern aus.
Gleich drei Seeräuberschiffe drehten schließlich ab, als die
Piraten sahen, daß man auf der Galeere „blankgezogen“ hatte.

Wenn der Herzog und seine Begleiter auch relativ unbehelligt und
wohlbehalten den Hafen von Jaffa erreichten, so konnte trotzdem
nicht das Land betreten werden. Der zuständige türkische Aga, der
fürs weitere Geleit nach Jerusalem seine Einwilligung geben
mußte, war verreist und kehrte erst am 19. August zurück. Nach
kleinlichen Schikanen bei der Personalienfeststellung und einer
auf der Stelle zu leistenden Zahlung ließ des Agas Sekretär die
Fremden erst einmal ins Gefängnis sperren. Dem so wunderlich
eifrig und beutelüsternen Helfer Abraham Grasso ließ, als
Meisenheimer sich im Namen des Herzogs über ihn beschwerte, der
Aga denn auch „50 Streiche mit dem Ochsenziemer“ verpassen und
der Chronist meinte gar, der so Gezüchtigte werde „nicht mit dem
Leben davonkommen“. Doch nach etlichen Stunden hatte Abraham bei
seinem Herrn schon wieder Gnade gefunden, aber die Gruppe
wenigstens einige Zeit Ruhe vor seiner Begehrlichkeit.

Der Schreiber mietete daraufhin bei dem Türken Chassym 17 Esel
für die Weiterreise nach Jerusalem. Bei drückender Hitze
erreichten die Pilger nach einem Abstecher nach Lydda und
Aufenthalten an „Stätten frommer Erinnerung wie Emmaus und
Arimathia“ am 27. August das Ziel ihrer Wünsche. Quartier machten
sie im Spital, doch Ausgangspunkt all ihrer weiteren
Unternehmungen in der heiligen Stadt war das Franziskanerkloster
auf dem Berg Zion. Dort hörten sie auch an jedem Morgen die
Messe.

Die Mönche führten sie all zu den Stätten, die durch
Begebenheiten aus dem Leben Jesus und seiner Jünger oder durch
andere fromme Überlieferung geweiht waren. Ärger bekamen die
Pfälzer aber, als der Besuch der Grabeskirche anstand. Wieder war
es Abraham Grasso, der, mit der Aufsicht betraut, einen üblen
Streich spielte. Er wollte das Gotteshaus für den Herzog und
seine Begleitung nicht öffnen lassen, falls er nicht zuvor vom
mitgekommenen Schiffspatron 200 Dukaten erhielte. Als der sich
weigerte, setzte Abraham Bewaffnete zum Franziskanerkloster in
Marsch und drohte, die Pilgergruppe beim Verlassen ihrer Bleibe
in Ketten schmieden zu lassen.

Die Patres legten sich wacker für ihre Gäste ins Zeug, doch die
geforderte Summe mußte dem Nimmersatt ausgehändigt werden. Erst
dann öffnete sich die Pforte. In feierlicher Prozession zogen die
so schändlich Ausgebeuteten dann doch noch in das Gotteshaus ein
und „um Mitternacht wurden Herzog Alexander, der Graf von Nassau,
Schweickhard von Sickingen, Stephan von Venningen und Heinrich
von Schwarzenberg in dem für die Heiden stets verschlossenen
heiligen Grabe durch den Bruder Johann von Preußen zu Rittern des
Heiligen Grabes geschlagen“.

Die Zeit des Aufenthaltes wurde zu mancherlei Ausflügen genutzt.
Man ritt nach Bethlehem, auf den Berg Juda, nach Bethanien und
zum Jordan, um dort „nach heißem, staubigem Wege“ in „den
erquickenden Fluten“ zu baden. Doch kaum waren die Pilger ins
Wasser gelangt, wurden sie „unter einem nichtigen Vorwand von
türkischen Reitern, die sie der Sicherheit wegen begleiteten,
wieder herausgejagt“. Am vorletzten Tag ihres Aufenthaltes
beteten alle noch einmal „eine Stunde in der heiligen
Grabeskirche“. Am 10. September brach man zur Heimfahrt auf.

Schon der erste Reisetag war von Unglück überschattet. Bischof
Anton von Croy sank „von einem hitzigen Fieber befallen“, vom
Esel und konnte nur mit Mühe zur nächsten Herberge gebracht
werden. Zur Sorge um den Kranken gesellte sich weiteres Unheil.
Ein deutscher Jude, der auf der Herreise in einem griechischen
Hafen an Bord gekommen war, hatte dem Aga von Jerusalem den hohen
Stand der Pilger aus der Kurpfalz verraten. Der fackelte nicht
lange, um daraus zuletzt noch Nutzen zu ziehen. Er forderte nicht
nur Bares, er drohte sogar, den Herzog, den Grafen und die Ritter
solange als Geiseln festzusetzen, bis der JohanniterGroßmeister
in Rhodos zehn „kürzlich gefangengenommene Türken“ freigegeben
habe.

Nach entnervendem Hin und Her und mehrmaliger Verdoppelung der
erpreßten Lösegeldsumme, für die sich die Franziskaner verbürgen,
der Schiffspatron sein ganzes Silber versetzen und weitere
Darlehen aufgenommen werden mußten, durften die der Verzweiflung
nahen Heimkehrer nach Jaffa weiterziehen. Sie dankten, endlich an
Bord der Galeere, „Gott dafür, nun aus den Händen der verfluchten
Heiden“ zu sein, die „ihnen so viel Übels und mancherlei Leid und
Kümmernis getan“ hatten.

Im Hafen von Salamis auf Zypern, dem ersten Ankerplatz nach drei
Tagen Überfahrt, erfuhren sie, daß sie einer weiteren Gefahr eben
noch entgangen waren. Nur wenige Stunden nach dem Segelsetzen
waren 500 arabische Räuber in Jaffa eingetroffen, die , wie ihnen
von Passagieren eines anderen Schiffes berichtet wurde, mit der
Absicht nach dort gekommen waren, die fremden „vornehmen Herren“
gänzlich auszuplündern.

Am 6. Oktober wurde Rhodos erreicht, wo der deutsche Großprior
des Johanniterordens die Ankommenden begrüßte und der Herzog
anderen Tags das Grab eines zwei Jahre zuvor während einer
Pilgerreise gestorbenen Verwandten, des Herzogs Christoph von
Bayern, aufsuchte.

Am 9. Oktober stach man erneut in See. Da meist „vollkommene
Windstille herrschte“, brauchte das Schiff nach Venedig ganze 71
Tage. Weihnachten feierte der Herzog mit seinen Getreuen in
Mestre, den Silvesterabend verbrachte man bereits in Meran. Von
dort ging der Ritt durch winterliche Landschaft über Landeck, den
Fernpaß und die Ehrenberger Klause ins obere Lechtal und mit
Übernachtungen in Kempten, Memmingen, Ulm und Göppingen nach
Esslingen. Unweit des Zisterzienserklosters Maulbronn
verabschiedeten sich der Sickinger und Stephan von Venningen, um
auf direktem Weg heimzukehren. Bei Bruchsal trennte sich auch
Junker Karl Boos von den übrigen.

Am 15. Januar setzte der Herzog bei Udenheim (dem heutigen
Philippsburg) über den Rhein und kam noch am Abend dieses Tages
im ersten Ort seines Landes, in Annweiler, an. Die Kunde
verbreitete sich wie ein Lauffeuer: „Der Herzog ist von seiner
Wallfahrt glücklich heimgekehrt!“ Ein Bote wurde auf den Weg
geschickt, um diese Nachricht auch nach Zweibrücken zu bringen.
Dort zog dem Landesherrn am anderen Nachmittag zur Begrüßung „die
ganze Einwohnerschaft in feierlicher Prozession entgegen: Die
Geistlichen im Ornat mit Monstranz und Reliquien, das ganze
Hofgesinde, seine Mutter, welche während seiner Abwesenheit mit
erprobten Räten die Regierungsgeschäfte geführt“.

Ob Herzog Alexander den Zweck seiner Reise und „die Ruhe seiner
Seele“ wiedergewonnen hatte, ist beim Chronisten Johann von
Meisenheim nicht überliefert.

Aus: Die Rheinpfalz, 13.1.1990, Ludwig Wien

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